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»Feeling so right and things will run
The fever is near
I wish you were here«

The City Lights - Umbrellas

Ich werde es tun. Diese Erkenntnis überkommt mich plötzlich, als ich an Aaron denke. Es ist an der Zeit, dass ich meinem Vater sage, wer ich wirklich bin. Andere planen lange, wie sie sich vor ihren Eltern oute und dann gibt es da mich: Ich habe es mehr oder weniger aufgeschoben und verdrängt und dann auf einmal fühlt es sich nach dem richtigen Zeitpunkt an, es zu tun. Vor allem fühle ich mich auch gerade so stark. Irgendwie werde ich schon mit der Reaktion meines Vaters klarkommen. Ist ja nicht so, dass ich der erste schwule Teenager bin, der sich vor seinem Vater outet. Außerdem wird er es bestimmt hinnehmen. Früher oder später zumindest. Hoffentlich. Er hält nicht so viel von der LGBTQ+-Community, aber er hat sich trotzdem auch dafür eingesetzt, dass unsere Schule ein Ort ist, wo jeder willkommen ist. Kurz gesagt: Es kann alles passieren, wenn ich gleich zu ihm ins Wohnzimmer gehe, aber ich bin motiviert, es durchzuziehen. Vielleicht hat es auch was damit zu tun, dass Aaron sich vor mir geoutet hat und ich ein gutes Vorbild für ihn sein will. Das klingt total bescheuert, weil er der ältere von uns beiden ist, aber ich bin mir einfach sicherer in meiner Sexualität und ihm in dem Sinne zumindest hier einen Schritt voraus.

Vor der Tür zum Wohnzimmer bleibe ich stehen und mache eine Pause. Eben bin ich mir noch so sicher gewesen, dass ich es mache, plötzlich überkommen mich Zweifel und meine Knie werden weich und zittrig. Irgendwas in mir schreit ganz laut „Ich kann das nicht, ich kann das nicht, ich kann das nicht!", doch gleichzeitig sage ich leise zu mir, dass ich das sehr wohl kann.

Ich öffne die Tür und trete ein. „Papa?"

Er schaut von der Couch aus zu mir. „Ah, Lucas. Schön, dass du mal aus deinem Zimmer kommst. Da gibt es etwas, über das ich dringenst mit dir reden muss."

„Kann das warten? Vielleicht bis morgen?" Das hier sollte mein Moment sein und keine Ahnung, ob ich bereit bin, mir noch irgendwas anscheinend wichtiges anzuhören. „Eigentlich wollte ich nämlich auch mit dir sprechen."

„Nein es kann nicht warten. Bei dir auch nicht oder was?"

Ich kenne meinen Vater und ich kenne mich. Wenn ich jetzt irgendwie sage, dass es auch noch wann anders geht, reißt mein Vater diese Möglichkeit an sich. Bei diesem Szenario hätte ich dann keine Chance, es ihm heute noch zu sagen und ich glaube ich werde nicht nochmal einen so plötzlichen Energieschub bekommen. „Korrekt."

Mein Vater schnauft. „Na gut. Sag halt, was du mir sagen möchtest. Aber fass dich kurz."

Mich zu outen erscheint mir unter diesen Umständen nicht wirklich angemessen, aber vielleicht ist es besser, wenn einfach alles schnell rum ist. Kurz und schmerzlos, wie ein Pflaster. „Okay. Genau das tue ich jetzt. Papa, ich bin schwul."

Erst sagt er nichts, dann lacht er. „Wenn du das sagst... Wie willst du das denn wissen? Du hattest doch nich nie eine Beziehung. Das geht schon wieder vorbei. Und wenn du Aufmerksamkeit willst, bist du hier falsch. War das mit Wien auch so ein Aufmerksamkeits-Ding? Ich hätte es wissen müssen."

„Ach, halt doch den Mund. War ja klar, dass du es nicht verstehst."

„Hey, wage es nicht, so mit mir zu reden. Ich verstehe das. Du nicht. Du bist zu unerfahren", sagt mein Vater, „Mit solchen dummen Ideen deinerseits möchte ich mich nicht länger außeinandersetzen. Reden wir nun über wichtige, reale Dinge."

Und ich habe nichtmal die geringste Chance der Sache noch irgendwas hinzuzufügen. Er hat es einfach so abgetan und heruntergespielt. Ich habe nicht nur keine Chance, was zu sagen, ich bin auch nicht wirklich in der Lage dazu. Keine Ahnung wie man auf so eine Reaktion wie die von meinem Vater reagieren soll. Meine Gefühle sind kein Hirngespinst, sie sind echt. Wow, das tut weh. So viel zu ‚kurz und schnerzlos wie ein Pflaster'. Ich hätte es wissen können. Man sagt zwar, dass es nicht weh tut, wenn man ein Pflaster schnell wegreißt, aber jeder hat sicherlich schon die Erfahrung gemacht, dass es eben doch extrem unangenhem ist.

Mein Vater scheint meinen bestürzten Ausdruck nicht zu bemerken. Sollte er es doch tun, ignoriert er mich, was alles nur noch schlimmer machen würde. Warum war ich nochmal so motiviert mit ihm zu reden?

„Wie bereits angekündigt, gibt es da etwas, dass ich dir sagen muss. Eine erfreuliche Neuigkeit." Erfreulich? Da bin ich ja mal gespannt. „Jessica ist schwanger. Das heißt, ich werde Vater und du Halbbruder. Ist das nicht spannend?" Erfreulich?! Ich denke nicht. Und er klingt auch nicht besonders glücklich. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen er will mich verarschen. Ich bin ja eh kein besonders großer Fan von Jessica, das hier macht das ganze absolut nicht besser.

„Bitte sag mir nicht, ihr habt das geplant." Ich höre mich an wie ein Arschloch, aber zu mehr Freundlichkeit bin ich gerade nicht fähig.

„Reiß' dich verdammt nochmal zusammen." Die Tatsache, dass mein Vater fast nicht wirklich laut wird, wenn er sauer ist, ist manchmal er angsteinflößend. Nach außen wirkt er komplett entspannt und leugnet, dass er wütend ist, dabei spürt man, wie er innerlich kocht. „Natürlich war es nicht so richtig geplant, aber das ist egal. Das Baby wird kommen. Ob du willst oder nicht."

Der Gedanke an meinen Vater, der eine Frau schwängert, die genauso gut seine Tochter sein könnte ist unangenehm. Vielleicht hat sie sich ja mit Absicht schwängern lassen, um meinen Vater festzuhalten. Egal, was es jetzt ist, alles ist irgendwie doof.

Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt sagen soll. Besonders begeistert von meinem Geschwisterchen bin ich jedenfalls nicht. Hat er nicht irgendwie man an mich gedacht? Verhütung ist doch wirklich nicht so schwer.

„Lucas, kannst du bitte was sagen, anstatt mich so anzustarren?"

Genau, ich soll mich hierzu äußern, aber er übergeht einfach komplett, dass ich schwul bin und es ihn gesagt habe. Manchmal ist er so dermaßen ignorant. So engstirnig wie jetzt ist er auch manchmal wenn es um meine Mutter geht. In solchen Momenten könnte ich meinen Vater echt auf den Mond schießen. Am liebsten würde ich ihn anschreien und ihn fragen, was er eigentlich mit so einem Verhalten bezwecken will, aber ich versuche so ruhig wie möglich zu bleiben und mir nichts anmerken zu lassen. „Entschuldigung, ich brauche Zeit für mich."

Ich drehe mich um und gehe in mein Zimmer ohne meinen Vater nochmal eines Blickes zu würdigen. Es wäre so schön, wenn Aaron hier wäre und ich mit ihm reden könnte. Per Telefon will ich das nicht besprechen. Also tue ich das, was  mir hilf runterzukommen, wenn ich kurz davor bin durchzudrehen und das Leben ein Arschloch ist. Rosentolz auf voller Lautstärke. Sollen die Nachbarn und mein Vater doch denken, was sie wollen.

Fehlkonstruktion [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt