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»Now you got me questionin' what trust is
You told me you would be there for me
Yeah, but you ain't really mean it did ya«

I Just Wanna Know - NF

Ich mag Weihnachten und bin normal immer total glücklich zu dieser Zeit. Eigentlich ist ja noch nicht Weihnachtszeit, aber die ersten Menschen schmücken ihre Fenster mit Lichtern und in den Innenstädten wird schon alles für die Weihnachtsmärkte vorbereitet, der demnächst schon aufmacht. Immerhin haben wir schon November. Drei Haselnüsse für Aschenbrödel kam schon im Fernsehen und ich könnte schwören, dass ich auch schon Last Christmas gehört hab. So langsam wird es richtig kalt, vielleicht kommt dann auch der erste Schnee. Beim ersten Schnee freue ich mich immer wie ein kleines Kind, dieses Jahr ist es mir ehrlich gesagt egal. Ich habe ganz andere Probleme. Während ich an dem Ort, den ich Zuhause genannt habe meistens nicht so viel von Weihnachten und der Deko gesehen habe, ist es hier ganz anders. Wenn ich die Straße hinunterschaue, kann ich viele Fenster mit Lichterketten und Kerzen sehen, sogar an den Straßenlaternen hängen leuchtende Schneeflocken und Sterne. Hier bei meiner Mutter in der Kleinstadt hat es mir eh seit ich denken kann besser gefallen, auch wenn Frankfurt schon echt eine coole Stadt ist. Aber es ist eben auch groß und voll. Das kann manchmal schon echt einschüchtern, besonders wenn alles im Leben auf einmal auf dem Kopf steht, wie bei mir gerade. Das musste ich jetzt echt weg. Weg von all dem, das mit meinem Vater und der ganzen Sache zu tun hat.

Noch einmal tief durchatmen, dann klingle ich bei meiner Mutter. Von drinnen sind Geräusche zu hören und schon steht sie an der Tür und öffnet sie. „Lucas? Was für eine Überraschung! Warum bist du hier? Du siehst gar nicht gut aus. Und was soll der Koffer?" Ihre Stimme ist ganz ruhig und angenehm, nicht so wie als wir uns letztes Mal gesehen haben und Aaron mit hier war.

„Harald Ahrens ist passiert. Er ist ein Arschloch und ich habe wirklich versucht es auszuhalten, aber ich kann nicht mehr. Mama, kann ich bei dir bleiben?"

Sie nimmt mich in den Arm. „Hey, mein Kleiner, weiß dein Vater denn wenigsten, dass du hier bist? Und wie stellst du dir das mit der Schule vor? Ach, komm erstmal rein und erzähl mir was los ist."

Ich bringe meine Sachen ins zweite Schlafzimmer und meine Mutter macht mir währenddessen einen Tee. Als ich in Wohnzimmer komme, stehen auch Kekse für mich bereit. Mama ist die Beste. Sie gibt mir die Tasse mit dem Tee. „Mit einem warmen Getränk spricht sich der Kummer besser von der Seele. Was ist denn los?"

„Eigentlich wollte ich dich nicht damit belasten, aber da ich nun hier bin, bleibt mir nichts anderes übrig, als dir alles zu erzählen", sage ich, „Harald hat eine Schülerin sexuell belästigt und hat es geleugnet. Anfangs dachte ich ja, dass es nicht sein kann und es ein Missverständnis ist oder ihm jemand was unterschieben will, aber dann habe ich herausgefunden, dass das Mädchen, das ihn Angezeigt hat, die kleine Schwester von meinen Freund ist... ja, ich bin schwul, aber das ist jetzt nebensächlich. Harald hat übrigens nicht so gut darauf reagiert. Als wäre das nicht schon genug, hat er dann auch noch Jessica richtig schlecht behandelt. Ich hab dir ja schon mal von ihr erzählt bei einem unserer Telefonate. Irgendwie hatte ich das Gefühl Harald sieht sie als sein Eigentum. Das war echt unangenehm. Nach dem Streit habe ich ihn zur Rede gestellt und mir ist klar geworden, dass er ein Arschloch ist und schon immer eins war, nur ich war zu dumm es zu sehen. Er hat auch noch was gesagt, das so klang als ob er Sophie noch mit reinziehen will. Das ist doch bescheuert. Ich will nicht mehr in die Wohnung von diesem Mann. Er hat mal gesagt, er wäre immer für mich da, aber hat mir eiskalt ins Gesicht gelogen, meinte ich kann ihm Vertrauen..."

Meine Mutter ist ganz entsetzt. „Das hättest du mir doch alles erzählen können! Ich kann verstehen, dass du sauer auf deinen Vater bist, das ist dein gutes Recht. Harald und ich sind nicht nur kein Paar mehr, weil er das so wollte. Und es ist auch besser so. Ist aber auch egal. Was du da erzählst hätte ich ihm aber auch nicht zugetraut. Kein Wunder, dass du jetzt hier bist. Ich würde dich sofort hier einziehen lassen, wenn du das willst, nur dein Vater wird die Idee gar nicht toll finden. Außerdem stehst du so kurz vor deinem Abi und du machst das doch wirklich gut, das kannst du doch jetzt nicht einfach so aufgeben."

„Ich will nicht zurück. Das Abi ist mir egal." In Frankfurt kann ich einfach nicht mehr.

„Was ist denn mit deinem Freund? Willst du ihn denn nicht sehen? Und was hast du dir da überhaupt für einen rausgesucht?"

Wenn ich diese Fragen doch alle nur so richtig beantworten könnte... fangen wir mit der leichtesten an. „Es ist Aaron. Du hast ihn schon mal gesehen." Nun kommen wir zum komplizierteren Teil. „Irgendwie ist er ja schon ein Grund, um in Frankfurt zu sein. Ich wäre auch wirklich gerne bei ihm, aber gleichzeitig auch nicht. Mein Vater hat seiner Schwester unrecht getan und ich hab es erst abgestritten. Ich fühl mich total schuldig und wenn wir uns treffen, ist seine Schwester so nah und es kommt alles hoch."

„Das ist verständlich, dass du dich da so fühlst. Du kannst aber nichts für die falschen Entscheidungen deines Vaters", sagt meine Mutter, „aber ich bin nicht die Person von der du das hören möchtest, oder?"

***
Meine Mutter tut so, als ob es ihr gut geht mit der Situation im Moment, aber ich merke genau, dass sie das ganz schön mitnimmt. Sie versteckt es, aber ich kann es trotzdem sehen, schon die ganzen drei Tage, die ich hier bin. Ihr Gesundheitszustand ist gerade recht akzeptabel, das sollte ich nicht aufs Spiel setzten. Vielleicht habe ich ja einen Fehler gemacht, als ich hierher gegangen bin. Andererseits wäre ich dann noch in Frankfurt und würde vermutlicher Weise wahnsinnig werden.

Auf einmal klingelt es an der Tür. An sich nichts besonderes, doch dann höre ich vertraute Stimmen. „Hi, ich bin Sophie. Lucas hat mich bestimmt schon erwähnt. Aaron kennen Sie denke ich. Ist Ihr Sohn hier?" Kurz darauf werde ich von meiner Mutter gerufen.

„Oh Gott, er ist hier." Sophie klingt total erleichtert. Es ist nicht so nett von mir gewesen, abzuhauen ohne wirklich zu sagen, wo hin ich gehe. Alles was meine Freunde von mir bekommen haben, war eine Nachricht, in der ich geschrieben habe, dass es mir gut geht.

„Hi", sage ich und bleibe hinter meiner Mutter stehen. Sofort kommt Aaron und nimmt mich in den Arm. „Lucas, du hättest uns doch sagen können, wo du bist. Können wir reden?"

Ich zögere kurz. „Na gut, kommt rein."

Fehlkonstruktion [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt