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»Oh you're in my veins
And I cannot get you out«

In My Veins - Andrew Belle (feat. Erin McCarley)

Heute ist der Tag. Um genau zu sein, der Tag, an dem mein Vater vor Gericht kommt. Ich muss aussagen, Sophie muss aussagen, Mona auch, eventuell wird auch Aaron in den Zeigenstand berufen. Das könnte echt hart werden, alles zu hören und selbst etwas sagen zu müssen. Abgesehen davon werde ich zum ersten mal seit einer Weile Sophie wiedersehen und Alex auch. Zwar ist die Verhandlung nicht für die Öffentlichkeit, da sonst Schüler oder Eltern kommen könnten, die wir nicht dort haben wollen, aber da ich mit ihm befreundet bin und er auch mit Sophie und Aaron befreundet ist, darf er kommen. Mit ihm habe ich seit meinem Geburtstag noch ein paar mal geschrieben und sogar mal telefoniert, aber seit ich den Kontak zu Sophie abgebrochen habe, ist es nicht mehr das gleiche.

„Bitte sei nicht sauer auf mich, weil ich es dir nicht sofort gesagt habe", sagt Aaron zu mir, der unbedingt vor der Verhandlung nochmal mit mir reden wollte, „Mona hat noch mehr erzählt, was dein Vater ihr angetan hat. Ich hab's nicht übers Herz gebracht, es dir zu sagen. Er ist noch weiter gegangen als du denkst. Das will ich nicht genauer erläutern, ich hoffe das verstehst du. Mona wird eh im Zeugenstand aussagen. Du solltest es nur wissen. Okay?"

Oh Gott, dss tut mir leid. Mein Magen verkrampft sich. Ich wusste doch, dass Aaron mir irgendwas nicht erzählt und auch mein Vater war seltsam, wenn ich ihn denn gesehen hab. Mit ihm gesprochen habe ich nur das Nötigste und absolut nichts über den Skandal um ihn. „Schon gut. Ich kann es verstehen. Alles okay bei dir?"

Aaron nickt. „Soweit ja, der Situation entsprechend. Ich bin nur total nervös wegen heute, aber wem sage ich das. Bei dir alles klar?"

„Ich komme klar." Mir wird nur inmer bewusster, was es heißt wenn mein Vater ein härteres Urteil bekommt. Was wird aus meinem Zuhause? Wo soll ich leben? Mit welchem Geld? Das wird nicht leicht. Auch das was Aaron mir grade gesagt hat, ist hart. Leider habe ich mich aber an solche Enttöuschubgen gewöhnt. Was mit meinem Vater ist, interessiert micheigentlich nicht mehr und doch ist jedes neue Detail das ans Licht kommt, ein neues Messer in meiner Brust. Er ist eben doch mein Vater und ich habe ihn mal aufrichtig geliebt. Gleichzeitig ist da Mona, die von Aaron unheimlich geliebt wird und ihr wurde Schrekliches angetan. Gerade weil ich Aaron liebe und er sie liebt trifft mich das auch ganz tief. Alle Aussagen nochmal detailiert nachher zu hören wird die reinste Qual, aber ich will Aaron nicht damit belasten. Ihm geht es bestimmt ähnlich und wir müssen uns da echt nicht zusammen reinsteigern.

***
Mona wird in den Zeugenstand gerufen. Ich werde in den Zeugenstand gerufen. Sophie wird in den Zeugenstand gerufen. Aaron wird in den Zeugenstand gerufen. Sogar Frau Müller und Frau Bach. Ab und an sucht Sophie den Augenkontakt zu mir, doch ich drehe mich immer weg. Die ganze Tortur drauert 3 Stunden und ich kann nicht sagen, wie oft ich die Worte „Sie schwören, dass Sie nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen haben" gehört habe. Dann gibt es das Urteil. 2 Jahre.

***
Ich war noch nie in einem Gefängnis. Bisher habe ich diese Hörer und die Scheiben und alles drum herum nur im Fernsehen gesehen. Hier in echt zu sein ist eigenartig. Im Leben nicht hätte ich gedacht, dass ich mal meinem Vater im Knast besuchen würde, geschweige denn irgendwen, den ich kenne. Wobei besuchen nicht der richtige Begriff ist. Ihm ein für alle mal die Meinung sagen und mir ein Dach über dem Kopf sichern trifft es wohl eher.

„Lucas, besuchst du deinen Vater. Ich glaub's ja nicht. Vermisst du mich etwa schon?" Er lacht.

Am liebsten würde ich die Scheibe einschlagen und ihm eine klatschen, doch ich atme tief durch und bleibe ruhig sitzen. „Ganz sicher nicht. Ich bin hier, um dir zu sagen, dass du nicht mehr mein Vater bist, Harald. Und du brauchst gar nicht auf die Idee zu kommen, die Wohnung zu verkaufen. Ich bleibe dort. Du kannst micht nicht einfach auf die Straße setzten. Außer Wohnrecht hätte ich gerne auch mein Kindergeld, dass mir zusteht und den Unterhalt. Wir können das so klären oder aber vor Gericht. Ich hab mit einer Anwältin gesprochen und wir haben was erarbeite, dass du unterscheibst und gut ist. Ich möchte nicht der jenige sein, der für deine Unmemschlichkeit bezahlen muss."

An Haralds Stirn tritt diese Ader hervor, die er immer sichtbar wird, wenn er sauer ist und sein Gesicht ist ganz nah an der Scheibe. „Wie wagst du es mit mir zu reden?"

Ich lege meinen Finger genau auf Höhe seines Kopfes auf das Glas. „So wie ich schon immer mit dir hätte reden sollen. Unterschreib einfach. Du kannst es auch in Ruhe durchlesen, Harald. Ist alles im Rahmen, bessere Bedingungen kriegst du nicht. Ich fordere echt nicht viel. Nur diese drei Dinge. Wir beide wissen, dass du nicht nochmal vor Gericht willst."

Durch einen Wachmann lasse ich meinen Vater das Schreiben und einen Stift zukommen. Seine Augen wandern langsam über die Seiten. Wir beide schweigen während er liest. Dann nimmt Harald den Stift und unterschreibt. „Das habe ich gemacht, weil du mein Sohn bist und es immer bleiben wirst."

Die Blätter werden mir gebracht, ich stecke sie in eine Klarsichthülle und packe das ganze in meine Tasche. Natürlich habe ich seine Gene und ich schöme mich dafür, aber das ist auch alles. „Mit dir verbindet mich nichts mehr außer die Biologie. Ich stehe nicht in deiner Schuld, falls du das irgendwie glaubst. Das ist nur was mir zusteht und der Ausgleich für alles, was du mir angetan hast."

Ich stehe auf und gehe ohne mich zu verabschieden, während er mir hinterher ruft und ich ignoriere ihn. Nich freiwillig werde ich Harald hier noch einmal besuchen. Das war's.

Fehlkonstruktion [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt