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Ich stutzte, als ich die vielen anderen Rekruten auf dem Trainingsplatz sah. Sonst war immer niemand außer Levi und ich anwesend gewesen. Wieso trainieren sie heute hier?, fragte ich mich und fühlte mich in der Masse etwas verloren. Auch Levi konnte ich nirgends entdecken. Wo treibt sich der Zwerg denn rum, wenn man ihn mal braucht? Auch wenn ich gestern todmüde gewesen war hatte ich trotzdem nicht sofort einschlafen können, so wie ich mir das eigentlich erhofft hatte. Viel zu oft hatte ich mir Gedanken über meine Familie, über das worüber Erwin und Levi gesprochen hatten gemacht und... auch über... ihn. Viel zu oft musste ich an Levis glattes schwarzes Haar, seine stahlgrauen Augen und seine finstere Miene denken, die mich aus unerklärlichen Gründen in den Bann zog. Schnell schüttelte ich den Kopf in der Hoffnung diese Gedanken würden dadurch verschwinden. Was ist nur los mit dir? Zum Glück hörte ich eine mir vertraute Stimme meinen Namen rufen und ich lief erfreut auf Eren zu, der mir zu winkte. »(V/N)! Wie schön, dass du mit uns trainieren darfst«, sagte er als ich ihn erreicht hatte. Ich teilte ihm mit, dass es mich auch sehr freute und begrüßte zudem noch Mikasa und Armin, die neben uns standen. »Wieso sind alle hier versammelt?«, fragte ich. »Ihr trainiert doch normalerweise nicht hier.« Eren lachte und Armin machte große Augen. »Wer sagt denn, dass wir zuvor je wo anderes trainiert haben«, erwiderte der Blondhaarige. »Wir hatten bis jetzt ausschließlich Theoriestunden.« Was?, schoss es mir in den Kopf. Aber... ich dachte... warum hat mir Levi keine Theorie beigebracht? Ich meine ich sollte doch schließlich genau so viel über die Titanen wissen wie die anderen auch! »(V/N)? Hattest du etwa keine Theoriestunden?«, riss mich Mikasas Frage aus meinen Gedanken. Bevor ich allerdings antworten konnte ertönte plötzlich eine laute Stimme, die über den ganzen Platz zu hören war. Sofort wurde es mucksmäuschenstill und aus der Masse trat der Ausbilder hervor. »Nun«, begann er. »Ihr dürft euch freuen. Oder auch nicht, je nachdem ob ihr es lieber bevorzugt in Büchern zu büffeln oder wie ihr es heute tun müsst, gegen eure Kameraden anzutreten.« Sofort wurde in den Reihen der Rekruten gemurmelt und getuschelt, bis die Stimme des Ausbilders alle wieder zum Schweigen brachte. »Ich weiß. Auch mich erfreut der Anblick von halbstarken Kindern, die sich gegenseitig die Köpfe einschlagen nicht gerade, aber wir machen diese Übung ja nicht umsonst, schließlich solltet ihr euch nicht nur gegen Titanen verteidigen können. Außerdem wird so eure Geschicklichkeit und Koordination trainiert.« Wir sollen uns nicht nur gegen die Titanen verteidigen können? Aber wer sollte denn sonst noch unser Feind sein?, grübelte ich. Doch bevor ich noch genauer darüber nachdenken konnte meldete sich auch der Ausbilder wieder zu Wort. »Na, dann möchte ich nicht mehr länger quatschen. Schließlich ist das hier kein Kaffeekränzchen. Also dann sucht euch jeder einen Partner und dann...« »Einen Moment.« Ich brauchte mich nicht umzudrehen um zu erkennen zu wem diese Stimme gehörte. Dennoch tat ich es und sah wie ich es befürchtet hatte Levi zwischen den Reihen der Rekruten hervor treten. Sämtliche Augenpaare waren auf dem kleinen Schwarzhaarigen gerichtet, doch dieser beachtete niemanden. Niemanden, außer... mich. Schnell salutierte ich, so wie es die anderen taten, doch das änderte nichts daran, dass mich der Hauptgefreite immer noch anstarrte. Natürlich hatten das auch Eren, Armin und Mikasa bemerkt die ihre Blicke verblüfft zwischen Levi und mir hin und her schweifen ließen. »Die Rekrutin (V/N) (N/N) soll laut Befehl von Kommandant Erwin Smith von mir persönlich bezüglich der heutigen Übung beaufsichtigt werden.« Nervös knirschte ich mit den Zähnen, als sich plötzlich alle Blicke auf mich richteten einschließlich der des Hauptgefreiten, der mich immer noch durchbohrte. Da ich nicht wusste was ich tun sollte, starrte ich einfach herausfordernd zurück und Levi wand den Blick von mir ab. »Seid ihr schwerhörig? Ich sagte (V/N) (N/N). So leid es mir auch tut, ich kann leider nicht für alle den Babysitter spielen.« Daraufhin räusperte sich der Ausbilder. »Nun... was ich sagen wollte. Sucht euch jeden einen Partner und versucht ihn zu Boden zu werfen. Dabei ist alles erlaubt, außer irgendwelche Hilfsmittel wie zum Beispiel Waffen, aber auch eine Schelle mit der Gartenschaufel ist nicht erlaubt, also müsst ihr euch damit zu Frieden stellen was der menschliche Körper so zu bieten hat. Ziel ist es den Gegner mindestens zehn Sekunden zu Boden zu drücken, sodass die linke oder die rechte Schulter diesen berührt.« Die Rekruten sahen sich um, allerdings ohne sich zu bewegen. Keiner wollte als erstes jemand anderes angreifen, was ich sehr gut nachvollziehen konnte. »(V/N), pass auf!« Verwirrt sah ich hinüber zu Eren. Seine weit geöffneten Augen waren hinter mich gerichtet, doch bevor ich mich umdrehen konnte spürte ich einen harten Schlag auf meinen Hinterkopf. Ich geriet ins Taumeln und mir wurde kurz schwarz vor Augen. Das erstaunte Raunen, welches durch die Reihen der Rekruten ging nahm ich nur als dumpfes Hintergrundgeräusch wahr und ich musste mich zusammen nehmen um nicht jeden Moment umzukippen. Trotz meiner momentanen Verfassung wirbelte ich herum. Meine Sicht erlangte ich langsam wieder und ich erkannte meinen Angreifer, der grinsend vor mir stand. Ist das nicht dieser Jean? Der, der mich nicht leiden kann? »Damit hast du wohl nicht gerechnet«, sagte er. Meine Hände ballten sich zu Fäusten, welches Jean nur noch breiter grinsen ließ. In meinen Ohren pochte es immer noch heftig und ich warf einen Seitenblick auf den Hauptgefreiten, der sich neben mich gestellt hatte. Wie so oft hatte er seinen eisigen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Zu gerne würde ich jetzt wissen an was er gerade denkt. Eine Hand hatte mich an meiner Schulter gepackt und riss mich aus meinen Gedanken. Bevor ich reagieren konnte hatte Jean mich mit einem gezieltem Tritt in meine Kniekehle aus dem Gleichgewicht gebracht und ehe ich mich versah lag ich auf dem Boden. Ich hörte wie ein paar Rekruten in Jubelschreie ausbrachen und Jean siegessicher meine linke Schulter zu Boden drückte. Meine Sicht wurde erneut von dem stechenden Schmerz in meinem Rücken getrübt, dennoch versuchte ich eine Person auszumachen, während ich da so hilflos am Boden lag. »Eins...zwei...« Der Ausbilder begann bereits zu zählen, als endlich seine blau grauen Augen auf meine trafen. Sein Gesicht war ausdruckslos, doch seine Augen verrieten ihn. »Zuerst habe ich dich an der Armbeuge getroffen, da du durch deinen Versuch mir mit deiner Faust eine reinzuhauen dort am verwundbarsten warst.« Levis Worte hallten in meinen Gedanken wieder. Ich wand meinen Blick von ihm ab und funkelte stattdessen Jean an, der immer noch siegessicher und breit grinsend meine Schulter gepackt hielt. Da du dort am verwundbarsten warst... »sieben...acht...« Mittlerweile waren ein paar Rekruten in das Zählen mit eingestiegen, doch ich versuchte es zu ignorieren. »Für eine Polizistentochter hast du dich gar nicht so schlecht angestellt wie ich gedacht hätte.« Ja... für eine Polizistentochter... Jean keuchte verblüfft auf, als ich ihm plötzlich meinen Ellbogen in seine Armbeuge stieß und ich schaffte es augenblicklich meine Schulter aus seinem Griff zu befreien. Ein Raunen der Verblüffung machte sich breit, als ich Jean fast gleichzeitig so kräftig in die Kniekehle trat, dass er mit einem Schmerzensschrei zu Boden sank. Nur eine Sekunde später war ich über ihm und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht, während ich mit der anderen Hand eine seiner Schultern zu Boden drückte. Jean wand sich verzweifelt unter meinem Griff, trat und schlug wie ein Schwein, welches man jeden Moment zur Schlachtbank führte. Nein, dachte ich. Eher wie ein Pferd. »Eins... zwei...« Das Blut rauschte in meinen Ohren und das Adrenalin schoss durch meinen ganzen Körper. Ich holte erneut zu einem Schlag aus, darauf folgte noch einer und noch ein weiterer. Ich blendete alles um mich herum aus. Ich merkte nicht wie mich jemand eisern am Arm packte und merkte auch nicht die erschrockenen Schreie um mich herum. Ich zeige es euch allen. Ich... ich bin keine unnütze Militärpolizistentochter! »Sechs...sieben...« Mittlerweile waren Jeans Schmerzensschreie verstummt, doch das interessierte mich nicht. Ein weiterere Schlag mitten ins Gesicht folgte. »Stopp.« Eine eiskalte Stimme durchschnitt die Luft, daraufhin spürte ich wie jemand mein Handgelenk umfasste, sodass ich nicht noch einmal zuschlagen konnte. Langsam nahm ich meine Umgebung wieder war. Ich sah in die geschockten Gesichter der Rekruten, die sich um uns versammelt hatten. Dann sah ich den blutüberströmten Jean unter mir. Levi löste seinen Griff um mein Handgelenk und augenblicklich ließ ich meinen Arm fallen. Ich starrte auf meine mit Blut befleckte Faust und wagte es nicht den Blick davon abzuwenden. Nein, dachte ich. Du darfst dich nicht von deinen Gefühlen überwältigen lassen. Nicht jetzt. Ich hätte wahrscheinlich noch Stunden da gessesen und meine Hand angestarrt, doch Levi packte mich erneut sanft aber bestimmend am Handgelenk. »Steh auf.« Ich blickte auf, direkt in die kalten Augen des Hauptgefreiten. Ich erwiderte nichts, machte was er sagte und stand auf. »Was starrt ihr denn so? Hier gibt es nichts mehr zu sehen. Die Show ist vorbei«, sagte Levi. An zwei Soldaten des Aufklärungstrupps fügte er hinzu: »Und schafft den Jungen hier in den Krankenflügel.« Mein Blick richtete sich noch ein letztes Mal auf den blutüberströmten Jean, dann zog mich Levi etwas zu hastig hinter ihm her. Trotz seiner Aussage, es gäbe hier nichts mehr zu sehen spürte ich die Blicke der anderen wie Nadelstiche auf meinem Rücken, doch das einzige worauf ich gerade achtete war nicht zu stolpern, bei dem Tempo welches der Hauptgefreite vorlegte. Er ignorierte die fragenden Blicke der Soldaten an denen wir vorbeikamen und wir machten nicht halt, bevor wir vor meinem Zimmer standen. »Es ist besser, wenn du momentan nicht im Krankenflügel versorgt wirst. Abteilungsführerin Hanji wird deine Wunden versorgen.« Seine Stimme war emotionslos wie immer, aber ich glaubte in seinen Augen einen Funken von Mitgefühl zu erkennen. »Danke«, hauchte ich und öffnete die Tür. »Gute Arbeit. Der Junge wird sich noch etwas länger im Krankenflügel aufhalten. Ich hätte ehrlich gesagt nicht erwartet, dass du doch noch etwas lernst.« Mit diesen Worten ließ er mich einfach mit meinen durcheinander gewirbelten Emotionen stehen und ich starrte ihm noch fassungslos hinterher, bis er um die Ecke des Ganges gebogen war.

the right decision || levi x readerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt