Kapitel 21

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Eigentlich rechnete ich damit, dass mein restlicher Nachmittag stinklangweilig werden würde – ich lag immerhin im Krankenhaus, da gab es nicht allzu viel zu tun. Weshalb ich umso überraschter war, als es kurz darauf erneut an meiner Tür klopfte. Bestimmt hatte meine Mutter irgendetwas vergessen. Oder?

Ich erstarrte. Was, wenn das Arac war? Wenn er mir bis hierher gefolgt war und nur darauf gewartet hatte, dass meine Freunde nach Hause gingen? Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken und ich blickte hektisch durch den Raum, auf der Suche nach irgendetwas, das ich als Waffe verwenden konnte.

„Hey, Lina." Mein Kopf schnellte zur Tür und ich atmete auf. Nein, kein verrückter Spinnenmörder. Sondern nur Mel.

„Ich habe dir einen Kaffee mitgebracht", sagte sie und stellte einen Plastikbecher auf das Nachtkästchen neben meinem Bett.

Ein kurzes Lächeln huschte über meine Züge, als ich danach griff. Das brauchte ich jetzt! Während ich einen Schluck nahm, starrte Mel mich abwartend an.

„Gibt es einen Grund, wieso du mich so anstarrst?", fragte ich.

Mel blinzelte, dann schüttelte sie schnell den Kopf. „Nein, ich ... nein."

Ich runzelte die Stirn und stellte den Becher beiseite. „Bist du dir da sicher? Das klingt nämlich nach dem Gegenteil."

Mel presste die Lippen aufeinander. „Na ja, also ... Jared hat mir von dem Kampf erzählt. Und dass in deiner Wunde kein Gift war – oder dass es zumindest nicht gewirkt hatte."

„Oh", murmelte ich. „Lass mich raten: Du denkst auch, ich bin irgend so ein Spinnenmutantenmonsterwesen."

„Ääh..."

Da hatte ich meine Antwort. „Tut mir leid, aber auf die Idee ist Maude leider schon vor dir gekommen." Ich seufzte und sank etwas tiefer in die Matratze. Jake hielt es zwar für bescheuert, aber was, wenn sie Recht hatte?

„Was das angeht...", setzte Mel an und rückte auf ihrem Stuhl umher, als wäre sie am liebsten woanders. „Ich bin vorhin deinen Eltern über den Weg gelaufen. Und ... na ja, ich glaube, sie haben über dich gesprochen."

Ich richtete mich ein Stück auf. „Ach ja? Was haben sie denn gesagt?" Mit jeder Sekunde wurde mir unwohler zumute – was zum Teil auch daran lag, dass Mel auf einmal vermied, mich anzusehen.

„Ich glaube, sie verheimlichen dir etwas", sagte Mel. „Zumindest haben sie darüber gesprochen, dass es irgendetwas gibt, das sie dir sagen sollten."

Einen Moment lang wusste ich nicht, was ich antworten sollte. Meine Eltern waren ungefähr so gut darin, Geheimnisse für sich zu behalten, wie ich es war, an einem unübersichtlichen Ort nicht die Orientierung zu verlieren. Vor allem meine Mutter, die ständig plapperte!

„Bist du dir sicher, dass es meine Eltern waren?", fragte ich.

Mel hob eine Augenbraue. „Ich werde wohl deine Eltern richtig erkannt haben, was denkst du denn von mir?"

„Na ja..." Ich zuckte mit den Schultern. „Könnte ja sein. Aber bist du dir sicher, dass es um mich gegangen ist?"

Jetzt rollte Mel mit den Augen. „Ehrlich gesagt? Keine Ahnung. Es sind deine Eltern, du kannst sie besser einschätzen. Aber nach allem, was heute passiert ist, würde es mich nicht wundern, wenn es tatsächlich irgendetwas gibt, das sie dir nicht sagen. Und solange hier ein verrückter Spinnentyp herumläuft und uns alle massakriert, solltest du lieber schnell herausfinden, was es ist, bevor es als nächstes einen von uns erwischt."

Ich blieb still.

Mel seufzte hörbar. „Tut mir leid, ich wollte nicht so ... du weißt schon."

„So aggressiv klingen?" Ich winkte ab. „Keine Sorge, wäre mir kaum aufgefallen."

Die Bewohner von Harrowville (Band 1: Spinnen) | Wattys 2022 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt