Kapitel 36

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Ich starrte Arac genauso überrascht an wie er mich. „Wieso zur Hölle sitzt du in einer Zelle?", fragte ich.

Arac trat an das Gitter heran. „Fany hat mich weggesperrt, weil ich ihr widersprochen habe. Was machst du hier?" Er blickte an mir vorbei. „Was macht ihr alle hier?"

„Na ja, also..." Ich räusperte mich. „Die Werwölfe haben davon Wind bekommen, dass ihr das Dorf angreifen wollt, also haben sie die Vampire mobilisiert und sind kurz davor, euch alle anzugreifen. Wir wollten euch in Sicherheit bringen."

Websie neben mir gab ein leises Klicken von sich und trat näher. Um ihren Hals hing der Schlüssel.

Ich hielt inne. „Wow, wusste gar nicht, dass du den noch hast!" Ich nahm ihr den Schlüssel ab.

„Sicher, dass wir ihn nicht lieber hier drinnen lassen sollten?", fragte Jake mit gerunzelter Stirn.

„Ziemlich sicher", antwortete ich und sperrte die Zelle auf. „Was soll er schon tun? Uns an diejenigen verpetzen, die ihn hier eingesperrt haben?"

„Und wenn das Teil seines Plans ist?", fragte Jake.

„Hallo? Ich stehe direkt neben dir", schnaubte Arac.

Ich rollte mit den Augen. „Also, was wollen wir machen?"

„Wir müssen die anderen warnen", sagte Arac.

Maude runzelte die Stirn. „Wollten sie nicht sowieso kämpfen?"

„Fany vielleicht." Arac schüttelte den Kopf. „Die anderen tun nur, was sie ihnen sagt. Aber viele von ihnen sind keine Kämpfer und würden wahrscheinlich nicht einmal beim Angriff dabei sein."

„Wir helfen also wirklich gleich den Leuten, die uns alle umbringen wollen", murmelte Mel mit einem Kopfschütteln.

„Es zwingt dich niemand dazu, mitzukommen", erwiderte ich. „Aber egal, gehen wir. Wir haben nicht viel Zeit."

Arac übernahm die Führung und ich folgte knapp hinter ihm. Die Anspannung in mir stieg. War das ein Fehler? Oder wäre es vielmehr ein Fehler, nichts zu tun?

„Wenn Fany dich bereits weggesperrt hat, weil du ihr widersprochen hast, wie willst du sie jetzt überzeugen?", fragte ich leise.

Arac zögerte mit seiner Antwort. „Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung", murmelte er. „Aber ich muss es versuchen. Das sind meine Leute."

„Wenn sie dich so behandeln, sind sie dich vielleicht nicht wert."

„Sie sind meine Familie – seit Jahrhunderten. Und sie sind verzweifelt. Soll ich sie einfach im Stich lassen?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Es würde zumindest dein eigenes Leben retten."

Arac schüttelte den Kopf. „Was nützt es mir, als Einziger zu überleben? Das wäre kein Leben, das ich leben wollen würde."

„Eines Tages werden sie es wertschätzen, was du für sie tust", sagte ich.

„Selbst wenn nicht, würde ich es tun."

Ich rollte mit den Augen. Meine Güte, wie konnte jemand nur so ein Gutmensch sein? Mal abgesehen davon, dass Arac mich entführt hatte und das ganze andere Zeug. Aber zumindest hatte er es aus einem guten Grund getan und nicht einfach nur so, weil er ein Arschloch war. Ich blinzelte mehrmals. Vielleicht sollte ich meine Empathie erstmal zurückschrauben, bis wir die Begegnung mit Fany hinter uns hatten.

Der Gang wurde breiter und mir fiel wieder ein, wohin er führte. Etwas weiter vorne lag die große Höhle, in der ich Fany zum ersten Mal gesehen habe.

Die Bewohner von Harrowville (Band 1: Spinnen) | Wattys 2022 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt