Kapitel 37

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Jake

Als die ersten Werwölfe in die Höhle stürmten, versuchte Jake noch, zu Lina zu gelangen – vergeblich. Die Spinnenmenschen stürzten sich auf ihn und ihm blieb nichts anderes übrig, als vorerst einen Schritt nach hinten zu weichen, als einer seiner Gegner nach ihm schnappte.

Jake stieß ein dunkles Knurren aus und entblößte seine spitzen Zähne. Seine Nägel wurden länger, verwandelten sich in rasiermesserscharfe Klauen, und als der nächste Gegner angriff, schlug Jake ohne zu zögern zu. Seine Krallen bohrten sich tief in den Oberarm des Spinnentypens, woraufhin dieser mit einem wimmernden Laut zurückwich.

Zum Glück war Jake es gewohnt, zu kämpfen. Schon bevor er überhaupt richtig ein Teenager gewesen war, hatte es zur Dorfkultur gehört, dass sich Werwölfe und Vampire regelmäßig prügelten. Er erinnerte sich noch genau daran, wie Jared ihm einmal den Arm verrenkt hatte, als sie noch Kinder gewesen waren. Mit vierzehn hatte er es geschafft, ihm im Gegenzug die Nase zu brechen.

Damals hatte er Genugtuung dabei empfunden. Jetzt, wo er zusammen mit Jared auf einem Schlachtfeld stand, war es einzig und alleine Sorge.

Jake verpasste einem zweiten Spinnenmenschen eine tiefe Schnittwunde. Mittlerweile klebte Blut an seinen Fingernägeln und am liebsten wäre er so angeekelt davon wie alle anderen. Aber dass er letztendlich zur Hälfte Vampir war, konnte er nicht abschütteln. Wenigstens besaß er die Zurückhaltung, das Blut nicht von seinen Händen zu lecken – was Maude vielleicht sogar tun würde, so, wie er sie kannte. Und sei es nur, um ihre Gegner damit zu verschrecken.

Wo war sie eigentlich? Jake drehte den Kopf, doch bevor er seine Schwester in der Menge entdecken konnte, krachte ein weiterer Spinnentyp mit voller Wucht gegen ihn. Gemeinsam fielen sie um und Jakes Knurren wurde lauter. Immer wieder schnappte sein Gegner mit den Zähnen nach ihm. Ein Biss würde reichen und es wäre vorbei, das war ihm nur allzu genau bewusst. Es gelang ihm, seinen Gegner ein paar Zentimeter von sich wegzudrücken. Dann kam ein zweiter dazu. Jake fluchte, als der Neue einen seiner Arme packte und versuchte, mit den Zähnen seine Haut zu erwischen.

So sehr er sich auch sträubte – es gelang ihm nicht, sich loszureißen. Noch dazu kam der Erstere ihm gefährlich nahe.

Jake merkte erst, dass sein Arm zu Boden gedrückt wurde, als der Spinnenmensch sein Maul weit aufriss und eine Reihe spitzer Giftzähne entblößte.

Ein lautes Knurren drang zu Jake durch. Jemand packte den Spinnentypen und zerrte ihn von Jake hinunter. Ehe er auch nur blinzeln konnte, wurde auch der zweite von ihm gerissen und weggeschleudert.

Kurz sah Jake ein Flimmern in der Luft. „Na los, auf mit dir", sagte Jared, packte seinen Arm und zog ihn zurück auf die Beine. Um seinen Mund herum klebte Blut – Spuren davon, wie er in Werwolfsgestalt seine Gegner mit dem kräftigen Gebiss gepackt und weggezerrt hatte.

„Danke", brachte Jake hervor. Jared wandte sich bereits ab.

„Hier drüben!", rief auf einmal Mel ein Stück von ihnen entfernt und winkte. Über ihr stand Spidey, welche nach sämtlichen Leuten schnappte, die es auch nur wagten, zu nahe an Mel heranzukommen. Jared blickte noch einmal über die Schulter – fast so, als würde er sichergehen wollen, dass Jake noch da war – dann lief er los, wobei er sich wieder verwandelte.

Jake folgte ihm mit schnellen Schritten. Irgendwie gelang es ihm, sämtlichen Leuten auszuweichen, die sich auf ihn stürzen wollten.

„Alles klar bei euch?", fragte Mel, als Jared sich vor ihr zurückverwandelte. Dieser nickte, während Jake stumm blieb. Jared hatte ihm mit ziemlicher Sicherheit gerade das Leben gerettet. Klar, Vampire besaßen stärkere Heilkräfte als Menschen, aber mit Werwölfen konnte man sie trotzdem nicht vergleichen. Wenn Jared sich dessen bewusst war, merkte man es ihm nicht an.

„Wo sind die anderen?", fragte Jake an Mel gewandt. Sowohl von Lina, als auch von Maude war keine Spur. Er konnte nur hoffen, dass sie zumindest zusammen bei Websie waren.

„Keine Ahnung." Mel schüttelte den Kopf. „Aber wir sollten sie schleunigst wiederfinden. Vor allem Lina."

Jake nickte knapp. Wenn er ehrlich war, machte er sich um Maude genauso große Sorgen. Im Vergleich zu Lina hatte sie zumindest ihre Vampirkräfte, aber er kannte ihren Kampfstil und der war nicht gerade von Taktik und Zurückhaltung geprägt.

„Hier entlang." Mel verwandelte sich zurück in Wolfsgestalt und machte einen Satz nach vorne. Jared tat es ihr gleich.

Jake folgte ein kleines Stück hinter ihnen, um den Überblick nicht zu verlieren. Mit Spidey an seiner Seite, die einen Gegner nach dem anderen einfach wegschleuderte wie Spielzeug, konnte er es sich gestatten, gelegentlich einen Blick zur Seite oder nach hinten zu werfen. So sah er auch eine Gruppe an Spinnenkriegern, die sich ihnen schräg von hinten näherte. Der Anführer dieser Truppe war ein zwei Meter großer Koloss mit wütenden, kleinen Augen. Er stürmte geradewegs auf Jared zu.

„Jared, pass auf!", rief Jake und beschleunigte seine Schritte. Keine Ahnung, ob Jared ihn gehört hatte, denn er drehte sich nicht um. Was daran lag, dass er gerade gegen zwei weitere Spinnenmenschen kämpfte. Mel befand sich bereits ein Stück weiter vorne und wütete wie ein Sturm um sich.

„Jared!", brüllte Jake erneut über den Kampflärm.

Spidey kam ihm zuvor und stürzte sich als Erste auf die Truppe. Sie schleuderte einzelne Leute quer durch den Raum, doch irgendwie gelang es dem Anführer, sie von sich zu stoßen und sich an ihr vorbeizudrängeln. Jakes Magen sank.

Kurz, bevor der Spinnenmensch von hinten Jared angreifen konnte, stürzte Jake sich auf ihn.

Es überraschte ihn selbst, dass es ihm gelang, seinen Gegner umzuwerfen. Eine Weile lang rollten sie vom Schwung getragen weiter über den Boden, wobei Jake wild mit Zähnen und Krallen nach ihm schlug.

Er spürte gerade noch, wie der Koloss ihn zu Boden drückte, dann schaffte er es, ihm die Fingernägel in den Brustkorb zu rammen. Der Körper seines Gegners erschlaffte und fiel auf ihn. Jake stieß ihn von sich. Eine Weile lang blieb er keuchend liegen. Erste Funken tanzten vor seinen Augen.

Jetzt erst bemerkte er den pulsierenden Schmerz in seinem linken Arm. Mit Mühe drehte er den Kopf zur Seite. Nicht nur eine Bisswunde befand sich dort.

Sondern zwei.

Die Funken vor seinen Augen verwandelten sich in dunkle Flecken. Jake versuchte, sich aufzurichten, doch sein Körper reagierte nicht mehr. Er atmete schwer. Ehe er auch nur um Hilfe rufen konnte, wurde ihm vollkommen schwarz vor Augen. 

Die Bewohner von Harrowville (Band 1: Spinnen) | Wattys 2022 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt