Kapitel 28

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Ich verließ das Haus, ohne ein Wort zu sagen. Kurz wollte ich schon bei Jake anklopfen und ihn fragen, ob er mitkommen wollte, aber da war ja noch unser blöder Streit.

Also ging ich alleine los. Verdammt, ich musste mich bei Jake entschuldigen! Auch wenn es mich irgendwie ärgerte, dass er mich damals nicht einfach so angesprochen hatte. Wieso konnte mir das nicht egal sein?

Ich schlug den Weg in Richtung Stadtzentrum ein. Nein, ich hatte nicht vorgehabt, nach Arac zu suchen – so blöd war nicht einmal ich. Klar, er war der Mörder meiner Mutter, aber wenn ich das nächste Mal auf ihn traf, dann hoffentlich in Begleitung von Spidey, Websie, und einer ganzen Truppe Vampire und Werwölfe.

Ich ging zum Rathaus, welches am Kopfende des kleinen Hauptplatzes stand, wo sich auch das Café befand, zu dem Jake mich einmal mitgenommen hatte, als ich noch ganz neu hier gewesen war.

Das Rathaus selbst war ein wuchtiges Gebäude aus grauem Backstein und sah so aus, als würde es in dieser Ausformung bereits seit dem Mittelalter bestehen. Gerade, als ich eintreten wollte, packte mich jemand an den Schultern. Mit einem Aufschrei wirbelte ich herum – und entdeckte Maude, welche mit angrinste.

„Keine Sorge, bin nur ich", sagte sie belustigt. „Was willst du hier beim Rathaus?"

„Das, äh, ist eine etwas längere Geschichte." Kurz zögerte ich. Ich musste es auch sie fragen. „Als ich ins Dorf gezogen bin, hat deine Mutter mich da gebeten, auf mich aufzupassen?"

Maude gab etwas von sich, das einem Lachen ähnlich klang. „Erstens: Sehe ich aus, als wäre ich die Person, die man um so etwas bitten würde? Und zweitens: Habe ich dir zu Beginn deiner Zeit hier jemals das Gefühl gegeben, ich würde versuchen, auf dich aufzupassen?"

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nicht wirklich."

„Da hast du deine Antwort." Maude grinste. „Wieso fragst du mich überhaupt so etwas?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Nicht so wichtig, vergiss es einfach."

„Das klingt nicht so, als ob es nicht wichtig wäre." Maude verschränkte die Arme. „Komm schon", sagte sie. „Du warst die erste Person, der ich gesagt habe, dass ich etwas von Mel will. Normalerweise vertraue ich anderen Leuten nicht so schnell."

„Welch eine Ehre", erwiderte ich schnaubend.

Maude rollte mit den Augen. „Was ich dir sagen will, ist, dass du es mir erzählen kannst, wenn dich etwas belastet."

Nach einem kurzen Zögern ratterte ich ihr die Kurzfassung von allem, was passiert war, hinunter. „Jetzt bin ich hier, um etwas über meine echte Mutter herauszufinden", endete ich schließlich. „Und über ihre Familie."

„Ach du Scheiße", sagte Maude. Dann tat sie etwas, das so unmaudemäßig war, dass ich kurz dachte, sie wäre von einem Alien besessen oder so: Sie trat einen Schritt nach vorne und zog mich in eine Umarmung.

Als sie mich losließ, musterte sie mich besorgt. „Nur eines noch", sagte sie. „Was Jake angeht ... du weißt doch, dass er dich mag, oder? Er würde das alles nie tun, nur weil unsere Mutter ihn darum gebeten hätte. Glaub mir, er mag dich wirklich."

„Ich weiß", murmelte ich und ließ den Kopf hängen. „Ich bin eine verdammte Idiotin."

Maude grinste. „Da wären wir schon zwei. Und jetzt los, lass uns ein paar dunkle Familiengeheimnisse ausgraben."

Ich straffte die Schultern und wandte mich dem Rathaus zu. Maude hatte Recht – ich war aus einem Grund hierhergekommen.

Ich trat durch das massive Eichentor des Rathauses und landete in einer dunklen Vorhalle. Maude folgte mir. Zwei Treppen führten links und rechts nach oben, eine nach unten. Hier drinnen war es seltsam leise. Nur unsere Schritte hallten hohl durch den Raum.

Die Bewohner von Harrowville (Band 1: Spinnen) | Wattys 2022 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt