Kapitel 32

455 27 0
                                    

Mel

Den ganzen Heimweg lang fühlte Mel sich beschissen, ohne ganz zu wissen, wieso. Was erwartete Lina denn von ihr? Dass sie sofort eine Partnerschaft mit Maude eingehen würde? Das war doch bescheuert!

Und trotzdem kam sie sich mies vor. Sie hätte nicht so überreagieren sollen, nicht vor Maude – erst recht nicht jetzt, wo ihre Beziehung noch so neu war. Mel stieß einen leisen Fluch aus, während sie weiter die Straße Richtung nach Hause entlangging.

Als sie vor ihrer Haustüre angelangt war und diese öffnete, löste sich ihre miese Laune – zumindest zum Teil.

„Hallo Mel!", rief ihre kleinste Schwester und Sekunden später war sie von ihren drei Geschwistern umkreist, welche alle wild durcheinanderredeten.

Ein kurzes Lächeln huschte über ihre Züge. „Hey, ihr drei", sagte sie.

„Wo warst du?", fragte ihre kleine Schwester.

„Unterwegs", antwortete Mel.

„Du bist immer unterwegs!"

„Nie hast du Zeit für uns!"

„Was machst du überhaupt die ganze Zeit?"

Mel schüttelte den Kopf. „Dürfte ich wenigstens noch meine Schuhe ausziehen, bevor ihr so über mich herfallt?" Ihre Geschwister verzogen die Gesichter, ließen aber von ihr ab.

„Melanie, bist das du?", hörte sie ihren Vater aus der Küche rufen.

Sie schlüpfte aus ihren Schuhen und ließ sie in einer Ecke liegen. „Ja, ich bin's", rief sie zurück.

„Kannst du kurz kommen?"

Mel hielt inne. Eigentlich wollte sie etwas Zeit für sich selbst haben, um nachzudenken. Allerdings würden ihre Eltern das bestimmt nicht einfach so hinnehmen – nicht, wenn sie so klangen wie jetzt gerade.

„Einen Moment!", antwortete Mel deshalb und schlüpfte aus ihrer Jacke.

„Spielst du nachher mit mir?", fragte ihre kleine Schwester und blickte mit großen Augen zu ihr auf.

„Vielleicht." Mels Lächeln verschwand, sobald ihre Schwester sich von ihr abgewandt hatte. Was würde mit ihren Geschwistern passieren, wenn diese Spinnenmenschen angriffen? Ob man sie aus dem Dorf bringen würde? Sie zwang sich dazu, einmal tief durchzuatmen, dann trat sie ins Wohnzimmer, wo ihre Eltern bereits auf dem Sofa warteten.

„Setz dich", sagte ihr Vater und deutete auf den gegenüberliegenden Sessel.

„Was genau wird das hier?", fragte Mel, kam der Aufforderung aber nach. Ihre Eltern gehörten nicht unbedingt zu der Sorte an Leuten, denen man gerne widersprach. Vielleicht lag es daran, dass die beiden die Anführer des ganzen Rudels waren, aber auf jeden Fall waren sie starrköpfig und stur.

Mel legte die Arme auf die Sessellehnen und wartete ab.

„Wir wollen mit dir reden, weil wir uns Sorgen um dich machen", begann ihr Vater und lehnte sich ein Stück nach vorne. Seine grünen Augen musterten sie eindringlich. „Du bist oft nach der Schule noch stundenlang unterwegs und landest mit Bisswunden im Krankenhaus."

„Und das als Werwolf!", warf ihre Mutter ein.

Mel bemühte sich, ein Augenrollen zu unterdrücken. Ihre Mutter schien auch von ihr zu erwarten, dass sie tausendmal stärker als alle anderen Werwolfkinder hier im Dorf war!

„Wir wissen, dass du all diese Zeit nicht mit dem Rest des Rudels verbringst", sagte ihr Vater.

Mel unterdrückte ein Knurren. Die meisten Werwölfe waren mit Menschen befreundet. Und an einer Freundschaft – oder auch Beziehung – mit einem Vampir war auch nichts falsch. Aber genau deswegen hatte sie Maude vor ihren Eltern noch mit keinem Wort erwähnt. Die beiden hatten schon Probleme damit, ihre Sexualität ernst zu nehmen – wenn sie erfuhren, dass Mel auch noch mit einer Vampirin zusammen war, würden sie einen Kreislaufkollaps haben!

Die Bewohner von Harrowville (Band 1: Spinnen) | Wattys 2022 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt