Teil 34- Alpinia

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Panisch riss ich meine Augen auf, nur um sie wieder zu schließen. Mehrmals musste ich blinzeln, doch sie stand immer noch vor mir, wie ein Geist so blass und unwirklich. Ich starrte sie an, unfähig auch nur ein Wort zu sagen, glaubte das meine Hände zuckten, wollten sie berühren, aber kein Muskel in mir regte sich. „Mira, Mira, geh nicht. Ich flehe dich an, geh nicht." Hauchte sie in die Stille der Nacht und kam einen winzigen Schritt auf mich zu, erschrocken wich ich zurück. Iruna schaute mich nur an. „Geh nicht bitte, hab Geduld Mira." Ihre traurigen Augen füllten sich mit Tränen, doch keine einzige verließ ihre Augen. Die Zeit verlor in diesem Moment jegliche Bedeutung, es hätten Sekunden sein können, Minuten oder Stunden, alles um mich herum verlor an Bedeutung. Ich sah Iruna, meine Iruna und doch sah ich sie nicht. So vieles an ihr wirkte so vertraut, vollkommen gleich zudem Bild das ich von ihr in meinem Gedächtnis hatte. Und doch erschien sie mir so fremd. „Iruna." Presste ich mühsam hervor und ihr Blick wurde augenblicklich weicher. „Hab Geduld." Wiederholte sie ihre Worte. „Ich liebe dich." Es war wie ein Schnitt durch meine Brust, ihre Worte hallten in meinem Kopf wieder, ließen das Blut in meinen Ohren rauschen. Ich war unfähig sie weiter anzuschauen. Ein leises Schluchzen verließ meine Lippen und ich senkte meinen Blick zu Boden. „Mira! Mira wo bist du?" Wie ein Donnerrollen durchbrach Damjans Stimme die Stille. „Mira verdammt!" Als ich die Augen hob, war sie verschwunden, Iruna war fort. Nichts deutete darauf hin das sie jemals hier gewesen war. Mein Körper fiel nach hinten und schlug hart auf den Waldboden auf. Ich schloss die Augen, wie dumm ich doch war. Mein Verstand verließ mich also nun endgültig. „Mira!" Damjans rufen wurde lauter, resigniert rollte ich mich zur Seite. Irgendetwas stimmte nicht.

„Mira!" Damjan riss mich vom Boden und hob mich in seine Arme. „Mira! Mira!" Immer wieder rief er meinen Namen. „Ja ich höre dich." Presste ich hervor und schlug meinen Augen auf. „Gott Mira, was machst du hier?" Mühevoll befreite ich mich aus seiner Umklammerung und stand, leicht schwankend, neben ihm. „Wie du sicher weißt, wollte ich mich gerade auf den Weg machen." Er legte seine Hände auf meine Schultern und schüttelte mich. „Hey, was soll das Damjan?" Ich schlug seine Arme weg. „Hast du es nicht gemerkt? Spürst du es nicht?" Verwirrt drehte ich mich wieder zu ihm. „Wovon sprichst du?" Hatte er Iruna wohl möglich auch gesehen? „Wir haben ein Problem." - „Und was hab ich damit zu tun?" Genervt wand ich mich ab und wollte loslaufen, doch er hielt mich zurück. „Wir haben ein Problem mit Eloise." Wie angewurzelt blieb ich stehen. „Eloise?" Meine Stimme brach bei der letzten Silbe. Damjan ließ sich Zeit bevor er sprach. „Sie erinnert sich nicht." Wieder befreite ich meinen Arm aus seinem Griff. „Na und? Das war doch von Vornherein klar." Er schaute mich eindringlich an. „Nein Mira, sie erinnert sich an nichts mehr. Es ist so als hätte es jemand ihr Gedächtnis gelöscht." Ungläubig hob ich die Augenbrauen. „Was? Wie? Ich versteh nicht, wie konnte das passieren?" - „Ich weiß es nicht, sie hatte sich kurz hingesetzt und auf ein Mal hat sie ihr Bewusstsein verloren. Als sie wieder zu sich kam, wusste sie nicht mehr wo sie ist. Sie kann sich an keinen von uns erinnern, geschweige den daran was sie hier macht." Er hielt inne und holte tief Luft. „Eloise hat sich geweigert mit jemanden zu sprechen, sie versteht uns nicht mehr. Mira, es ist ernst. Ich musste ihr weiß machen das sie hier wäre für ein Projekt. Ich hab ihr gesagt sie sei gestürzt und mit dem Kopf aufgeschlagen und würde sich deswegen nicht mehr erinnern." Damjan zog mich wieder mit sich in die Richtung vom Lager. „Ich kann euch nicht helfen Damjan." Er blieb abrupt stehen. „Mira, sie erinnert sich an niemanden hier, sie weiß nichts über uns und über sich. Sie hat die letzten Jahre vermutlich ausgeblendet." Sein Griff um meinen Arm wurde fester. „Das kann doch nicht sein." Versuchte ich ihm zu Wiedersprechen, doch er ließ es nicht zu. „Mira, sie weiß nichts mehr ab dem Moment, andem ihr euch das erste Mal begegnet seit."

Damjan hatte mich in das Lager zurückgeführt. Eloise saß stumm am Lagerfeuer und beobachtete mit ihrer typisch skeptischen Art das Treiben um sie herum. Keiner kam ihr zu nahe, lediglich Lena brachte ihr immer wieder etwas zu trinken. So ging es die halbe Nacht, ich beobachtete das Schauspiel aus dem Zelt, indem die Weisen nun versammelt saßen. Sie diskutierten und stellen Theorien auf und verwarfen diese sofort wieder. Das was passiert war, entsprach nicht ihrer Erwartung. Ich fragte mich seit wann sie anwesend waren, doch ich stellte meine Frage nicht und beachtete weiterhin Eloise. „Es kann doch nicht sein das sie sich an nichts erinnert." Semjon stampfte auf und durchzog mit langen Schritten das ganze Zelt. „Mira, hast du mit ihr gesprochen?" Ich schüttelte den Kopf und wand meinen Blick von der nun schlafenden Eloise ab. Zusammengerollt lag sie auf dem breiten Baumstamm, Lena hatte ihr eine Decke gebracht. „Wieso bringt sie keiner ins Zelt?" Fragte ich. „Was?" Semjon hielt in seiner Bewegung inne und schaute mich fragend an. „Warum bringt niemand Eloise in ihr Zelt?" Wiederholte ich meine Frage. „Wir müssen sie im Auge behalten." Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. „Wovor hast du Angst? Dass sie wegläuft? Semjon das ist lächerlich." Er stampfte wieder auf. „Mira, ist dir überhaupt bewusst was das alles bedeutet? Nicht nur für uns, sondern für alle hier? Eingeschlossen Eloise?" Wütend kam er auf mich zu. „Wir können es nicht ändern Semjon, du hast Kaijan gehört. Ihre Seele muss die Erinnerung von selbst wiederfinden." Ruhig schaute ich ihn an und zündete mir eine Zigarette an. Der Rauch stieg nach oben und Semjon schlug ihn aufgebracht weg. „Es kann Jahre dauern. Wir können das doch nicht einfach akzeptieren." Semjon schaute uns an. „Was bleibt uns anderes übrig? Sie ist nun unsterblich Semjon, wir haben die Zeit." Versuchte Paulo ihn zu beruhigen. Ich riss den Kopf hoch. „Sie ist was?" Alle schauten mich an und Paulo nickte kurz. „Unsterblich. Wir vermuten, dass sie trotz ihres Gedächtnisverlustes unsterblich geworden ist. Wahrscheinlich ist sie das bereits seit einigen Jahren. Die Testergebnisse wurden in den letzten Tagen ausgewertet. Ihr Körper ist seit einigen Jahren nicht mehr gealtert." Er verschenkte seine Finger und nickte stumm vor sich hin. Ungläubig schaute ich zu Damjan der Nachdenklich ein Stück Papier zwischen seinen Fingern hin und her gleiten ließ. „Du musst mit ihr sprechen. Du musst versuchen ihre Erinnerungen zu wecken. Koste es was es wolle." Semjon stand wieder neben mir und deutetet mit einer Handbewegung auf mich. „Das kannst du nicht von ihr verlangen Semjon." Mischte Damjan sich ein. „Ich verlange nichts, es sollte auch ihn ihrem Interesse sein." Argwöhnisch musterte er mich und ging zu seinem Platz am Kopfende des großen Tisches. „Damjan, es ist schon ok." Ich ergriff Damjans Hand, die auf der Stuhllehne neben mir lag. „Es ist deine Aufgabe. Du musst diese erfüllen, vergiss deinen Platz nicht." Fügte Semjon kalt hinzu. Wut überkam mich, höhnisch lachend stand ich auf und ging auf den Ausgang des Zeltes zu, unweigerlich vorbei an Semjons Stuhl. Ich beugte mich zu ihm herunter als ich bei ihm angekommen war. „Vergiss du deinen nicht Semjon. Vergiss nicht im welchem Gebiet du dich befindest und vor allem, vergiss nicht, wer ich bin!" Flüsterte ich ihm zu, gerade so laut genug das auch die anderen es hören konnte. Semjon schaute auf und wollte aufspringen, aus dem Augenwinkel sah ich, wie Paulo ihn zurückhielt. Ohne ein weiteres Wort verließ ich das Zelt. Leise schlich ich zu Eloise. Friedlich sah sie aus, wie sie da lag. Die tanzenden Flammen erhellten sanft ihr Gesicht. Vorsichtig strich ich über die Falte zwischen ihren Augenbrauen. Das einzige Zeichen, das verriet, dass sie nicht so ruhig war wie sie wirkte. Meine Finger fuhren ihre Gesichtszüge entlang, ohne sie zu berühren. Seufzend beugte ich mich über sie und hob sie hoch und brachte sie in das Zelt hinein. Lena hatte es hergerichtet, ihr Koffer stand fein säuberlich neben ihrem Bett. Ich legte Eloise ab und deckte sie zu. Unschlüssig blieb ich neben ihr stehen. Sollte ich bei ihr bleiben? Doch wie würde sie reagieren, wenn sie mich bei ihrem aufwachen hier vorfinden würde? Wieder strich über ihr Gesicht, diesmal berührten meine Fingerspitzen vorsichtig ihre Lippen. Seufzend streckte sie sich leicht und drehte sich zur Seite. Ich griff nach meiner Tasche auf der anderen Seite des Bettes und ging hinaus. Damjan stand vor dem Zelt und wartete auf mich. „Sind wir heute Zeltgenossen?" Fragte er und versuchte ein Grinsen auf sein Gesicht zu bringen, doch ich sah ihm seine Besorgnis an. Nickend ging ich voran. „Sieht so aus." Damjan legte den Arm um mich. „Mira, es wird alles gut werden." Er schaute mich eindringlich an. „Das bezweifle ich stark." Widersprach ich ihm. „Doch Solnoschka, es wird alles gut."

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