Im Grunde wusste ich, das Paulo recht behalten würde. Doch es zu sehen änderte alles. Nie hätte ich gedacht diese Entscheidung jemals treffen zu müssen, niemals. Die gelesenen Worte rauschten in meinem Kopf, verankerten sich, brachten mich ins Schwanken. Was wenn er wirklich recht hatte? Was wäre, wenn Volosyni die Lösung wäre? Doch kann der Grund eines Problems jemals auch dessen Lösung sein?
„Es ist unmöglich, nein niemals."
Paulos Hand legte sich beschwichtigend auf meinen Arm, „Du wusstest es schon Mira."
Ich wollte den Kopf schütteln, ich wollte seine Hand wegschlagen, ich wollte behaupten das er lügt, das er es nur tat, um mich zu verletzte. Ich wollte schreien, brüllen das es alle eine Lüge ist, eine Gottverdammte Lüge, die sie mir erzählten. Nichts davon tat ich. Langsam, wie in Trance trat ich zurück, wollte mich auf den Stuhl setzten, der sich neben Paulos Tisch befand. Alles drehte sich um mich, alles drehte sich in mir, wie ein Karussell. Ich fiel, fiel auf den dunklen Boden, der nicht einmal Ansatzweise so dunkel war, wie das, was sich um mich legte. Es war die Nacht, die absolute Finsternis, die ihre dürren, knochigen Finger nach mir ausstreckte.
„Mira, Mira?" Dumpf war seine Stimme, hol, so unglaublich hol, als wäre er in einer anderen Welt.
Um mich herum wurde es dunkel, eine Finsternis, so einnehmend und düster, etwas das selbst ich noch nie erlebt hatte. Meine Hände wurden eisig, Kälte wanderte von ihnen hinauf zu meinen Armen. Sie legte sich um mich wie ein Mantel, wurde enger, zog sich zu. Immer weiter wanderte sie, kam meinem Herzen immer näher. Ich spürte das Eis, die Kristalle die mein Blut zum Stillstand brachten. Und immer wieder war da das Rufen, der Klang einer vertrauten Stimme die nicht komplett durch die Eisschicht kam.
„Mira?" Eine wärme, kaum stärker als eine zarte Berührung. Paulos Hand lag wieder auf meinem Arm. „Hörst du was ich sage?"
Erschrocken wich ich zurück. Noch immer standen wir neben dem Buch und er schaute mich verwirrt an. Seine Augen voller Sorge auf meinen Arm gerichtet, der sich verkrampft um den Kragen meiner Bluse gelegt hatte. Es war nicht passiert, nichts davon war passiert. Der Fall, die Kälte, all das war gerade nicht passiert.
„Was?" Die Sorge in Paulos Augen spiegelten sich wahrscheinlich in meinen wider.
Er drückte mich auf den Stuhl, den ich neben seinem Tisch vermutete hatte und legte mir seine warmen Hände auf die Schultern. „Das ist er Mira, er spürt deine Emotion."
„Es ist so kalt Paulo, so dunkel und kalt."
Die Falten auf seiner Stirn wurden tiefer, es war kein Mitleid, das er mir zeigte, es war Sorge. „Ich weiß Kind, ich weiß." Noch nie hatte ich es von ihm gehört, nie zuvor hatte er mich so nannte. Seine Worte spendeten mir Trost.
„Was machen wir jetzt mit Eloise?" Fragte ich ihn.
„Sie ist der Grund Mira, sie ist wie du ein Götterkind, dessen bin ich mir nun endgültig sicher. Bei der Zeremonie in Jakutien hat er eingegriffen. Er hat die Vollendung unterbrochen. Volosyni will mit allen Mitteln verhindern das Eloise versteht, wer sie ist, das sie an die Macht gelangt, die sie von ihrer Mutter mitbekommen hat. Volosyni nun, er hasst sie, er hasst alles, was mit der Liebe zu tun hat, die seit jeher unerwidert in seinem Herzen lebt. Deswegen hat er deine Mutter umgebracht Mira, weil sie seine Liebe nicht erwidert hat, genau so wie die Frau, nachderen Ebenbild sie geschaffen wurde. Und er hasste es, das deine Mutter doch so anders war als die Göttin, die ihn so verschmäht hat." Paulo hielt inne und warte meine Reaktion ab, doch ich blieb stumm und schaute ihn abwartend an.
„Ihm widerstrebt es das du die Liebe gefunden hast, die ihm verwehrt blieb. Mira, ich glaube auch das er dich beschützen will."
In mir brodelte es. „Mich beschützen? Wo vor? Mich beschützen? Ein verdammter Witz ist das. Er nimmt mir alles, was mir wichtig ist, er tötet meine Mutter. Seinetwegen musste Iruna sterben. Und jetzt will er mir Eloise nehmen, indem sie mich vergisst? Sie vergisst alles, was mit ihr zu tun hat. Ihre Seele sie ist nicht mehr rein, sie hat ihr strahlen verloren. Paulo ihre Aura ist schwarz, sie hat fast die gleiche Farbe wie," Ich konnte es nicht aussprechen.
„Wie deine Seele?" Fragte Paulo mit ruhiger Stimme.
„Meine Seele, meine Aura ist schwarz."
„Hmm, verstehe."
Noch nie hatte ich es jemanden wirklich gestanden. Die Wahrheit über meine Seele, meine Aura. Ich war der lebende Tod. „Ich reiße sie ins Verderben."
„Nein Mira. Aber wir müssen uns dem stellen."
Dem stellen ... Ich konnte Eloise nicht opfern, niemals. Ich war mir sicher das Volosyni sie vernichten würde und er wird nicht bei ihr aufhören. Er wird Menschen töten, er wird die Ralajanen vernichten. Alles um mich zu bestrafen.
„Wie stellst du es dir vor?" Fragte ich.
Paulo schlug wieder eines seiner Bücher auf und deutete darauf. „Mit dieser Zeremonie kannst du mit ihm in Kontakt treten. Die anderen Götter werden dich beschützen. Und Eloise, es wäre gut, wenn sie dabei wäre."
„Niemals." Meine Stimme hallte laut in dem Raum wieder. Das konnte er nicht von mir verlangen.
„Er wird ihr kein Leid zufügen, dafür ist sie zu stark."
„Wie meinst du das?"
„Mira, sie sollte alles vergessen haben, ihre Seele müsste komplett verloren sein. Doch Eloise wehrt sich, ihre Seele kämpft. Allein das ihr wieder zusammen gefunden habt zeigt, wie stark sie ist. Da kann auch Volosynis nicht eingreifen."
„Und was ist, wenn er uns alle vernichten wird?"
„Das lassen die anderen Götter nicht zu."
„Weiß Semjon das?"
Paulo nickte. „Zum Teil zumindest. Er fürchtet sich davor. Nun Mira, es ist kein Geheimnis, das du eigentlich die rechtmäßige Führung innehaben könntest. Semjon fürchtet nicht nur seine Position und den Verlust seiner Macht, er hat auch Angst vor dir. Auch wenn er es überspielt, am meisten fürchtet er Rache."
Ich wollte nicht daran denken, nicht an Semjon und nicht an seine Intrigen, sein Ego, die Machtspiele. Langsam verzog sich die Dunkelheit und die Kälte, die ihre eisige Hand löste und mich freigab.
„Er kann mich steuern."
„Semjon?" Fragte Paulo nach.
„Nein," widersprach ich, „Volosyni. Ich spüre seine Anwesenheit."
„Seit wann?"
Mir war bewusst, das ich Paulo die Wahrheit sagen musste, war er doch derjenige, der immer versucht hatte mir beizustehen. „Gerade eben war es so stark wie noch nie. Aber die Dunkelheit, sie ist schon in mir seitdem ich ein Seelenwanderer bin. Die meiste Zeit ist sie kaum präsent und seitdem Eloise in mein Leben getreten ist, war sie kaum noch da. In Jakutien, da", die Worte kamen nur schwer über meine Lippen. „Er war da. Ich habe sie gesehen, Iruna."
„Du hast Iruna gesehen? Wie war das?" Paulo blickte aus dem Fenster auf die Dächer von Kopenhagen.
„Sie hat nach mir gerufen, gemeint ich solle Geduld haben. Aber sie war nicht sie, ich bin mir sicher, dass es nicht Iruna war. Sie wirkte so fremd, wie ich weiß nicht, als wäre sie nicht sie selbst." Gestand ich.
„Hat sie noch etwas gesagt oder gemacht?"
„Das sie mich liebt." Noch immer schlug mein Herz unkontrolliert, wenn ich daran zurückdachte.
Paulo sagte nichts mehr. Nachdenklich betrachtete er das Treiben aus dem Fenster. Er schien seine Worte zu überdenken, schüttelte mehrfach den Kopf und drehte sich zu mir um mit einem gequälten Ausdruck auf seinem Gesicht.
„Ich bezweifle, das er so etwas machen würde. Er hat Iruna zu sich geholt, da würde er sie nicht noch einmal zu dir schicken. Nicht ihre Seele." Erklärte er mir ruhig. „Mira, es gibt da etwas das ich mit dir besprechen muss bevor wir gleich zu Semjon und Eloise gehen. Aber ich muss wissen, ob du bereit bist deinen Vater aufzusuchen, die Zeremonie zu vollziehen?" Erwartungsvoll kam er auf mich zu.
Mir blieb wohl keine andere Wahl, als dem zuzustimmen. Also nickte ich unsicher und erfüllt von Zweifel. „Was bedeutet das für uns? Was ist, wenn er uns alle zugrunde richteten wird?" Fragte ich nervös erneut nach.
„Das wird er nicht schaffen, ich bin mir ganz sicher. Du tust das richtige. Wir tun das einzig Mögliche Mira."
„Du wolltest mir noch etwas sagen?"
Paulo schien mit seinen Gedanken bereits woanders zu sein. „Ah ja. Du solltest dies aber erst einmal für dich behalten. Ich bitte dich darum, es nicht mit Eloise zu kommunizieren, erst einmal. Das ist viel verlangt, das ist mir bewusst, doch wir müssen vorsichtig sein. Es geht um ihre Sicherheit."
Verunsichert schaute ich ihn an, so kannte ich ihn nicht. Paulo war keiner der sich Fürchtete und erst recht niemand, der so verstreut war, wie er es im Moment zu sein schien. Ich stimmte ich ihm zu und bat ihm mich endlich einzuweihen.
„Es ist ein heikles Thema, nun gut, welches Thema ist es den auch nicht, das uns betrifft, nicht wahr? Jedoch bin ich noch nie auf etwas gestoßen das so unfassbar ist. Wenn meine Vermutung stimmt, dann ist nichts so wie wir es gedacht haben. Unsere ganze Welt, sie würde sich verändern. Verstehst du?" Paulo gestikulierte wild mit seinen Händen. „Es betrifft Eloise und ihre Schöpfung, sie ist meiner Meinung nach die Tochter von Liuba. Ein reines Götterkind."
„Also hatte Damjan doch recht." Flüsterte ich.
„Ja, er hatte diese Vermutung bereits mir gegenüber geäußert als wir in Jakutien waren. Ich hätte nicht gedacht, dass er es dir erzählen würde. Wir alle dachten das Eloise ein Götterkind ist, doch das was Damjan damals vermochte auszusprechen, nein. Das habe selbst ich nicht für möglich gehalten. Doch nach allem was passiert ist, habe ich die Bücher studierte und alle Möglichkeiten noch einmal durchgespielt. Mira, ich bin mir sicher das Eloise ein reines Götterkind ist." Verkündete er mir voller Ehrfurcht.
„Aber wie kann das sein? Sie ist doch gar nicht so alt. Paulo, sie hat Eltern, sie ist, sie war sterblich." Widersprach ich ihm.
„Aber ihre Seele nicht. Eloise wurde bereits seit einer sehr langen Zeit wieder geboren. Meine Vermutung", erneut hielt er inne und schaute mich bedeutungsvoll an. „Meine Vermutung ist das sie seit jeher auf der Erde wandelt, immer auf der Suche nach ihrer Erlösung."
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SEELENWANDERER
Paranormal„Es war wie ein Traum, einer den ich vergessen hatte zu träumen. Zu zerbrechlich war er, zu verlockend, ich wusste, ich würde daran verbrennen. Meine Gedanken schwebten davon als sie meinen Namen rief. Wie ein Seil das mich aus den Fluten meines Ver...