Teil 14- Schleierkraut

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Die Bar war bei meinem eintreffen schon brechen voll, obwohl wir gerade einmal 21 Uhr hatten. Der Raum war kaum wieder zuerkennen, die meisten der Tische waren Menschen gewichen, nur noch vereinzelt standen an der Wand zwei- drei Tische. An der Bar tummelten sich die meisten Menschen und brüllten wild durcheinander ihre Bestellungen rein.
Suchend scannte ich die Masse nach Adam oder Cam ab und entdeckte schließlich letzteren bei einer Gruppe von zwei Frauen und drei Männern. Mit Mühe kam ich zu ihnen durch und wurde herzlich begrüßt. Sie alle waren Seelenwanderer und uns alle verbannt eine gemeinsame Vergangenheit. Besonders mit der kleinen Frau verstand ich mich gut.
„Luisa, Cam hat nicht erzählt, dass du auch da bist!"
Es war keine gespielte Freude von mir. Luisa warf die Hände in die Luft und schmiss sich regelrecht in meine Arme.
„Oh Mira, endlich! Wir haben uns so lange nicht gesehen! Cam hat mich gebeten heute DJ zu spielen!" Sie deutete auf das Pult hinter ihr.
Ich betrachte sie kurz, sie war so wundervoll unkompliziert. Luisas Körper hatte mit Anfang zwanzig aufgehört zu altern. Ebenso wie die anderen fünf war sie eine geboren, doch sie war deutlich jünger als ich. Knapp 1000 Jahre trennten uns.
Luisa und die anderen gehörten zu den letzten geborenen, während Cam und ich eine der ersten Schöpfungen unserer Götter waren.
Heute würde ich also in meinen 1895 Geburtstag feiern und war damit mit Abstand die älteste hier.
„Wo ist deine Freundin?" Adam tauchte hinter mir auf.
„Meine Chefin hatte keine Lust mitzukommen!"
Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, erst jetzt sah ich das übervolle Tablett in seiner Hand.
„Du siehst bezaubernd aus, wir sehen alle ganz bezaubernd aus! Darauf trinken wir!"
Mit diesen Worten eröffnete Cam den Abend und es sollte bei weitem nicht das letzte sein, was wir, vor allem ich, trank.
Ich unterhielt mich mit Luisa über Belanglosigkeiten. Hörte mir ihre momentanen Lebensumstände an. Trank hier einen Absinth und dort, fing an langsam wirklich Spaß zu haben und vergaß Eloise und ihr komisches Verhalten mir gegenüber.

Kurz nach elf wurden endgültig so gut wie alle Tisch in den Lagerraum geschafft, um Platz für die tanzende Menge zu schaffen.
Luisa ging ihrer Aufgabe als DJ nach. Ich mochte die Musik, die sie auflegte. Ein Mix aus alten Liedern und neue aus jedem Genre. Auf einmal erklangen die mir wohlbekannten Klänge von „I found a new Baby" und ein Arm zog mich in die Mitte der Tanzfläche.
Mit leuchtenden Augen gab Adam Luisa ein Zeichen die Musik noch lauter zu stellen und fing an zu tanzen. Er riss mich mit, fing die mir so bekannten Schritte langsam an und wartete darauf, dass ich einstieg, was ich auch tat. Wir waren aufeinander abgestimmt, hatten wir es doch so oft schon zusammen getan. Schnell bildete sich um uns ein Kreis und einige klatschten als wir immer schneller den Charleston zum Besten gaben. Mit einer letzten Hebefigur kamen wir lachend zum Stehen.
Wir schlangen die Arme um einander und verbeugten uns vor der tosenden Menge. Lachend griff ich nach einem Glas, das Adam mir reichte und dann sah ich sie.
Auch sie hatte uns anscheinend beobachtet, ganz vorne stand sie, ein Lächeln lag auf ihren Lippen und ihr Auftreten raubte mir kurz den Verstand. Ihre kurzen dunklen Haare hatte sie wieder streng nach hinten gekämmt und kleine silberne Kreolen schmückten ihre Ohren. Auch sie hatte sich für ein komplett schwarzes Outfit entschieden. Ihre transparente Bluse war weit ausgeschnitten, man sah nun komplett ihre Tattoos, bis auf den Teil der von einem schwarzen Bustier verdeckt wurde. Vorne hatte sie die Bluse in ihre hautenge Lederhose eingesteckt, hinten aber locker raushängen gelassen. Sie trug wieder ihre schwarzen Budapester und hielt ein Päckchen in den Händen.
„Du solltest zu ihr gehen!" Raunte mir Adam ins Ohr.
Wie versteinert stand ich da und starte sie an. In Zeitlupe setzte ich mich in Bewegung, doch ich kam nicht vor Eloise zu stehen, sondern vor dem Rücken einer Rothaarigen, die anscheinend hinter mir gestanden hatte und mich jetzt überholt hatte. Mit einer ausladenden Bewegung schleuderte sie mir ihre Haare ins Gesicht und fing an auf Eloise einzureden. Sie beugte sich weit zu ihr und Eloise nickte.
Perplex schaute ich dabei zu, wie sie an die Bar gezogen wurde. Ohne auch nur ein Wort, einen Blick, mit mir gewechselt zu haben.

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