Eloise saß zwischen Villads und Damjan, die zwei wirkten wie ihre Beschützer, nicht das sie die gebraucht hätte. Ihr Teller war noch immer halbvoll mit dem rot- orangen Eintopf, den wahrscheinlich Lena gekocht hatte. Es roch köstlich, doch ich würde nichts hinunter bekommen. Sie alle hatten ihre Gespräche unterbrochen, als wir wieder eingetreten waren.
„Wollen wir uns etwas ausruhen?" Fragte ich Eloise und ignorierte Semjon, der ansetzte etwas zu sagen.
„Sicher." Sie stand auf.
„Die zweite Jurte ist für euch." Lena deutete nach rechts, die Hände voll beladen mit Tellern, die ihr Adam gerade abnahm.
„Danke Len." Ich zog Elise mit mir mit.
Alles schauten uns fragend an, doch keiner sagte etwas. Nicht einmal Semjon.
Die kleine Jurte, die Lena uns zugewiesen hatte, war ebenfalls vorgeheizt und durch die Petroleumlampe in ein angenehmes Licht tauchten. Sie würde Eloise keinen genauen Blick auf mich erlauben, es paste mir gut.
„Was ist los Mira?" Eloise setzte sich auf die Pritsche. Sie lehnte sich zurück, sodass sie mich genau ansehen konnte.
„Was soll sein? Ich möchte einfach ein paar Stunden noch mit dir allein sein." Sagte ich ich und schlüpfte aus meinem warmen Mantel. Ein paar Stunden noch. Die wenigen Momente die uns noch blieben.
„So so." Skeptisch klang sie, als sie ihre Hand nach mir ausstreckte und mich auf ihre Knie zog. „Soll ich dir das etwa glauben?"
Lachend strich ich ihr die schwarzen Haare aus der Stirn. „Tu was du willst." Ich verschloss ihre Lippen mit meinen. Ein Versuch mir alles einzuprägen, alles in mir einzuschließen. Ihren Geschmack nach Mandeln und Kirschen. Ihre wilden Augen, die grün- golden in dem Licht der Laterne leuchten. Ihre Tattoos, die ich Stück für Stück freilegte. Ihre Haut, ihre Stimme, ihr Geruch. Das Gefühl. Dieses süchtig machende Gefühl. Diese Schwere die sich durch mein Herz bohrte, wenn meine Finger sich mit ihren verschlungen. Meine Haut auf ihrer. Ihre Lippen auf meinen. Die Hitze. Diese unfassbare Hitze, die sie ausstrahlte, als könnte sie alles um uns herum schmelzen lassen. Alles prägte ich mir ein, viel bewusster als die Male zu vor. Ihre Aura legte sich um mich, sofort wurde das schwarz heller, welches um mich lag. Sie nahm es auf, verdrängte es. Doch ihr Strahlen verblasste. Ich hatte mich getäuscht, nicht sie würde mich retten, nein. Ich würde sie vernichten.
„Ma cherie, Mi-ra," hauchte sie mir ins Ohr, „sag mir die Wahrheit."
„Hmm?"
„Liebst du mich?" Fragte Eloise und löste ihre Lippen von meinen.
„Ja." Presste ich hervor. Wieder sammelten sich Tränen in meinen Augen die ich schnell weg blinzelte.
„Mhm, sicher?"
Meine Arme schlossen sich um sie. „Mehr als mein Leben, mehr als meine Molniya."
Diese wenigen Stunden würden nicht reichen, nichts würde je für ein Leben ohne sie reichen. Doch ich log mich wieder an, log bei jedem Wort, jeder Bewegung, jedem Lächeln das ich ihr schenkte. Ich prägte mir alles an ihr ein, es würde reichen. Reichen für eine Ewigkeit ohne sie.
Es würde reichen um zusterben.Um kurz nach halb zwei versammelten wir uns am Flussufer. Die anderen hatten ein großes Lagerfeuer entfacht, hatten alles für die Zeremonie vorbereitet. Die Trommeln lagen auf einem großen Fell, abseits des Feuers. Kaijan hatte sich seiner Alltagskleidung entledigt und trug ein festliches Gewand unter seinem Pelzmantel, ebenso Lena, die mit einem traurigen, verweinten Gesicht neben dem Feuer saß. Sie sprang auf und stürzte auf mich zu, als wir zu den anderen stießen.
„Bitte Lena, kein Wort zu den anderen." Bat ich sie, die sowieso schon skeptisch zu uns schauten. Sie hatte es gespürt, durch das Band das zwischen ihr und Kaijan herrschte.
„Ja, ja ich weiß. Nur, nur", schluchzte sie.
„Schhhh, alles wird gut. Versprochen. Hey Len, hör auf zu weinen." Ich wischte ihre Tränen weg.
„Warum weint sie?" Fragte Eloise mich, nachdem ich mich zu ihr gesetzt hatte, auf einer der mit Fell bedeckten Baumstämme.
„Ist alles ein bisschen viel für sie. Sie ist es noch nicht gewohnt das die Seelenwanderer für eine solche Zeremonie hier sind." Log ich und steckte meine zitternden Hände in die Taschen meines Mantels. Eloise gab sich mit der Antwort zufrieden, auch wenn ich spürte, dass sie mir nicht glaubte.
Kaijan ging mit einem Gefäß in den Kreis und füllte es mit der Asche, die sich am Rande des Feuers gebildet hatte. Mit schweren Schritten ging er zu Semjon und reichte ihm einen kleinen Dolch, den dieser durch seine Hand jagte und das Blut in die Schale in Kaijans Hand tropfen ließ. Paulo schaute mich an und nickte, als er mit der Klinge seine Handfläche anschnitt und das heraustretende Blut in die Schale lief. Kaijan strich die Klinge sauber und trat zum nächsten. Reihum taten Damjan, Cam, Villads und Adam es Paulo und Semjon nach. Lena weinte leise vor sich hin und ließ auch einige Tropfen ihres Blutes in die Schalle tropfen, als Kaijan zu ihr kam. Schließlich kam er zu Eloise und mir.
„Würdest du es bitte auch tun?" Fragte ich sie und sie nickte. Sie verzog ihr Gesicht als die Klinge ihre Haut durchschnitt. Ihr Blut tropfte noch in die Schale als ich bereits nach der Klinge griff und mir quer über die Handfläche schnitt. Eloise schaute mich fragend an, doch ich nickte nur und schaute Kaijan dabei zu, wie auch er sein Blut in die Holzschale tropfen ließ und mit einem Mörser eine Paste zubereitete. Wieder fing er bei Semjon an und malte ihm mit dem Finger einen Kreis auf die Stirn, bevor er weiter ging und jedem von uns einen solchen Kreis auf die Stirn malte. Um Punkt zwei Uhr war er fertig. Es war alles vorbereitet.
„Bitte greift nun zu den Trommeln und helft mir dabei zu den Göttern zu sprechen." Kaijans Worte durchschnitten die Nacht und Damjan, Villads und Cam griffen nach den Trommeln, die er ihnen reichte. Auch Lena nahm eine. Ihr Schlag war laut, Ohrenbetäubend. Die anderen setzten ebenfalls an und folgten ihrer Melodie, dem Rhythmus den sie vorgab.
„Ich liebe dich Eloise, vergiss das nie."
„Was?" Eloise schaute mich erstaunt an.
Ich beugte mich zu ihr herüber und drückte meine zitternden Lippen auf ihre. Unser Kuss schmeckte nach Angst und Mandeln, nach salzigen Kirschen und Schmerz. Nach Tod und Liebe.
Schnell zog ich meinen Mantel aus und streifte die Pullover aus, sodass meine Arme Frei waren. Kaijan malte mit dem restlichen Blut-Asche-Gesmisch die Runen auf meine Haut, die ich brauchte, um mit ihm zu sprechen. Um mit meinem Vater, dem Gott des Todes eine Verbindung herzustellen.
„Sie wird doch nicht," Semjon schrie , doch Paulo hielt ihn zurück.
„Du hast ihr schon immer unrecht getan."
„Sie kann doch nicht," Semjons Augen weiten sich vor Angst.
Mein Blick fiel auf die anderen die zu sehr in ihr Spiel vertieft waren, als das sie mitbekamen, was geschah. Lediglich Adam schaute mich schockiert an.
„Mira." Rief er, doch ich blende ihn aus.
„Verzeiht mir." Ein Schluchzen verließ meine Lippen, als ich vor Kaijan auf den Boden fiel und seine Hand auf meinen Kopf zum Liegen kam. Sein melodisches Singsang hüllte mich ein.
„Mira." Eloise schrie, so laut das selbst Damjan aufschaute. Sein panischer Blick, ließ meinen Mund ein unkontrolliertes Schluchzen hervorbringen, das Villads und Cam aufschauen ließen.
„Nein!" Schrien beide gleichzeitig.
Sie alle verstanden was hier geschah.
„Mira!" Eloise flehendes Schreien war, das letzte was ich hörte, bevor die Dunkelheit sich um mich legte.
„Verzeiht mir." Presste ich schluchzend hervor, als die Kälte in meinem Körper immer weiter von mir besitz ergriff. Und dann war es Nacht.
Nein... Es war mehr als Nacht, es war mehr als die Dunkelheit, die ich noch vor wenigen Tagen gespürt hatte. Es war das absolute Nichts, eine Leere, die so kalt war, das mein Blut nicht mehr fließen konnte. Eine Leere, die so erdrückend um mich lag, das mein Kopf zu platzen drohte. Dieser Schmerz war schlimmer als alles andere, was ich je gerührt hatte. Er fraß mich auf, bohrt sich in jede Einzelne meiner Zellen. Er ließ mich sterben. So dachte ich es zumindest.
Und vor meinen Augen spielte sich der Tod meiner Mutter wieder, den ich als Kind nie wirklich verstanden hatte. Ich sah Iruna, wie sie starb, spürte ihren Schmerz. Ich wollte schreien, doch ich konnte nicht. Sah meine Brüder wie sie im Kampf fielen. Ich durchlebte jeden einzelnen Tod in meiner Familie. Ich starb ihre Tote.
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SEELENWANDERER
Paranormal„Es war wie ein Traum, einer den ich vergessen hatte zu träumen. Zu zerbrechlich war er, zu verlockend, ich wusste, ich würde daran verbrennen. Meine Gedanken schwebten davon als sie meinen Namen rief. Wie ein Seil das mich aus den Fluten meines Ver...