Teil 30- Passionsblume

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Es war schwierig, ja fast unmöglich den Weisen zu entkommen. Immer wieder versuchten sie Eloise davon zu überzeugen, dass sie sich in Gefahr begibt, wenn sie ohne ihre Begleitung gehen würde. Mittlerweile hatte sich der innere Kreis auf drei erweitert, Vadim war wieder zurückgekehrt. Immerhin war Semjon damit wieder überstimmt und das natürliche Gleichgewicht wiederhergestellt. Seit unserem Gespräch waren fünf Tage vergangen, in wenigen Stunden wollten wir aufbrechen, ohne Begleitung. Lediglich Damjan würde am Flughafen auf uns warten. So war zumindest mein Plan gewesen.

Paulo zeigte am meisten Verständnis, er verstand was es für Eloise bedeuten könnte, wenn die Reise nach Jakutien ihr tatsächlich die Antworten geben würde, nach der sie ihr Leben lang unbewusst gesucht hatte. Doch auch er hatte keine Macht um gegen Semjon und Vadim anzukommen. Immer wieder führte ich Gespräche mit ihnen, stundenlange, aufreibende und hitzige Diskussionen, mit dem immer selben Ergebnis. Sie würden nach Jakutien reisen, alle drei.
„Wir müssen uns damit abfinden Eloise." Resigniert stellte ich meinen Koffer am Treppenabsatz ab. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte sie am Geländer und schaute nachdenklich aus dem kleinen Fenster. Sie war ruhig geworden, hatte in den letzten zwei Tagen so gut wie nicht mehr gesprochen, nicht mit mir und auch nicht mit den Weisen. „Es war nun Mal eine tollkühne Idee, sie lassen dich nicht mehr gehen Babe. Du bist jetzt ihr neuer Star, ihre neue Königin" Eloise schnaufte missbilligend auf und löste sich aus ihrer starren Position. Ohne ein Wort entfernte sie sich von mir und stieg die Treppe herauf. „Hey, es war nur ein Witz!" Rief ich ihr hinterher, doch sie winkte nur ab und eilte die Treppe weiter hinauf, bis ich ihre Schritte auf dem schweren Teppich nur noch dumpf hören konnte. Ihre Stimmung war seit Tagen unterirdisch, sie war es nicht gewohnt bevormundet zu werden, sich an aufgestellte Regeln zu halten, die sie nicht verstand. Ich verstand Eloise nur zu gut, mir ging es nicht anders. Zwar war ich mit dem Konstrukt unserer Welt aufgewachsen und lebte seit je her als Teil davon, dennoch war ich nicht umsonst als Rebell verschrien. Immer wen ich hier im Hauptquartier war, wurde mir bewusst, warum ich mich Jahrhunderte lang von den anderen Seelenwanderern ferngehalten habe. Alles folgte seit Urzeiten einer Tradition, einem Protokoll, das nie hinterfragt oder überarbeitet wurde. Blindes Vertrauen, Gefolge und Gehorsam, die drei Grundbausteine von Semjons Regime.

Geduldig wartete ich auf Eloise, als ich eine Tür zuschlagen hörte. Eilige Schritte hallten durch den leeren Flur und Eloise flog regelrecht die Treppe herunter. Selbst auf die Entfernung erkannte ich, das sie vor Wut kochte. „Lass und gehen." Ohne sich weiter nach mir umzudrehen, stürmte sie aus der offenen Haustür und ließ durch ihre schnellen Schritte den Kies auf der Auffahrt in kleinen Bögen hinter sich tanzen. Erst als sie an dem geparkten Wagen ankam, hielt sie inne und atmete schwer auf. Ihre Tasche beförderte sie mit einem gezielten Griff in den Kofferraum und nahm auf dem Beifahrersitz platz. Verwundert beobachtete ich das Schauspiel aus einigen Meter Entfernung, als Semjon ebenfalls an mir vorbeirauschte. Seine Miene war versteinert, er schaute mich eindringlich an, doch sagte kein Wort. Auch er eilte zum Wagen und blieb vor der Beifahrertür stehen. Eloise starrte stur gerade aus und rührte sich nicht, selbst sein Klopfen an der Scheibe ignorierte sie. Mehrere Minuten verstrichen bis sie die Scheibe herunterließ und eine angezündete Zigarette heraushielt. „Ich habe alles gesagt." Eloise Stimme war ruhig, zu ruhig. Sie hatte ihre geschäftliche eisige Fassade um sich aufgebaut. Sie fixierte seinen Blick und Semjon nickte stumm. „Wir werden da sein." Er Verbeugte sich leicht und drehte sich auf der Stelle und eilte auf mich zu. Im Vorbeigehen drückte er mir ein Kästchen an die Brust und wartete bis ich sie hielt, bevor er weiter ging. „Jetzt ist es an dir." Er wirkte gefasst als er zu mir sprach, abgeklärt, fast schon enttäuscht. Ich schaute ihm stumm nach und ging dann zum Auto. Das Kästchen hatte ich in meine Jackentasche gelegt, ich wusste bereits was sich darin befand. Es war leicht, fast als wäre es leer, doch sein Inhalt lag schwer auf meiner Seele. Er nahm mir die Luft zum Atmen, erst nach mehren Atemzügen fühlte ich mich freier. Semjon hatte mir den Schlüssel gegeben, seinen größten Schatz, wohl möglich den größten Schatz der Seelenwanderer. Er hatte keinen materiellen Wert, Menschen würden ihn als Schrott abtun. Doch für uns war es alles, die Welt, der Sinn unseres Daseins, so hatte es Paulo mal genannt. Den Schlüssel zu der Welt der Götter. Eine einfache Peilspitze aus geschliffenem Stein, unscheinbar und doch so kostbar. Ich nahm neben Eloise Platz und ließ den Motor aufheulen. Erst als wir das Gelände des Hauptquartiers verlassen hatten und bereits einige Kilometer Richtung Flughafen gefahren waren, entspannte Eloise sich ein wenige und schaute mich von der Seite an. „Was hast du ihnen gesagt? Ich dachte wir fahren gemeinsam?" Fragte ich vorsichtig nach. Eloise zog die Luft zwischen ihren Zähnen ein und ließ die Knöchel ihrer ineinander verschränkten Finger knacken. „Ich habe ihnen gesagt, das ich ohne sie fahren werde." Sie hielt kurz inne und fuhr dann in einem leichteren, fröhlicheren, spöttischen Ton fort. „Ich habe ihnen Befohlen uns alleine gehen zu lassen und ihnen Verboten mitzukommen." Ungläubig starrte ich sie an. Mir bleib anscheinend der Mund sogar offen stehen, den Eloise legte ihren Zeigefinger unter mein Kinn und schob es leicht nach oben. „Was den? Du hast es selbst gesagt, ich bin ihre neue Königin und eine Königin befiehlt." Ihr Lachen wirkte zum ersten Mal, seit wir in Kopenhagen waren, echt. „Du hast es ihnen befohlen?" Fassungslos starrte ich auf den kleinen Stau vor uns, der es mir ermöglichte Eloise in Ruhe zu Mustern. Sie hatte ihren Kopf amüsiert zur Seite gelegt und rauchte ruhig an ihrer neu angezündeten Zigarette. Der Wind, der durch das halboffenen Fenster hereingeweht wurde, ließ ihre kurzen Haare wild um ihren Kopf tanzen und verlieh ihrem ganzen Auftreten etwas Mystisches. Lächelnd reichte sie mir ihre Zigarette und ich nahm einen tiefen Zug. Nicht zum ersten Mal war mir aufgefallen, dass Eloise jetzt Nelkenzigaretten rauchte, ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. So saßen wir da und grinsten uns an, ein kleiner Moment Frieden.

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