Kapitel 41

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"Glaub daran, dass du es kannst, dann wirst du es können."
- Mulan

In den einen auf den anderen Moment, fanden Hava und ich uns auf der örtlichen Polizeistation wieder. Wir wurden von der Polizei mitgenommen, um ihnen die genauen Details des Geschehens zu schildern. Der ganze Prozess lief an mir vorbei, so als würde ich hinter einer milchigen Glaswand stehen. Denn meine Gedanken kreisten die ganze Zeit nur um meine Schwester.

Nun waren wir fertig und warteten nur noch auf jemanden vom SCPD, der uns erlaubte, endlich nach Hause gehen zu können.
Hava neben mir war völlig am Ende mit ihren Nerven. Immer wieder fuhr sie sich mit ihren Fingern durch das vollkommen zerzauste Haar. Von ihrer ordentlichen Frisur, die sie sonst immer trug, war schon lange nichts mehr zu sehen.

„Hava, ist wirklich alles in Ordnung bei dir?", fragte ich nun schon zum zehnten Mal bei ihr nach. Langsam fuhr ihr Blick zu mir, der noch immer vom Schock gekennzeichnet war. „Ich weiß ja nicht, was du mir alles noch verschweigst, dass du nach so einer Aktion aussiehst, als wäre nur die Tasche eine alten Frau geklaut wurden", antwortete sie scharf.

Ich schluckte. Die Sache mit Alvin hatte mich tatsächlich in einem gewissen Grad abgehärtet. „Hava", begann ich sanft und wollte ihr eigentlich mitteilen, dass mich die Sache genau so mitnahm, wie sie, da wurde ich von einer kräftigen Stimme unterbrochen, die plötzlich vor uns ertönte.
„Feya, Hava, da seid ihr ja", Oliver kam in schnellen und großen Schritten auf uns zugelaufen. Er sah wirklich besorgt aus dafür, dass er mit eigenen Augen gesehen hatte, dass ich doch alles im Griff hatte.

„Ich habe von dem Überfall auf Palmer Technologies gehört und bin so schnell hergekommen, wie ich konnte", seine Augen scannten uns beide eindringlich ab. In seinem früheren Leben schien der Kerl Schauspieler gewesen zu sein.

„Ich will einfach nur noch nach Hause", flüsterte Hava so leise, dass ich sie kaum verstand. Tröstend wollte ich sie in den Arm nehmen, aber da drehte sie sich auch schon von mir weg. Oliver, dem das Ganze natürlich nicht unbemerkt blieb, warf mir einen mitleidigen Blick zu.
„Gut, geht schon mal vor, ich werde das schnell regeln", teilte er mir mit, ehe er sich dann auch schon zu einen der Polizisten abwendete. Hava, die sich das natürlich nicht zwei Mal sagen ließ, hatte schon einen kleinen Abstand zu mir aufgebaut, sodass ich mich beeilen musste, sie noch einholen zu können.

„Hava? Hey, Hava? Jetzt warte doch mal!", langsam machte mich die Sache schon wütend. Ich hatte mittlerweile verstanden, dass sie sauer auf mich war und ich habe eben so verstanden, dass es scheiße war, ihr nichts von den ganzen Sachen zu erzählen, aber wieso konnte sie denn nicht auch einsehen, dass ich sie einfach nur versuchte zu schützen?

„Nein, lass mich einfach in Ruhe!", fauchte sie, „Ich wünschte, wir wären nie hier her gekommen!" Mit diesen Worten, die mich wie eine Faust trafen, drehte sie sich um und ließ mich allein und baff zurück.
Irgendwie überkam mich das beklemmende Gefühl, dass ihr in letzter Zeit auch etwas schlimmes widerfahren sein muss. Sonst war es gar nicht ihre Art, so zu reagieren. Vielleicht gab es da noch mehr, was sie bedrückte.

„Gut, wir können, ich habe der Polizei Bescheid gegeben, dass ich euch erstmal mitnehme und sie sich gern auch an mich wenden können", Oliver war wieder zu mir gekommen und sah verwirrt in die Richtung, in der Hava gerade um eine Ecke verschwunden war.
„Mach dir keinen Kopf, Feya. So eine Erfahrung, wie ihr heute durchmachen musstet, das kann keiner so leicht wegstecken." Ich nickte und versuchte Olivers Worte mir wirklich zu Herzen zu nehmen, aber ich konnte nicht anders, als mir die Schuld für das Ganze zu geben.
Die Fahrt nach Hause gestaltete sich als die unangenehmste Situation, die ich je in meinem Leben erlebt hatte. Ein peinliches Schweigen hatte sich im Wagen breit gemacht. Ich traute es mir nicht mal, richtig zu atmen.

„Denkst du, dass du zurecht kommst?", wollte Oliver leise von mir wissen, als wir endlich an unserem Apartment angekommen waren und Hava nachsahen, wie sie sofort in ihrem Schlafzimmer verschwand. Teilnahmslos zuckte ich mit den Schultern. „Das werde ich gleich schon sehen", antwortete ich lediglich, „Ich werde nochmal mit ihr reden müssen." Oliver nickte verstehend. „Dann will ich dich mal nicht davon abhalten", sagte er mit einem aufmunternden Lächeln auf den Lippen, die sofort meine gesamte Aufmerksamkeit auch sich zogen.
Mit einmal rückten alle meine Sorgen in den Hintergrund. Zu gern würde ich ihn nun an mich ziehen, um Trost in seiner Körperwärme zu spüren. Auch Oliver schien den plötzlichen Wechsel der Stimmung zu spüren, denn seine Brust begann sich unregelmäßig auf und ab zu bewegen. Ich könnte sogar schwören, gesehen zu haben, wie seine Augen ebenfalls auf meine Lippen glitten.

Doch keiner von uns beiden ging dem Verlangen nach. Stattdessen griff er nach meinem Oberarm und ließ seine warme Hand langsam hinabgleiten. Auf jedem einzelnen Zentimeter hinterließ er ein wohliges Kribbeln, was ich so gern über all auf meinem Körper gespürt hätte.
„Wenn du was brauchst, dann gib mit Bescheid", flüsterte er so leise, als wäre alles andere zu laut für diesen Moment sein. Zögerlich nickte ich, nicht fähig, noch etwas anderes von mir geben zu können. Wie in Zeitlupe wand er sich dann schließlich von mir ab und ließ mich allein zurück. Eine plötzliche Leere erfüllte mein gesamtes Inneres, doch ich konnte mich nicht weiter damit auseinander setzten, denn ich musste mich nun endlich mal um meine Schwester kümmern.
Also ging ich in die Richtung ihres Schlafzimmers. Zögerlich klopfte ich an die geschlossene Tür, jedoch erhielt ich keine Antwort. Eigentlich hatte ich schon mit solch einem Verhalten gerechnet.

Deswegen entschied ich mich, einfach in ihr Zimmer zu gehen. "Hey, Hava", begrüßte ich sie bedacht freundlich. Sie saß mit dem Rücken zu mir gedreht auf ihrem Bett, um aus dem Fenster zu schauen. Ihr Blick war leer, als ich mich neben sie setzte, um ihr in das Gesicht schauen zu können.

"Es tut mir so schrecklich Leid, Hava", flüsterte ich, während sich das Brennen in meinen Augen bemerkbar machte, "Ich wollte doch nichts anderes, als dich zu schützen. Es tut mir so Leid!"
Es verging eine halbe Ewigkeit, ehe sich meine Schwester zu mir drehte. Ihre blassen Augen landeten direkt auf mir, doch ihr Gesicht gab keinerlei Regung von sich.

"Ich kann das einfach alles nicht mehr, Feya!", antwortete sie nun endlich, was mir ein Stein vom Herzen fielen ließ, denn sie schien sich mir zu öffnen.
"Weißt du, das war so eine schlimme Zeit in Los Angeles und als wir dann hier her gezogen sind, habe ich gehofft, dass sich endlich alles bessern wird, aber anscheinend hat unser Umzug hier her noch alles viel schlimmer gemacht", redete sie auf einmal drauf los, das mich das Ganze ein wenig überraschte, dass mir im ersten Moment nichts einfiel, was ich antworten könnte.

"Seit wir hier sind, hat sich unser Leben um ein Vielfaches verschlechtert, Feya", ihr Blick wurde eindringlich, "Wir haben uns auseinander gelebt, du vertraust mir deine Probleme nicht mehr an und Alvin scheint uns dicht auf den Fersen zu sein und als wenn das noch nicht schlimm genug wäre, haben wir es auch noch mit einer Gruppe aus selbst ernannten Rächern zu tun, Feya, mit Rächern!"

Völlig in Rage geredet sprang sie von ihrem Bett auf und lief nun wahllos durch das Zimmer. Wieder einmal fuhr sie sich mit den Fingern durch das Haar. Stumm verfolgte ich sie mit den Augen. Natürlich hatte sie irgendwie Recht. Unser Leben hatte eine komische Wendung genommen, aber das hieß noch lange nicht, dass wir den Weg nicht noch ändern konnten.

Auf einmal blieb sie stehen. "Ich weiß einfach nicht, ob ich das alles noch mal durchstehen kann", murmelte sie leise zu sich selbst, wobei sie betroffen zum Boden sah. Dies war der Moment, wo ich endlich wieder einiger Maßen zu mir selbst fand. Sofort sprang ich ebenfalls auf und schloss meine Schwester in eine feste Umarmung.

"Hava, ich schwöre dir, wir werden das hinbekommen! Es wird wieder alles gut werden", flüsterte ich ihr während der Umarmung ins Ohr.

Ich wusste in diesem Moment nur nicht wirklich, wen ich damit versuchte, mehr zu beruhigen. Meine Schwester oder mich.

Arrow's BubbleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt