Kapitel 31

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John hatte Sherlock nicht noch einmal gesehen. Nach ihrem Gespräch und nachdem er in seinem Zimmer verschwunden war, hatte er noch einige Zeit gewartet. Aber auch nach zwei Stunden, nichts von ihm.

Und auch heute Morgen hatte er ihn weder sehen noch hören können.

Er fragte sich, ob Sherlock noch über seine Fragen nachgedacht habe oder ob er es einfach ignorierte.

Noch immer konnte er nicht glauben, dass sein bester Freund, Sherlock Holmes, der jegliche romantische Verstrickungen ablehnte und Gefühle als einen chemischen Defekt bezeichnet, ein Gefühl der Liebe für seine Freundin Molly empfand und ihr dies auch noch offenbarte.

Und jetzt verstand er auch, wieso Sherlock so verändert war. Wieso er auch gegenüber Meena und Greg beinahe freundlich war. Er hatte endlich die Liebe erfahren und sie in sein Herz gelassen.

Es schmerzte ihn auch ein wenig, wenn er daran dachte, was Sherlock danach getan hatte. Er hatte Molly verletzt, um sie zu beschützen. Aber schlussendlich hatte Sherlock sich nur selbst damit verletzt. Irgendwie, dachte er, musste er seinem Freund doch helfen können?

Heute Abend wird er nochmal versuchen mit Sherlock darüber zu sprechen, doch jetzt musste er erst einmal in die Praxis und seiner Arbeit nachgehen. Zum Glück war Freitag und er hatte ein ganzes Wochenende um seinen Freund irgendwie aufbauen zu können.

John kam gerade aus der Einrichtung, in der er seine Tochter täglich hinbrachte, als plötzlich ein schwarzer Wagen mit verdunkelten Fenstern vor ihm auftauchte.

Er verdrehte genervt die Augen, als er diesen jetzt vor sich stoppen sah.

'Was wollte Mycroft denn schon wieder?' dachte er sich und stieg dann langsam ein.

Wie immer saß seine Assistentin, Anthea auf der Rückbank und tippte auf ihrem Smartphone. Sie lächelte ihm kurz zu, als er sie begrüßte und wandte sich schließlich wieder ihrem Telefon zu.

Der Wagen begann sich in Bewegung zu setzen und wenig später stoppte er vor dem, ihm nur allzu vertrauten, Gebäude im griechischen Stil mit dem Namen „Diogenes Club". Leicht genervt begab er sich aus dem Auto, lief in Richtung des Einganges des Gebäudes und wurde sogleich von ein paar Männern in einen seperaten Raum geführt.

Er erkannte den Raum. Das letzte Mal war er hier, als er Mycroft auf Moriarty ansprach. John setzte sich in einen der Sessel und wartete.

„Hallo John. Schön Sie zu sehen" begrüßte ihn jetzt ein großgewachsener Mann im schnittigen Anzug.

„Mycroft, Hallo. Was gibt es?" fragte der Blonde zugleich.

Mycroft bewegte sich langsam auf seinen Schreibtisch zu und nahm dann schließlich in seinem Bürostuhl Platz.

„Wie immer, gleich zur Sache" lächelte Mycroft mit einem gespielten Grinsen auf den Lippen.

„Mir sind in letzter Zeit ungewöhnliche Verhaltensweisen meines Bruders aufgefallen. Ich habe ihn vor einigen Tagen gebeten, mich bei einem wichtigen Fall zu unterstützen. Eine Leichtigkeit eigentlich aber Sherlock zeigte erhebliche Schwierigkeiten. Ich meine, ich weiß, dass er schon immer der Langsame von uns Beiden gewesen war aber dieses Mal..." Mycroft stoppte kurz und versuchte die passenden Worte zu finden.

„Er ist unkonzentriert. Ihm entgehen Dinge. Ich habe das Gefühl---"

„Moment, Sie haben ein Gefühl?" unterbrach ihn John und lachte leicht spöttisch.

Mycroft strafte ihn daraufhin mit einem leicht abschätzenden Blick.

Er atmete einmal tief durch und fuhr dann fort.

„Ja, überraschend oder?" fragte er sich mehr zu sich selbst.

„Wie dem auch sei. Sherlock scheint jeglichen Bezug zur Rationalität zu verlieren. Und so langsam frage ich mich, ob die Ereignisse von Sherrinford ihm doch mehr zugesetzt haben als vermutet." sagte er dann. Sein Blick in die Luft gerichtet.

„Aha und wieso interessieren Sie sich eigentlich dafür?"

„Er ist mein Bruder, John. Er hat erst vor Kurzem erfahren, dass er eine Schwester hat---"

„Die ihn bzw. uns wiederum durch die Hölle gehen lassen hat!" unterbrach ihn John.

Mycroft sah ihn mit einem leicht erstaunten Blick an.

„Ja.." flüsterte er leise.

„Jedenfalls glaube ich, dass seine Emotionen allmählich in seinen Verstand eingreifen und er weiß damit nicht umzugehen. Wissen Sie, Sherlock ist nicht so stark, wie er immer nach außen vorgibt. Er war schon immer der Emotionalere von uns. Und ich mache mir Sorgen, dass er daran zerbrechen könnte"

John runzelte die Stirn, als er um die Sorgen von Mycroft für Sherlock hörte.

„Und was wollen Sie jetzt von mir?"

John war sich noch nicht so richtig klar, auf was Mycroft hinauswollte. Ja es stimmt. Sherlock hatte erst durch diese ganzen Erlebnisse mit seiner Schwester den Zugang zu seinen Gefühlen wiedererlangen können und auch er machte sich darüber Sorgen, dass Sherlock damit nicht umgehen könnte. Schließlich hielt er sich weiterhin dahingehend bedeckt und gab nach außen hin den vernünftigen und rationaldenkenden Menschen. Aber John wusste, dass dem nicht so war.

„Sagen Sie, diese Ms. Hooper. Hat sie etwas damit zu tun?" unterbrach Mycroft ihn bei seinen Gedankengängen.

„Wieso fragen Sie mich das? Wissen Sie nicht eigentlich schon immer Alles, was in Sherlocks Leben passiert? Und überhaupt vielleicht sollten Sie besser selbst mit Sherlock sprechen"

Wieder setzte Mycroft ein argwähnisches Lächeln auf.

„Natürlich nicht. Selbst ich kann nicht in den Kopf meines kleines Bruders reinschauen. Und John, wir beide wissen, dass Sherlock und ich nie über solche Dinge sprechen. Außerdem erkannte ich, dass Sherlock erst seit seiner Rückkehr aus Irland verändert ist. Also?" fragte Mycroft schließlich und sah ihn erwartungsvoll an.

„Welche Dinge?"

„Sagen wir einfach, Sherlock und ich pflegen eher Konversationen, die weniger einen emotionalen Kontext beinhalten. Also was glauben Sie?"

John nahm einen tiefen Atemzug.

„Okay. Also ich denke sie könnten da wohlmöglich Recht haben. Molly spielt definitiv in Sherlocks Leben eine größere Rolle, als er zugeben möchte. Und jetzt, nachdem sie wieder hier ist---"

„Moment. Ms.Hooper ist wieder London?"

„Ja, aber nur für einen kurzen Besuch. Wieso fragen Sie? Spielt das eine Rolle? Soweit ich weiß, sprechen sie sowieso nicht mehr miteinander." erwiderte John.

„Das tut es in der Tat. Sagen Sie John, weiß Ms. Hooper von den Ereignissen in Sherrinford?" fragte Mycroft dann.

„Ich glaube nicht. Jedenfalls haben Sherlock oder sie mir nichts darüber erzählt. Aber wie gesagt, Molly vermeidet den Kontakt zu Sherlock und Sherlock ignoriert wie immer alles" erwiderte der blonde Mann dann und schaute nach unten.

Dann erhob er sich schwungvoll von dem Sessel, in dem er zuvor gesessen hatte und strich sich die Sachen glatt.

„Okay, wenn das jetzt alles war... Ich muss jetzt gehen" sagte er dann und deutete ihm dann mit einem Zeichen auf seine Armbanduhr, dass er los müsste.

Mycroft starrte gedankenversunken in die Luft und versuchte die Informationen sinnvoll und für die aktuelle Situation erklärbar zu verbinden. Er winkte leicht ab und John verließ schließlich sein Büro.

Danach begab sich Mycroft wieder an seinen Schreibtisch, nahm den Hörer seines Telefons ab und drückte eine bestimmte Nummer.

Wenig später ertönte am anderen Ende eine, ihm nur allzu bekannte, Frauenstimme.

„Anthea, ich möchte, dass Sie etwas für mich erledigen"

Zweite ChanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt