Ein süßer Duft lag im Raum. Er verriet mir, dass Jazy schon auf war und wie jeden Morgen frische Orangen ausgepresst hatte. Mit dem fahrigen Blick eines Psychos suchte ich die geräumige Wohnküche nach ihr ab. Enttäuscht nahm ich mir ein Glas aus dem Schrank über der Spüle. Ich hatte sie verpasst! Mit der Hand fühlte ich kurz die Temperatur des Wasserstrahls. Er wurde schnell kühl und ich füllte das Glas randvoll. Trank es, ohne abzusetzen, in einem Zug leer. Es war seit frühester Kindheit mein Ritual am Morgen, um munter zu werden. Andere brauchten dafür Kaffee, doch schon meine Urli hatte mir immer eingetrichtert: „Das ist köstliches Hochquellwasser aus den östlichen Kalkalpen! Was Besseres gibt es nicht auf nüchternen Magen, Bub."
Ich ging zum Mixer, um mich um mein Frühstück zu kümmern. Ein Glas stand daneben und war mit einem Notizzettel abgedeckt. „Für Che!" Dümmlich grinste ich den Smiley an, den Jazy für mich unter diese zwei Wörter gemalt hatte. Ich hob den Zettel und kippte das halbe Glas Orangensaft in den Mixer. Ich schälte eine Banane, zerteilte sie grob und gab sie dazu. Im Kühlschrank fand ich noch eine halbe Avocado. Großzügig würzte ich das Ganze mit der Chai-Tea-Mischung und schaltete das Gerät ein.
„Immer dieser Krach in aller Herrgottsfrüh!", jammerte Julian und hielt sich theatralisch die Ohren zu. Er hatte anscheinend wieder eine durchzechte Nacht hinter sich. „Warum kannst du nicht einen Toast essen, oder Müsli, wie wir anderen?"
Seine Espresso-Maschine machte genauso viel Lärm wie der Mixer. Das hatte ich ihm schon unzählige Male gesagt, aber auf diesem Ohr war er taub. Ich leerte die Frühstücksmischung in mein Glas und setzte mich neben ihn an den großen Esstisch. Er hielt sich jetzt an seinem überdimensionalen Kaffeebecher fest. Sein Handy hatte er beiseitegelegt.
„Spät geworden gestern?", versuchte ich halbherzig mit ihm ins Gespräch zu kommen.
Er gähnte herzhaft. „Wo lebst Du eigentlich? Glaubst Du wirklich, ich geh derzeit noch aus? Da waren zigtausend Wiener beim Karneval in Venedig! Dagegen ist Ischgl ein Lercherlschas!", entrüstete Julian sich. „Ich habe für die Klausur gelernt."
Tom kam aus dem Bad und bekam den letzten Satz noch mit: „Was? Du lernst noch? Gestern in der Pressekonferenz haben sie bekannt gegeben, dass Kinos und Theater zusperren müssen und es keine Veranstaltungen in geschlossenen Räumen ab 100 Personen mehr geben darf. Wirst sehen, als Nächstes sperren die bei uns auch die Unis zu, wie in Italien! Ich tu mir die Streberei nicht mehr an."
Schon wieder dieses nervige Thema. Alles drehte sich seit Tagen, Wochen, nur noch um diese Pandemie! Ich konnte es nicht mehr hören. Schnell flüchtete ich ins freigewordene Badezimmer, bevor Julian mir zuvorkam.
Während ich unter der Dusche stand, machte ich mir trotzdem auch so meine Gedanken über diesen Virus. Der tat im Grunde auch nur das, was wir Menschen machen: Er steigt ins Flugzeug ein, oder in die Bahn, steigt um, trifft Freunde und hinterlässt Chaos. Er spiegelt damit das destruktive Verhalten der Menschheit auf der Erde.
Wir sollten ihn ehren! Nationalität war ihm fremd. Chinesen waren ihm genauso recht wie Italiener, Norweger und Österreicher. Die Erde ist rund, wie der Virus. Der ließ sich nicht davon aufhalten, dass neuerdings keine Flugzeuge aus China mehr bei uns landen.
Normalerweise dachte ich an angenehmere Dinge, wenn ich unter der Dusche stand. Jazy, wie sie am Morgen nach dem Aufstehen aussah. Jazy, wie sie in ihren Sportklamotten aussah. Jazy, wie sie am Abend aussah, wenn sie sich zum Ausgehen hergerichtet hatte. Ich war kein Stalker. Hoffte ich zumindest. War man ein Stalker, wenn man sich das Profilfoto einer Person zehn Mal am Tag ansah?
Was blieb mir anderes übrig? Meine Traumfrau wohnt zwar mit mir unter einem Dach, doch sobald sie mir nahe kam, spielten meine Gedanken verrückt und ich konnte ihr nicht mehr ins Gesicht sehen! Nicht dass ich ihr auf den Busen starrte, oder den Arsch. Nein, meistens schaute ich einfach auf meine eigenen Zehenspitzen. Sicher hielt sie mich für einen verklemmten Spinner.
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Lockdown-Liebe
RomanceChe hat seine Traumfrau gefunden. Jazy lebt sogar mit ihm in einer WG. Das einzige Problem bei der Sache, was kann er tun, damit sie ihn nicht für einen verklemmten Spinner hält? Als ob das nicht schwierig genug wäre, wird der nationale Lockdown ver...