Kapitel 1

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Anstrengende Tage und Wochen vergehen als wir endlich in der Nordwestküste ankommen. Wir überquerten den weiten Ozean, fuhren mit vielen Kutschen und schließlich auch mit einer Eisenbahn. An der Endstation steigen mein Mann Edward und ich aus. Draußen ist es noch dunkel, die Sonne sollte schon bald aufgehen. Ich quäle mich mit einem schweren Koffer, mein Mann hat bereits den Mann angetroffen der uns erwartet hatte und begrüßen sich recht freundlich.

„Warten Sie, ich helfe Ihnen Madame."

Endlich mal ein kultivierter Herr. Er trägt für mich den schweren Koffer aus dem Zug, wofür ich mich herzlich bedanke und einen kleinen Knicks mache. Er zieht sein Hut etwas nach unten und lächelt mir zu als er auch schon davon geht. Ich geselle mich zu meinem Mann. Der fremde Mann vor uns begrüßt mich freundlich und nimmt meine Hand in seiner: „Sie müssen Grace Montgomery sein. Es freut mich, dass sie sich so sehr für deren Kultur interessieren. Mein Name ist Wilson Roberts, aber nennen Sie mich ruhig Will."

„Freut mich." erwidere ich, „Ich bin auch schon sehr gespannt wie die Einheimischen leben und wie sie-"

„Wir werden auf jeden Fall viel von ihnen lernen." unterbricht mein Mann mich. Wie so oft. Ich rede zu viel, das mag er nicht. Als Will uns den Rücken kehrt um zu seiner Kutsche zu gehen und dabei spricht, bekomme ich einen vielsagenden Blick von Edward. Ich soll ruhig sein. Ihm nicht bei der Arbeit stören. Einfach unsichtbar sein. Schließlich nahm er mich mit, das dürfte wohl reichen.

Unser Gebäck wurde auf den Arbeitswagen mit Plane gebracht. Mein Mann sitzt bei Will und besprächen noch etwas wie wir uns am besten bei dem Stamm verhalten sollen. Ich sitze beim Gepäck auf einem Koffer und male etwas in meinem kleinen Buch. Es ist das einzige was ich tun kann um wenigstens ein bisschen frei zu sein. Einfach drauf los malen. Ich blicke hinaus, sehe wie die Landschaft kleiner wird und die Sonne aufgeht. Ich versuche das Bild in meinem kleinen Heft zu vertiefen. Drei Tage dauert der Weg noch, erzählte uns Will.

Als diese dann endlich auch mal vorbei sind, sehen wir schon von weiten den Stamm. Viele Tipis erkenne ich, trotz der holzenden Mauer davor. Meine Freude ist groß und aufgeregt bin ich. Um einen guten Eindruck zu machen, mache ich schnell nochmal meine hellen, lockigen Haare. Entflechte sie um sie daraufhin nochmal neu zu flechten und an meinem Kopf zu befestigen. Während der langen Fahrt erzählte uns Will, dass dieser Stamm nicht mehr jagt und keine Waffen mehr besitzen. Es wurde ein Reservat für sie. Bedeutet für uns, es ist komplett sicher. Paar Meter weiter steht eine große Hütte, dort sind britische Soldaten, die uns vor den Einheimischen beschützen werden. Es macht mir etwas Angst. Sind es denn unmenschliche Wesen? Würden die uns was antun? Ich habe schon einiges von ihnen gehört, doch konnte es nie glauben, schließlich kennen wir sie nicht. Aber so wie Will sprach, macht es mir doch Bedenken, dass ich die Reise mit antrat.

Wir steigen aus der Kutsche. Edward hält mir die Hand eher lustlos hin damit ich aussteigen kann. Ich streife mein Kleid zurecht und fühle nochmal ob meine Frisur sitzt. Die Sonne scheint grell, weshalb ich mir meinen Sonnenhut aufsetze und an meinem Hals binde, damit er nicht weg fliegt. Die Koffer nehmen wir später mit, meinte Will. Er klopft gegen das Holz und über uns, über der Mauer erscheint ein Soldat mit einem Gewehr in der Hand. Er begrüßt uns und hat uns erwartet. Er öffnet das Holztor und wir treten ein. Meine Freude und Angst verschwindet. Dieser Stamm sieht völlig leer aus.

„Die Rothäute arbeiten." meint der Soldat abwertend und steigt zu uns runter, „Schließlich muss ja wer unser Land aufbauen."

Will stellt uns vor: „Dass sind Edward und Grace Montgomery. Sie bleiben für 6 Monate hier und wollen den Stamm, deren Angewohnheiten und Kultur studieren."

„Wer will denn das wissen?" lacht der Soldat gehässig. Mein Mann antwortet: „Meine Schüler interessieren sich sehr für das neu eroberte Land und für die Einheimischen. Schließlich sind sie anders und für uns neu. Da gibt es bestimmt einige interessante Geschichten, die sie uns erzählen können."

Der Engel der ChemainusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt