Kapitel 6.2

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ESCAPE

Als wir vor
uns selbst flüchteten

32 Jahre nach der Wendung

VYRRAN

Ich hatte nicht gedacht, dass sie so schnell rennen konnte. Nicht, dass sie schnell genug war, dass ich sie nicht einholen konnte, allerdings hatte sie schon ein ganz schönes Tempo drauf. Sie sprintete aus dem Trainingsraum und ich sah ihr nach. Dann zuckte ich mit den Schultern und machte mich gemütlich auf den Weg, ihr hinterher. Sollte sie nur rennen. Letztendlich würde ich sie ohnehin einholen. Das war der einzige Grund, weshalb Oliver erlaubt hatte, meinen Plan durchzuführen. Sie würde vermutlich geradewegs auf die aktuelle Jagd auf die Abtrünnigen zurennen. Dort, wo die Shelter sie zusammentreiben würden. Dann würde ich sie wieder einfangen und zurückbringen. Vielleicht würde sie endlich die Augen öffnen. Wobei ich das kaum dachte, so stur wie sie eben war. Irgendwie war es etwas an ihr, das ich mochte. Allerdings machte es mich gleichermaßen wütend wie belustigt. Sie war nervenaufreibend. Hinterlistig. Wenn sie hinter etwas stand, dann anscheinend richtig. Von ihrer Meinung abbringen konnte man sie selten. Wenn ich ehrlich war hatte ich nicht so einen starken Charakter bei einer Gläsernen erwartet. Denn so eingesperrt wie sie gewesen war, musste sie keine Ahnung von der Welt haben. Und irgendwie, so sehr ich es auch wollte, konnte ich es ihr kaum verübeln.

Ich lief die Straße nach oben, ließ mir von einem der Leuten dort sagen, in welche Richtung sie gerannt war und joggte gemächlich hinterher. Sie durfte noch nicht weit sein. Ein wenig vor mir. Weit genug weg, um nicht zu merken, dass ich sie verfolgte. Wobei sie nicht dumm war und ziemlich sicher ahnte, dass jemand hinter ihr her war. Dass dieser jemand ich war, konnte sie sich bestimmt auch denken. Dass es geplant war, dass sie weglief, allerdings nicht. Und dass sie geradewegs dorthin lief, wo wir sie haben wollten, schien ihr auch nicht in den Kopf zu kommen.

Vor mir tauchte der Wald auf, in den sie gerannt sein musste. Ich sah auf die schmale Uhr, die ich mal aus den Städten gestohlen hatte. Eines der älteren Modelle, allerdings noch vollkommen funktionstüchtig. Man konnte sie auf eine Person programmieren. Und da Blade beinahe den ganzen Tag damit beschäftigt war, sich in irgendwelche Systeme zu hacken, war dies beinahe ein Kinderspiel gewesen. Wobei sie wesentlich schwerer zu finden gewesen war. Sie war wichtig für das System. Warum hatten wir noch nicht ganz herausgefunden. Aber allein die Tatsache, dass sie es war, genügte, um sie als Waffe gegen die Gläsernen zu verwenden.

Ein grüner Punkt auf der Karte, der sich immer weiter dem Einschlagloch näherte. Ihre Schritte wurden immer langsamer.

Ich beschleunigte meine eigenen. Ich würde sie bald einholen. Das zumindest sagte mir ihr Punkt, der meinem immer näherkam. Schließlich konnte ich sie in der Ferne erblicken. Sie stand hinter einem Felsen und spähte hervor um sich das Schauspiel anzusehen, das sich ihr bieten musste. Lautlos trat ich über das Feld und hielt mich im Schatten der Bäume, bis ich schließlich meinte, ihren schnellen Atem hören zu können. Vor mir ertönten Schüsse. Ich wusste genau, dass sie aus den Einschlaglöchern kamen. Dort, wo die Shelter die Abtrünnigen gefunden haben mussten. Wenn es eine Sache gab, die die Rebellen und die Gläsernen verband, dann war es, dass wir beide gegen die Abtrünnigen waren. Ehemalige Gläserne, die von den Chips in ihrem Kopf übernommen worden waren. Kaum mehr menschlich, kaum mehr Gefühle. Mehr Roboter als etwas echtes. Zudem verdammt gefährlich. Man könnte sie als Zombies beschreiben, oder womit auch immer sich die Menschen vor den Gläsernen belustigt haben. Allerdings war das Einzige, das Zombies gleichkam, ihre Art, sich auf alles zu stürzen, was nicht ihrer Art angehörte. Sie waren schlau, Maschinen eben, zu denen sie die Chips gemacht hatten. Die Gläsernen leugneten sie größtenteils, denn dass es sie gab, hieß, dass ihr ach so tolles System den ein oder anderen Fehler vorweisen würde. Ich schnaubte. Der ein oder andere Fehler. Ihr ganzes beschissenes System war ein einziger Fehler.

Ich schlich noch ein paar Schritte an Heather heran, bis ich schließlich unbemerkt hinter ihr stehen blieb. Sie roch gut, wie ich merkte, als der Wind ihre dunklen Haare in meine Richtung wehte. Ich stand einfach nur da und nahm jede einzelne ihrer Bewegungen genaustens wahr. Ich wusste, was sie da sah. Ein Schuss ertönte, Heather zuckte zusammen. Ein weiterer, sie keuchte.

„Das ist es, was die Gläsernen tun", sagte ich schließlich, wohl bewusst, dass sie mich nun bemerken würde. Sie fuhr herum, ihre dunkelblauen Augen blitzen und sie riss den Mund auf. Ehe ihr jedoch ein Schrei entweichen konnte, der uns an die Shelter verraten hätte, wirbelte ich sie herum, presste meine Hand auf ihren Mund und zog sie an mich. Ihr Brustkorb hob und senkte sich stetig, ihr Herz schlug schnell.

„Wenn sie uns entdecken sind wir beide tot", murmelte ich direkt in ihr Ohr. Ich musste ihr nicht so nahe sein, aber ich wollte es. Es war absurd. Ich schob es darauf, dass ich sie nerven wollte.

Sie biss mir in die Hand. Weil es etwas war, was ich eindeutig nicht erwartet hatte, zuckte ich zurück. „Ich bin nicht doof, Arschloch", fauchte sie dann. Nicht laut genug, dass uns die Shelter entdecken konnten.

Ich fragte mich, warum sie auf einmal wieder so gefasst schien. Sie hat gerade zu Gesicht bekommen, wie die Shelter ehemalige Mitglieder ihres Systems, ohne nachzudenken umbrachten.

„Kommst du mit zurück?", fragte ich.

Sie schnaubte. „Habe ich eine Wahl? Wohl kaum."

Ich fasste sie an ihrem Unterarm und zog sie mit mir zurück in Richtung der kleinen Stadt.

„Willst du nichts dazu sagen?", fragte ich schließlich.

„Wozu?" Sie stellte sich dumm, das merkte ich ziemlich gut. Tracy tat es manchmal, wenn sie beleidigt war.

„Dass die Gläsernen ihnen erst die Chips eingepflanzt haben, sie also Schuld daran sind, dass sie zu Abtrünnigen werden und sie dann eiskalt umbringen."

Sie schnaubte ein weiteres Mal. Sie schien ein kleiner Stier zu sein. Ebenso stolz. Mit den Hörnern voraus ins Ziel. Und das wenn sie bloß ein rotes Tuch sah. Irgendwie brachte mich dieser Vergleich zum Schmunzeln.

„Was ist daran so lustig?", fauchte sie.

„Nichts", murmelte ich und dennoch wich mir das Grinsen nicht aus dem Gesicht. Ich grinste selten bis nie.

„Sie tun es zu unserem Schutz", sagte sie schließlich bestimmt.

„Die Leute umbringen, wobei sie selbst dafür gesorgt haben, dass sie so werden?" Gott, sie konnte doch nicht ehrlich so wenig darüber nachdenken, oder? Ich krallte meine Finger fester in ihren Arm. Mittlerweile waren wir wieder bei der Stadt angekommen. Manche Leute starrten uns an, andere wiederum schenkten uns nicht die geringste Aufmerksamkeit.

„Sie tun es zu unserem Schutz!", wiederholte sie.

Ich seufzte. „Und was ist, wenn sie es sind, wovor man geschützt werden muss?"




[Kapitel 6.2 :D Gerade schreibe ich sehr gerne an diesem Buch und es macht mir Spaß. Allerdings kommt jetzt bald die Stelle, an der ich jedes Mal aufgehört habe xD Dieses Mal habe ich aber ein gutes Gefühl und bin zuversichtlich, dass ich es dieses Mal hinbekomme :) Ich wünsche euch noch einen schönen Tag und setze mich dann Mal an Kapitel 7.1 :D]

Stadt aus Glas- Das Erwachen der Sterne (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt