LOSING
Über das Zweifeln
An der Welt32 Jahre nach der Wendung
HEATHER
Der Rückweg kam mir nicht ansatzweise so lange vor, wie der Weg, den wir hingelaufen waren. Obwohl ich merkte, dass es die gleiche Strecke war, denn ich erkannte den Bahnhof wieder, an dem wir mit dem Zug angekommen waren und auch an die Gegend.
Wieder stiegen wir auf den Güterzug auf und eine ganze Zeit fuhren wir schweigend. Fray sagte nicht viel. Ich kannte Lia zwar nicht, aber es musste ihn schwer mitgenommen haben, dass sie nun weg war. Auch wusste ich, dass er sie unbedingt finden wollte. Er grübelte nahezu den ganzen Tag über nach und auch wenn er schweigsam war, sah man doch nur allzu gut den Sturm, der in ihm toben musste.
Vyrran lief die ganze Zeit neben mir. Auch nun saß er zu meiner linken, den Kopf gegen eine der vielen Kisten hinter uns gelehnt. Der Boden des Wagons war dreckig, mittlerweile jedoch machte es mir nichts mehr aus. Ich fragte mich, wie ich all die Jahre auf so etwas so sehr hatte achten wollen. Es war mir nicht mehr wichtig. Vielleicht war es mit der Erkenntnis gekommen, dass die Gläsernen nicht das waren, was sie vorgaben zu sein. Vielleicht hatte ich es schon ab dem Zeitpunkt nicht mehr als wichtig empfunden, als ich aus der Stadt raus und bei den Rebellen gelandet waren.
"Was machen wir jetzt, Vyrran?", fragte ich und lehnte meinen Kopf zur Seite, um ihn anzusehen. Er zuckte mit den Schultern. Auch er sah mich nun an. "Das, was wir besprochen haben", meinte er schließlich und für einen kurzen Augenblick blieb sein Blick an meinen Lippen hängen. Dann sah er zu meinen Augen und als sein grün auf mein dunkles Blau traf, meinte ich dass die Welt für einen winzigen Augenblick aufhörte, sich zu drehen.
"Das habe ich verstanden", meinte ich und schluckte mühsam. "Aber ich kann nicht kämpfen wie ihr. Ich bin nicht so schnell und nicht so stark. Ich werde euch bloß aufhalten."
Ein kleines, trauriges Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. "Heather", murmelte er dann und schmunzelte. Die Art, wie er meinen Namen sagte, ließ mein Herz beben. Verdammt, wie lange kannte ich ihn jetzt? Kannte ich ihn überhaupt? Wohl kaum. Allerdings wusste ich, dass er seine Schwester liebte. Ich wusste, dass er stur war und dass er etwas tat, wenn er sich es erstmal in den Kopf gesetzt hatte. Er trainierte und des Öfteren hatte ich ihn Kaffeetrinkend erwischt. Ich wusste, es waren bloß die kleinen Dinge. Ich konnte ihn kaum richtig einschätzen, geschweige denn sagen, was er tat und was er von mir wollte. Doch manchmal genügten kleine Details, auch wenn sie nur einen Teil des Puzzels ausmachten.
Doch eigentlich... eigentlich sollte ich ihn nicht einmal mögen. Wie oft hatte ich nun versucht, mir das einzureden? Oft genug um zu merken, dass es nicht funktionierte.
Ich seufzte. "Es stimmt doch. Was sollt ihr noch mit mir tun? Warum habt ihr mich nicht an der nächsten Ecke abgeladen oder mich irgendwie zurück zu den Gläsernen geschafft?"
Er zog eine dunkle Augenbraue hoch. "Ich weiß nicht, ob du es schon verstanden hast, aber wir sind nicht die Gläsernen. Ich würde gerne sagen, dass wir dich nur mitnehmen, weil wir niemanden zurücklassen, was natürlich auch stimmt, allerdings brauchen wir dich. Immernoch. Auch wenn du sagst, die Gläsernen haben dich verstoßen. Auch wenn die Chance gering ist, dass sie dich suchen. Du kannst uns Dinge sagen, die wir bisher noch nicht wissen und die durchaus hilfreich seien können. Und wärst du nicht so verdammt stur würdest du endlich mal einsehen, dass du durchaus kämpfen könntest. Du bist nicht weniger wert, bloß weil du bestimmt Sachen nicht kannst. Das Meiste ist doch ohnehin nur Übungssache, Heather."
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Stadt aus Glas- Das Erwachen der Sterne (Band 1)
FantascienzaBei einem Brand, ausgelöst von den Rebellen, wird die siebzehn jährige Heather von eben diesen gefangen genommen. Nach und nach werden ihr die Schattenseiten des Systems der Gläsernen, in dem sie aufgewachsen ist bewusst und sie beginnt, an ihrer Ve...