NIGHT
Als wir fanden
Was wir suchten27 Jahre nach der Wendung
THALIA
In der Dunkelheit verlor sich meine Stimme in einen einzigen, leisen Laut, der einsam einen Weg durch meinen leicht geöffneten Mund fand. Ich wollte schreien, wollte meinem Herz sagen, es soll nicht so schmerzen, wie es das in diesem Augenblick tat. Aber ich wusste, ich konnte nicht anders.
Es waren erst ein paar Minuten vergangen, seit Heather reingegangen war. Ich lag noch immer unbewegt hier. Den Plan hatte ich schon länger. Wollte schon länger hier weg. Aber Heather wollte ich nicht zurücklassen. Sieben Jahre würde ich noch zu leben haben, wenn ich jetzt ging. In sieben Jahren konnte sich viel tun. Sieben Jahre konnten genug sein, um meinem wilden Herz die Freiheit zu geben, nach der es so sehr verlangte, dass es beinahe daran zerbrach.Ich setzte mich auf und war somit dazu gezwungen, die Augen von dem sternenlosen Himmel abzuwenden. Stattdessen blieben sie für wenige Augenblicke an der Stadt hängen, die mir zu Füßen lag. Ich würde gehen. Nicht zurückkehren, denn wäre ich einmal hier weg, würde es unmöglich sein, mein jetziges Leben dort weiterzuführen, wo ich nun aufhörte.
Ich schluckte und obwohl ich so entschlossen war, wie lange nicht mehr, verschwand der Kloß nicht, der sich in meinem Hals gebildet hatte. Dennoch richtete ich mich auf und ging, ohne zurück zu schauen, ebenso wie Heather noch ein paar Minuten zuvor zu der Tür, die mich zurück in das Gebäude führen würde.
Die Treppe konnte ich im Schlaf hinunterlaufen, doch nun war ich hellwach. Vor Heathers Tür hielt ich an. Blickte unschlüssig auf die Türklinke. In diesem Zimmer war meine Schwester. Vielleicht ahnte sie, was ich vorhatte. Dennoch hatte sie nichts gesagt, oder versucht, mich aufzuhalten. Ich war ihr nicht böse deswegen. Denn nach wie vor schien sie der festen Überzeugung zu sein, das Richtige zu tun.
Ich schluckte ein weiteres Mal, meine Finger verharrten für kurze Zeit reglos auf dem kalten Eisen der Klinke. Dann ließ ich sie wieder sinken.
Nur wenige Minuten später hatte ich mich aus dem Gebäude geschlichen und lief in Richtung des Bahnhofes, der sich etwas außerhalb befand. Er wurde nicht mehr oft benutzt. Oliver hatte mir gesagt, ich solle hierherkommen.
Ich vertraute ihm nicht. Ganz und garnicht. Aber er war meine Gelegenheit, von hier fort zu kommen. Und wenn er meine einzige Gelegenheit war, würde ich eben gezwungen sein, sie zu nutzen. Die Straßen waren leer und nur die Neonleuchten, die an jeder Ecke angebracht waren, erleuchteten mein Verschwinden. Meinen Verrat, wie Heather es betiteln würde. Ich war ihr nicht böse deswegen. Wirklich nicht. Manchmal wünschte ich mir, ich könne es sein. Denn würde sie auch mal nur darüber nachdenken, was die Gläsernen taten, wäre ich nun vielleicht nicht so allein, während ich dieser farblosen Stadt für immer den Rücken kehrte.
Die wenigen Leute, die mir auf der Straße begegneten, schenkten mir keine Beachtung. So ließ ich mir nach einiger Zeit also die Kapuze von den Haaren gleiten, strich mir dunkle Haarsträhnen aus der Stirn und kam erst vor dem alten Bahnhof zu stehen. Ich befand mich in Viertel 14, einem der ärmeren Viertel dieser Stadt. Die Gassen waren düster und dunkel, die Neonleuchten, die mir aus dem Zentrum so vertraut waren, verschwunden. Das Bahnhofsgebäude erstreckte sich, in dem weißlichen Schein der, weiter weg stehenden Laternen, dem Himmel entgegen.
Ich atmete tief durch, dann öffnete ich die riesige, hölzerne Tür. Knarzend schwang diese auf. Es grenzte an Wundern, dass dieser Bahnhof noch nicht längst dem Erdboden gleich gemacht worden war. Doch da er noch durch den Transport einen gewissen Nutzen für die Gläsernen hatte, stand er noch hier, wie schon seit Jahren. Vermutlich hatte er hier schon vor der Wendung und der Gründung der Gläsernen gestanden. Es war eine Seltenheit, dass solch großen Gebäude wie eben dieser Bahnhof, die aus der Zeit vor der Wendung stammten, auch nun noch hier existierten. Doch ich sollte mir nicht weiter den Kopf darüber zerbrechen, denn immerhin war es nun zu meinem Vorteil.
Ich betrat den dunklen Eingang und machte mich auf den Weg zu den Gleisen, wo Oliver auf mich hatte warten wollen. Mein Herz pochte in einem ungesunden Tempo in meiner Brust. Ich wusste nicht, ob es Angst oder Aufregung war, die es so schnell schlagen ließen. Vermutlich beides.
„Da bist du ja", ertönte die Stimme des Mannes, die ich bisher nur von dem Telefon kannte. Neben ihm stand ein Junge, der ungefähr in meinem Alter sein musste. „Hast du es gut hierher geschafft?"
Ich nickte, weil ich mich nicht dazu imstande fühlte, etwas zu sagen. Ausnahmsweise fühlte ich mich so, als könne ich nicht belanglos plappern, bis mein Gegenüber einschlief. Heather zog mich immer damit auf. Mein Herz wurde schwer. Heather. Ich würde sie nicht wiedersehen. Das war es, was mich hier gehalten hatte. Denn wenn ich ging, hieß es, dass ich meine Schwester zurücklassen musste. Und dennoch stand ich nun hier.
„Das ist Fray", meinte Oliver und deutete auf den Jungen, der dicht neben ihm stand. „Sohn des Leiters der dritten Sektion."
„Hallo", sagte er und seine Stimme klang sehr viel fester und erwachsener, als ich es erwartet hatte.
"Hallo", gab ich zurück und bemühte mich, ebenso selbstsicher zu klingen. Meine Hände krallte ich in den Saum des Ärmels meines Pullovers.
"Der Zug da", Oliver zeigte auf einen der Güterzüge, "führt uns aus der Stadt raus. Seid ihr bereit?"
Fray nickte ohne zu zögern und mein Blick blieb für einen kurzen Augenblick an ihm hängen. Die blonden Haare waren zerzaust, die blauen Augen leuchteten selbst in der Dunkelheit noch unerschütterlich. Die Mundwinkel waren nach unten gezogen. Er erinnerte mich irgendwo ein wenig an meine Schwester. Wobei sie äußerlich, ebenso wie ich, das komplette Gegenteil von ihm darstellte.
Oliver betrachtete uns noch kurz, dann führte er uns zu dem Zug. Fray sprang hinter ihm auf und hielt mir die Hand hin, um mir hoch zu helfen. Kurz überlegte ich, dann legte ich meine zitternden Finger in seine und ließ mir von ihm auf den Zug helfen.
"Was führt dich hierher?", fragte er schließlich, als wir nebeneinander hinter Oliver her liefen.
Kurz zuckte mein Kopf zur Seite und seine Augen streiften meine. "Die Sterne", murmelte ich dann. "Die Freiheit. Das Echte, das es in den Städten nicht gibt."
Er schwieg und als ich auch nach einer Weile bloß seinen Blick auf mir spürte, merkte ich, wie ich nervös wurde. Meine Fingernägel krallte ich in meine Handballen und begann, meine Unterlippe zu malträtieren. "Wie ist es bei dir?", brachte ich hervor und sah erneut zu ihm.
Er zuckte mit den Schultern. "Es würde zu lange dauern, das zu erzählen."
"Ich habe Zeit", murmelte ich. Sieben ganze Jahre.
"Nicht nur das", meinte er nach einer Weile. Der Zug war losgefahren und langsam wurde die Stadt kleiner. Meine Hände zitterten, nicht weil mir kalt war, sondern vor Aufregung. Nicht mehr lange und wir würden die Kuppel verlassen, die die Stadt umgab. "Du hast die Freiheit. Du kannst sagen, was du willst, ohne Angst zu haben, direkt weggesperrt zu werden." Fray hob die Hand und deutete nach oben. Wie von selbst hob ich den Blick. "Du hast Sterne, Thalia."
Mein Herz begann, heftig in meiner Brust zu pochen, als ich den Himmel über mir erblickte. Er hatte Recht. Ich hatte Sterne. Und Heather war der Preis dafür gewesen.
[Okay, muss ehrlich sagen, dass ich mit dem Kapitel ein bisschen unzufrieden bin xD Aber ich kann ja noch alles überarbeiten :) Heute lege ich einen Schreibtag ein und würde gerne noch Kapitel 8.2 schaffen. Bestenfalls auch noch Kapitel 9.1 :) je nachdem wie lang Kapitel 8.2 eben wird :D Was haltet ihr von Thalia? Und wie findet ihr diesen kleinen Rückblick? Ich wünsche euch noch einen schönen Tag!]
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Stadt aus Glas- Das Erwachen der Sterne (Band 1)
Science FictionBei einem Brand, ausgelöst von den Rebellen, wird die siebzehn jährige Heather von eben diesen gefangen genommen. Nach und nach werden ihr die Schattenseiten des Systems der Gläsernen, in dem sie aufgewachsen ist bewusst und sie beginnt, an ihrer Ve...