Er atmete stockend ein und spürte seine Kopfschmerzen wieder deutlich. Ruhig bleiben, sagte er sich und glaubte sich doch selbst kein Wort. Er hatte keine Ahnung, ob seine Mutter ihn überhaupt zu José lassen würde, wenn er es bis dahin schaffte.
Wenn selbst Marc seine Zerstreutheit nicht entging, würde sie erstrecht wissen, wie er seinen Abend verbracht hatte, während sein Bruder noch im OP gewesen war.
Oh Gott verdammte Scheiße, was hatte er nur getan?
Seine hektische Atmung weckte auch seinen Magen wieder aus seiner Lethargie und der stellte gerade angesäuert fest, dass man ihn mit Aspirin gefüttert hatte. Als sein Blick nun auch noch auf den Orangensaft fiel, den er noch gar nicht angerührt hatte, schluckte er mit einem klickenden Geräusch.
Aber er konnte das Sprudelwasser nicht überreden, unten zu bleiben, und bevor Marc noch etwas sagen konnte, hechtete er an ihm vorbei, direkt in sein Bad, und landete mit einem üblen Schlag auf die Knie vor der Toilette.
Und während er sich hustend und wie ein Hund leidend übergab, holte Marc ihm ein Glas Wasser. In seinem Kopf hämmerte es unaufhörlich, aber er spürte auch eine andere Stelle schmerzen. Er war wohl irgendwo angeeckt, denn sein Oberschenkel brannte erneut.
»Hier, spül aus.«
Kaum hatte Rico den Kopf gehoben, fiel Marcs Blick auf den immer größer werdenden Blutfleck, der seine Jeans färbte.
»Cazzo, was ist das?«
Er versuchte abzuwinken, aber er konnte nicht kaschieren, dass es übel war. Er sah selbst, dass sein tolles Pflaster einen Scheiß heilen konnte, und ließ resigniert den Kopf auf die Klobrille fallen. Zum Glück war die ganze Wohnung beinahe klinisch rein.
Marc griff nach einem Handtuch und drückte ihm das arme Stück Frottee aufs Bein, dass Rico erneut schmerzhaft zusammenzuckte. Sein erster Reflex war, ihn davon fern zu halten, seine erste wirkliche Reaktion, nach einem viel zu hohen Jauchzen, war allerdings das Festkrallen an der Keramikschüssel.
»Wie schlimm ist es?«, wollte Marc wissen.
Aber Rico schüttelte nur den Kopf, er hatte keine Ahnung. Sah übel aus, ja, aber er hatte gedacht, das würde sich schon von allein regeln, irgendwann jedenfalls.
Marc verharrte neben ihm, solange bis er wieder etwas ruhiger atmete, und unterließ es freundlicherweise, ihm auch dafür noch eine Schelte zu erteilen. Irgendwann hob er das Handtuch an, um zu prüfen, ob es noch blutete.
Der Fleck war nicht merklich größer geworden, also ließ er allmählich von ihm ab. Die neu gewonnene Freiheit durfte Rico aber nur kurz genießen, denn gleich darauf kam er mit einem kleinen Verbandskasten zu ihm zurück.
Anhand der Größe des Blutflecks nahm Marc Maß für ein neues Pflaster. Dann legte er Tupfer und Desinfektionsmittel bereit und sah ihn erwartungsvoll an.
»Willst du es selbst machen?«
Als ob er sich von ihm anfassen lassen wollte. Nichts da. Mit einem bösartigen Blick griff er nach dem Pflaster, aber dann rührte er sich nicht. Er würde sicher nicht die Hose runter lassen, wenn der Kerl ihm zusah.
»Dürfte ich vielleicht allein sein?«
»Entspann dich, Kleiner.« Sein Ton war beinahe süffisant, aber wenigstens stand er auf. »Kleb' das gut ab, ich sehe mal, ob ich was habe, das dir passt.«
Als die Badezimmertür geschlossen wurde, ahnte Rico bereits, dass er sehr bald zurückkommen würde, um ihm saubere Klamotten zu bringen. In der Zwischenzeit konnte er sich zumindest schon einmal auf den Wannenrand hocken, aber er würde warten.
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Queens Blvd
Teen Fiction| Watty-Gewinner 2021 in YA | »Ich wünschte, du würdest aufhören, ständig die Luft anzuhalten, und wieder anfangen, dein Leben zu genießen.« Als Schulabbrecher hat der sechzehnjährige Rico andere Sorgen als Mathetests. Das schnelle Geld macht ihn zu...