Kapitel 17: Schöne Grüße

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Bis auf dieses eine Mal in der neuen Schule hatte Rico sich nie geprügelt, und das auch nur, weil dieser andere Typ angefangen hatte. Damals hatte er kaum bewusst gehandelt, diese Wut war einfach mit ihm durchgegangen.

Tja, heute war eben alles anders, und er selbst komplett im Arsch.

Alles an ihm schrie vor Schmerz, sein Magen war immer noch ein einziger Knoten und dieses verdammte Messer ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.

Es war nur ein kleiner Schnitt in seinen Oberschenkel gewesen, aber der brannte noch immer wie ein verdammtes Gusseisen direkt aus dem Ofen.

Die Kerle hatten sehr genau darauf geachtet, dass sie ihm lediglich ein Veilchen verpassten und der Rest seiner Strafe unter seinen Klamotten verschwand. Für andere würde es nach einer Prügelei unter Jungs aussehen, was in seinem Alter nicht ungewöhnlich war – wenn das blaue Auge auch nicht gerade nach Schulhof, sondern vielmehr nach Boxring schrie.

Aber unter der Schicht Baumwolle zeugten die Prellungen und Platzwunden von einer sehr deutlichen Message. Beim nächsten Fehltritt wären sie weit weniger gnädig.

Der einzige, mit dem er seitdem gesprochen hatte, war Joaquin. Denn trotz des Risikos, erwischt zu werden, musste er verkaufen. Aber länger als unbedingt notwendig würde er nicht mit dem Zeug auf der Straße herum rennen. Wer wusste schon, wem er als nächstes begegnen würde.

Als er endlich an dem alten Bauzaun eine Querstraße von der Schule entfernt ankam, warteten die Jungs bereits auf ihn. Joe präsentierte ihn wie den Messias, doch seinen Kunden war anzusehen, dass sie seine Verspätung nicht gerade schätzten. Einer von ihnen wollte seinem Ärger unbedingt Luft machen.

»Wir haben auf dich gewartet.«

»Und du wirst warten, bis du schwarz wirst, wenn du mir noch mal blöd kommst. Du willst etwas von mir, also halt's Maul und drück ab oder verpiss dich.«

Der bislang von seinem Stoff begeisterte junge Typ verschluckte sich beinahe an seiner Zunge, kramte aber kurz darauf sein Portmonee hervor. Rico hatte genug von den arroganten Schnöseln, die glaubten, sie stünden über ihm, wenn sie doch auf ihn angewiesen waren und nicht umgekehrt.

Schluss mit dem Scheiß. Er machte hier seinen Job, um seine Defizite auszugleichen, nicht um Freunde zu finden. Und genau diese Haltung sorgte auch dafür, dass die Jungs die plötzlich erhöhten Preise zerknirscht aber schweigend akzeptierten.

Selbst Joaquin wagte nicht, seine hochgradig beschissene Laune zu kommentieren. Vielmehr schnitt er sich davon gerade ein Scheibchen ab und gab sich ebenso unantastbar, um den Schein zu wahren, den Rico mitgebracht hatte.

Nachdem der seine mitgebrachte Ware losgeworden war, verschwanden die Jungs ohne Umschweife, ohne Smalltalk oder Nachfragen. Offenbar wollten sie es sich dann doch nicht mit ihm verscherzen.

Joe wartete mit erhobenem Kinn, bis sie außer Sichtweite waren, erst dann wandte er sich an ihn. »Scheiße, was ist mit dir passiert? Wer war das? Alter, den Wichser schnapp' ich mir ...«

»Der Wichser ist dein Boss. Schönen Gruß von Camilo.«

In Joes Gesicht flackerten die Reaktionen wie die wackeligen Bilder eines uralten Heimkinoprojektors. Seine Drohung wollte er im gleichen Moment zurücknehmen, würde die allein eine ähnliche Strafe fordern, sollten sie an die falschen Ohren dringen.

Aber er wollte ihm ja nicht glauben, dass es im echten Drogenmilieu härter zuging. Sein Wissen über die Szene bezog er aus Film und Fernsehen, und er war immer davon ausgegangen, die Methoden seien bewusst übertrieben dargestellt. Er hatte sich geirrt.

»Mein Rad?«, wollte Rico wissen.

Er war offensichtlich nicht in der Stimmung für Plaudereien und sobald Joe sein Mountainbike hinter der Litfasssäule hervorgeholt hatte, das nach seiner gestrigen Flucht hier zurückgeblieben war, wollte er auch schon wieder gehen.

»Hey Mann, wenn du eine Pause brauchst, komm vorbei. Ich habe immer eine Couch für dich frei.«

In Ordnung, das war nett genug, dass Rico wenigstens zustimmend nicken konnte, wenn er auf dieses Angebot auch so schnell nicht zurückkommen würde.

»Sammle weiter Kunden. Ich melde mich.«

Vor seinem Freund wollte er sich nicht die Blöße geben, vor Schmerz keuchend auf sein Fahrrad zu steigen, also wartete er, bis der sich zum Gehen umdrehte, zog die Kapuze noch einmal herunter und schob es ein Stück in die andere Richtung.

Er wäre besser gleich aufgestiegen und die entgegen gesetzte Straße hinunter geflohen. Wenn er dachte, die ganze Scheiße konnte nicht noch mehr stinken, irrte er, denn nun stand ihm plötzlich wieder der Fremde von neulich gegenüber.

Queens BlvdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt