Bonus 43: One In A Million

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Was für eine Woche.

Rico streckte sich auf der Couch aus so gut es ging und ließ die vergangenen Ereignisse noch ein letztes Mal Revue passieren. Tatsächlich war seit der Aufnahme dieses verdammten Videos und der letzten Auseinandersetzung mit Joe gerade einmal eine Woche vergangen.

Aber die hatte es in sich gehabt. Was er in dieser Zeit gelernt, erfahren und verloren hatte, war definitiv nicht notwendig, dafür aber umso lehrreicher gewesen.

In der Zeitung hatte gestanden, dass die Polizei einen anonymen Hinweis bekommen hatte. Angeblich sollte auf dem vermeintlich verlassenen Grundstück in der Commercial Street in Green Point eines der größten Drogenlabore der ganzen Stadt gewesen sein.

Nun, mit dem Umfang hatte man deutlich übertrieben. So stolz die Jungs dort auch auf ihre Produktion gewesen waren, ein Fall für die Zeitung war der Bunker sicher nicht.

Dementsprechend enttäuschend muss es für die DEA gewesen sein, dort nur ein paar Dealer und einen wie immer bekifften Juan vorgefunden zu haben.

Sie konnten von Glück reden, dass Rico noch auf seinem Weg dorthin von Joe ausgebremst worden und nicht selbst in diese Razzia hineingelaufen war. Ebenso glücklich schätzte sich Tante Estelle, die Benito dazu verdonnert hatte, José und seine Mutter aus dem Krankenhaus abzuholen, während dort die Hölle losgebrochen war.

Natürlich hatte sein Cousin mehr Informationen gehabt, als Rico bei ihm gewesen war, um dieses verfluchte Video löschen zu lassen. Jazz hatte wohl abhauen können. Zumindest hatte er es bis in seine Wohnung in Ridgewood geschafft, bevor man auch ihn festgenommen hatte.

Auf seinem Weg dorthin hatte er Ramon in Kenntnis gesetzt und der hatte es irgendwie geschafft, aus der Stadt zu verschwinden, ohne der Polizei in die Arme zu laufen. Von Camilo war wohl weit und breit nichts zu sehen gewesen.

Kein Boss, keine Dealer, keine Produktion.

Kein Boss, keine Dealer, keine Produktion

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Das war's.

Aber auch Onkel Eddie war verschwunden. Nun, für ihn freute es Rico sogar. Der kranke, alte Mann hatte sein Gras schließlich nur zur Selbstmedikation angebaut, und sicher nicht vorgehabt, es so enden zu lassen.

Wie sich letztlich herausgestellt hatte, war es sein eigener Neffe gewesen, der den Ärger erst heraufbeschworen hatte. Revierstreitigkeiten wurden normalerweise direkter und deutlich brachialer geregelt. Aber dieser Colben, mit dem Camilo Geschäfte machen wollte, schien cleverer zu sein. Er hatte seine Konkurrenz viel effektiver ausgeschaltet.

Ja, Rico hatte unwahrscheinliches Glück gehabt. Letztlich, aber das würde er vor seiner Mutter nie offen ansprechen, hatte der Druck, den er sich selbst gemacht hatte, auch dafür gesorgt, dass er die Taschen voller Geld hatte.

Wo es keine Szene gab, da verlangte auch niemand seinen Anteil.

Seine Einnahmen zusammen mit dem, was er noch aus Joes Zimmer geholt hatte, reichten aus, um die Defizite auszugleichen, die mit dem Jobverlust seiner Mom einhergingen. Und wenn er selbst in ein paar Tagen bei Applebys anfing, war der tatsächlich kein Problem mehr.

Und dann war auch noch Joe verhaftet worden. Rico machte sich nichts vor. Wahrscheinlich hatte er höchstens einen Joint in der Tasche gehabt und selbst wenn man ihn mit der Herstellung oder dem Verkauf in Verbindung bringen konnte, würde er lediglich eine Jugendstrafe absitzen. Aber er hoffte dennoch, dass er ihn für eine lange Zeit nicht sehen musste, vorzugsweise nie wieder.

Zwar hatte er Joe verloren, was letztlich keinen großen Verlust darstellte, aber er hatte auch etwas sehr Bedeutendes gewonnen. Die Freundschaft zu Marc. Nachdem er erneut aus mehr als einer Wunde geblutet hatte, war er zuerst zu ihm gefahren anstatt seiner Familie den nächsten Schreck einzujagen.

Leider - oder vielmehr zum Glück - hatte der gerade Besuch von seiner Mutter gehabt. Und Mama Ariana war ein echter Schatz, das musste er zugeben. Die erfahrene Krankenschwester hatte ihn also zusammengeflickt, bevor Marc ihn schließlich nach Hause gefahren hatte.

Ja, er war es gewesen, der ihn aufgefangen hatte, als er auf dem Boden zu zerschellen drohte.

Der ihm gezeigt hatte, dass es sehr wohl anders ging. Und der ihn besonders in den letzten Tagen so unterstützt, aber nichts dafür verlangt hatte, und auch weiterhin für ihn da sein wollte.

Marc brachte die richtige Mischung aus bedingungsloser Freundschaft und brüderlicher Strenge mit. Er rügte ihn für seine Fehler, wenn es sein musste, aber er half ihm auch dabei, die Scherben zu beseitigen.

Mit ihm konnte man also die Pferde zurückbringen, die man mit denen gestohlen hatte, die sich längst wieder aus dem Staub gemacht hatten. Das, erkannte Rico jetzt, war wahre Freundschaft.
Ja, es war nur eine Woche gewesen, aber eines war ihm klar: Die würde er nie vergessen können.

Er ließ die angehaltene Luft in einem langen Seufzer entweichen und bewirkte damit doch nur, dass Celia ihm einen Karamellbonbon gegen die Stirn warf. Frech, aber betont unschuldig grinsend malte sie weiter ihr Bild aus.

Bevor Rico etwas sagen konnte, hatte José ihr Wurfgeschoss an sich genommen, es in einer beeindruckend flüssigen Handbewegung aus seinem Papier befreit und das Bonbon in Sekundenschnelle verschlungen.

Tja, nun, das Verbrechen war eben erst perfekt, wenn auch die Beweise vernichtet worden waren.

Der kleine Nimmersatt grinste ihn schelmisch an, denn er wusste, dass Rico ihm die Süßigkeiten ausnahmsweise durchgehen lassen musste. Schließlich war der kleine Kerl mit diesem klobigen roten Gips gestraft und wurde allseits auf Händen getragen. Okay, er hatte es sich verdient. Zumindest für eine Weile.

Jetzt lächelte Rico selig. Seine Geschwister saßen mit ihm an dem kleinen Wohnzimmertisch und verlebten den Tag so friedlich und unschuldig wie es Kindern vergönnt sein sollte. Malend, albernd und begierig auf das opulente Essen wartend, das ihre Mutter gerade zubereitete.

Die war, nachdem Rico nun endgültig ausgestiegen und José wieder zu Hause war, in so guter Stimmung, dass sie ihre Lieblingslieder der 80er ausgepackt hatte und ausgelassen mitsang. Gefangen zwischen seinen Geschwistern war er also gezwungen, One In A Million von The Romantics zu hören. Und den Gesang seiner Mutter.

Das war längst nicht ihre Kernkompetenz, aber auch sie hatte sich dieses Hoch verdient. Zu schade nur, dass dieser verdammte Text viel zu gut auf Marvin passte. Er wünschte sich ebenfalls, ihn wieder in die Arme nehmen zu können.

Shit.

So glimpflich er auch aus der Nummer herausgekommen war, es war längst nicht wieder eitel Sonnenschein. Dafür hatte er zu viel verbockt. Seine Mutter hatte zu lange Angst um sie gehabt, José verarbeitete immer noch diesen Unfall und Rico selbst war völlig zerschlagen. Und Marvin war weg.

Okay, bevor er wieder anfing, Trübsal zu blasen, konzentrierte er sich auf José. Der hatte sich mit seinem Malbuch an ihn gelehnt und zeigte ihm stolz, wie er fast die Ränder getroffen hatte.

Als es an der Tür klingelte, glaubte er sich einen Moment lang durch die Ankunft seiner Tante gerettet, rechnete dann aber eher damit, dass eine weitere schiefe Stimme zu trällern beginnen würde.

»Ich geh schon«, ließ sich seine Mutter vernehmen und tänzelte bereits zur Wohnungstür.
Rico lachte nur etwas gepresst, während er für José ein Krokodil zeichnete, das er als nächstes ausmalen konnte. Er wusste schon, dass es so knallgrün werden würde wie es sein Chopper war.

Der war seit seinem Aufenthalt auf der Kinderstation sein steter Begleiter und auch jetzt Ricos Vorlage, denn so ganz einfach war das gar nicht.

»Rico, hier ist Besuch für dich.«

Als er fragend aufsah, hätte er beinahe den Stift durchs Papier gestoßen. Das konnte nicht sein. Neben seiner offenbar skeptischen Mutter präsentierte sich nicht seine Tante. Er blinzelte und musste genau hinsehen, aber ja, da stand Marvin in ihrem Wohnzimmer.

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