03. Kapitel

123 4 9
                                    

LIEBE Phoenix,
wenn du diese Zeilen liest, dann wird wohl der Fall eingetreten sein, dass ich nicht mehr für eure Sicherheit sorgen kann. Entweder bin ich erschossen oder von der Polizei gefangen genommen worden und werde vermutlich gerade von denen auseinandergenommen. Ich weiß, dass ich dir hiermit viel aufbürde, aber du bist nicht nur bei der Sache dabei, weil deine Schwester und Angeles so beharrlich darauf bestanden haben. Du bist von mir dafür ausgewählt worden, meine Position zu übernehmen. Keine Sorge, ich habe Palermo eingeweiht. Er wird dir alles erklären und selbstverständlich werden dir Marseille und die Serben dir zur Seite stehen - du bist nicht auf dich allein gestellt! Ich habe im Voraus dafür gesorgt, dass du einen Pass und alles was du für eine neue Identität brauchst zur Verfügung gestellt. Befolge einfach das, was Palermo dir gesagt hat und finde Marseille. Wenn du auf ihn triffst, wird er wissen, was zu tun ist!
Eins musst du allerdings noch wissen: Auch ich bin nicht unfehlbar! Du hast es meinem Bruder, Berlin, zu verdanken, dass ihr mit dir die Chance habt, heul aus der Bank herauszukommen. Er hat den Plan mit Palermo entworfen. Ich habe ihm lediglich den Feinschliff verpasst und ein Hauch von Realismus hinzugefügt. Aber er hat den Fall bedacht, dass ich eventuell nicht mehr als Kooperator zur Verfügung stehen könnte und eine Lösung entworfen, die funktioniert!
Du schaffst das!
- Professor

Ich ließ den Zettel auf den Schoss sinken. Eine kleine Träne der Verzweiflung drohte meine Wange herunterzulaufen. Ich drängte sie jedoch zurück, denn ich hatte mir geschworen nicht mehr zu weinen! Nicht, wenn ich für das Leben meiner Freunde in der Bank verantwortlich war! Ich würde stark sein und mein Bestes geben, sie da unversehrt und mit dem Gold dort herauszuholen. Keine Tote mehr!
Als ich diese Worte oft genug in meinem Kopf wiederholt hatte und sicher war, dass ich nicht doch noch in Tränen ausbrechen würde, wenn ich das sorgfältig gefaltete Papier aus meinen Händen nehmen würde, steckte ich es zurück in den Briefumschlag und stopfte diesen in meine Tasche.

Obwohl niemand in dem kleinen Bus auch nur ansatzweise in meiner Nähe saß – ich hatte mich bewusst für einen der hinteren Plätze entschieden, die von den anderen Fahrgästen gemieden wurden, weil sie schlicht und einfach zu faul waren, in die hinterste Ecke des Gefährtes zu gehen – ich wollte nicht das Risiko eingehen, dass jemand diese Nachricht las und damit meinen Auftrag zunichtemachte, ohne dass er richtig begonnen hatte.

Ich strich mir eine braune Strähne aus der Stirn, die sich aus meiner Frisur gelöst hatte und fächelte mir mit dem kleinen Fächer, den ich mir als Abschiedsgeschenk am spanischen Flughafen gekauft hatte, warme Luft zu.

10 Stunden zuvor:

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich das schaffe.«, beichtete ich Vegas, während wir Essensrationen an unsere Geiseln verteilten.

Sie schnaubte. »Selbstverständlich schaffst du das! Der Professor weiß, was er tut!«, meinte sie und legte eine Hand aufmunternd auf meine Schultern, so wie es vorhin auch Stockholm getan hatte.

Ich nickte. »Du hast vermutlich recht.«, nuschelte ich und reichte einer etwas kräftigeren Frau mit Brille – ich glaube ihr Name war Amanda – eine Box, in der chinesische Nudeln waren, woraufhin sie mir schüchtern, ja beinahe verschämt, zu nickte. Flüchtig grinste ich zurück.
Das war mein letzter Auftrag in der Bank und das machte mich nervös. Verdammt nervös. In wenigen Stunden würde ich das erste Mal seit Wochen wieder ein Fuß ins Freie setzten und die Tatsache, dass ich dies anderes als erhofft tun würde, machte es nicht gerade besser.

Ich schüttelte den Kopf, um die Stimme in meinem Kopf loszuwerden, die mir sagte, dass ich lieber hierbleiben sollte, weil ich sonst alles zerstören würde. Hektisch kramte ich die nächste Ration aus der Tüte und hielt sie einem Mann hin.

»Nein, ich werde das nicht nehmen!«, rief er und verschränkte seine Arme bestimmend vor seinem Körper.

»Arturo. Bitte, nimm das einfach, okay?«, sagte ich sanft und hielt es ihm hin. Doch erneut schüttelte er den Kopf und schaute weg, als würde ich gar nicht vor ihm stehen.

Goldenes Blut | LCDPWo Geschichten leben. Entdecke jetzt