16. Kapitel

45 2 4
                                    

SEI vorsichtig!«

»Das bin ich doch immer!«

Seine Worte halten, wie ein ewiges Echo in meinen Ohren wieder, während ich mich weiter durch den engen Tunnel quetschte. Die Biegung hatte ich schon lange hinter mir gelassen und dennoch schien die Dunkelheit und die Wände aus brauner Erde kein Ende zu nehmen. Ich spürte, wie mein Puls sich merklich beschleunigte.
Beruhige dich. Du bist schon einmal lebend hier rausgekommen, dann wirst du das auch ein zweites Mal schaffen!

Meine Gedanken klangen eindeutig zuversichtlicher, als ich es wirklich war. Aber ich ließ mich nicht entmutigen. Tapfer drang ich weiter in die Ungewissheit vor. Als ich schon nicht mehr an das Wunder glauben wollte - dass ich tatsächlich den Ausgang finden würde - erblickte ich in der Ferne einen schwachen, aber dennoch erkennbaren, Lichtschein, welcher mich dazu antrieb, schneller zu kriechen. Ich war alles andere als scharf darauf, noch länger in dieser Höhle zu sein, als es unbedingt notwendig war. Als ich das rettende Ende endlich erreicht hatte, plumpste ich unvermittelt auf den harten Boden des Kellers der spanischen Bank.
Meine Augen brauchten einen Moment, bis sie sich an das Licht gewöhnt hatten und das, obwohl dieser Teil nur spärlich beleuchtet war. Langsam richtete ich mich wieder auf und streckte meine Glieder, wobei ich das Knacken meiner Gelenke gekonnt ignorierte.

»Was für ein toller Empfang...«, murmelte ich und machte mich auf den Weg zu dem kleinen Aufzug, denn ich - oder besser gesagt wir - hatten keine Zeit zu verlieren.

Da wir nicht ewig in der Bank bleiben konnten, mussten wir uns einen raffinierten Plan zur Hand legen, mit dem wir wieder herauskommen würden, denn das Problem war nicht, das Eindringen, sondern das unbeschadete Herauskommen. Es war geradezu ein Kinderspiel gewesen, sich in das Gebäude zu schmuggeln - ja, ihr habt richtig gehört, selbst ich, der größte Angsthase der Welt, habe das zugegeben. Denn wie sagt man so schön: Wir hatten die schlafenden Hunde geweckt...

Ich tippte ungeduldig mit dem Stiefel auf dem Boden herum, während ich darauf wartete, dass ich im richtigen Stockwerk ankam. Es verwunderte mich, dass ich noch niemanden angetroffen hatte. Nicht mal meine Zwillingsschwester oder ich ihre beste Freundin hatten sich blicken lassen. Anderenfalls musste ich bedenken, dass sie damit beschäftigt waren die Geiseln für unseren Ausbruch vorzubereiten und da ich zuvor bereits schon so einige Szenen zu Gesicht bekommen hatte, konnte ich mir gut vorstellen, dass es wohl daran lag, dass diese Vorbereitungen sich doch in die Länge gezogen hatten. Dieser Gedanke war beruhigend und einigermaßen logisch, sodass ich meinen Herzschlag wieder unter Kontrolle bringen konnte.

Als die Türen aufschwangen blieb ich erstarrt an Ort und Stelle stehen. Der Anblick, welcher sich mir bot, war überwältigend und angsteinflößend zu gleich. Mein ganzer Körper wurde von einer Gänsehaut heimgesucht.

Vor mir standen in Reih und Glied ein Dutzend Personen in roten Overalls. Ihre Gesichter wurden durch Masken verdeckt, sodass es einem beinahe unmöglich war, den einen von dem anderen zu unterscheiden. Ihre Köpfe waren in meine Richtung gedreht und durch die kleinen Löcher in dem Plastik vor ihren Gesichtern betrachten mich hunderte neugierige Seelenfenster. Die Stille war beängstigend. Ich befürchtete, dass man meinen panischen Herzschlag durch den gesamten Saal hören konnte. Verzweifelt versuchte ich eine bekannte Gestalt aus der Menge auszumachen. Erfolglos.

»Phoenix!«

Als sich schließlich zwei aus der Menge löste und auf mich zu gestürmt kamen, atmete ich erleichtert aus. Während sie die Strecke bis zu mir zurücklegten, rissen sie sich die Masken vom Kopf und ließen sie achtlos zu Boden fallen.

Ihre überstürzte Umarmung hätte mich beinahe von den Füßen gerissen, jedoch konnte ich mich irgendwie halten.
»Ich habe euch ja auch vermisst!«, presste ich hervor und drückte die beiden Frauen an mich.

»Ach was, am liebsten wärst du doch gar nicht mehr wieder gekommen!«, sagte Angeles und ließ mich gehen.

Ihre Worte versetzten mich für einen kurzen Augenblick in eine Art Schockstarre. »W-was?«

»Sherlock! Jetzt haben Sie sie sprachlos gemacht!«, schimpfte die Dunkelhaarige und fixierte ihre Freundin mit ihren grünen Iriden.

»Wir wissen doch alle, dass ich das nicht ernst gemeint habe!«, verteidigte sie sich.

Ein gedämpftes Lachen drang zu uns herüber, woraufhin die Chirurgin genervt die Augen verdrehte und den Mittelfinger in die vermeidliche Richtung hob, aus der das Geräusch gekommen war.

»Du mich auch!«, zischte sie gereizt.

Irritiert versuchte ich die Person aus der maskierten Menge ausfindig zu machen. Im selben Augenblick löste sich eine weitere Gestalt aus der militärischen Aufstellung und kam auf mich zu. Am Gang konnte ich Palermo erkennen.
Dann musste er derjenige gewesen sein, der gelacht hatte - wer auch sonst?!

»Ich unterbreche diese freudigen Wiedersehen wirklich nur ungern, aber wir müssen weiter machen.«, sagte er und nickte mir nur beiläufig knapp zu.

Aus alter Gewohnheit oder weil diese ganze Szenerie mich an das Soldatendasein erinnerte, führte ich zwei Finger an meine Stirn zum Zweifingergruß.
»Entschuldigung, dass ich euch unterbrochen habe...kann ich irgendwo noch helfen?«, fragte ich pflichtbewusst.

»Du könntest den Durchgang versprechen.«, antwortete er mir mit gedämpfter Stimme, sodass es nicht gleich alle mitbekamen.

Ich nickte, lächelte den drei noch einmal flüchtig zu, ehe ich mich wieder in den Aufzug stellte und nach unten fuhr. Hätte ich das gewusst, dann hätte ich auch gleich unten bleiben können!
Die Türen öffneten sich und trat in den nur halb beleuchteten Gang. Mit jagte ein Schauer über den Rücken. Diese Etage hatte eindeutig Gruselfilmpotential. Schnell verdrängte ich die Gedanken an Es oder an andere unheimliche Horrorgestalten.

Die sind so oder so nur erfundene Figuren, um Menschen Angst einzujagen, die dumm genug sind auf diesen Mist hereinzufallen, redete ich mir ein, beschleunigte aber dennoch meine Schritte, welche an den grauen Wänden wiederhalten.

Doch gerade als ich um die nächste Ecke biegen wollte, vernahm ein weiters Geräusch, welches weder von meinen schweren Stiefeln noch von meinem polternden Herzen stammte.

Die Polizei!

Das war mein erster Gedanken, der sich so schnell an mir festklammerte, wie ein Krake es mit seiner Beute tat. Sie mussten Marseille und mir irgendwie gefolgt sein und uns beobachtet haben! Ich presste mich gegen die Mauer und versuchte panische eine nützliche Lösung zu finden. Wenn ich jetzt zurücklaufe, dann gehe ich die Gefahr ein, dass noch mehr hier reinkommen und sich in dem ganzen Gebäude verteilen.

Aber was hatte ich ihnen schon groß entgegenzurichten? Eine Waffe besaß ich nicht und über meine kämpferischen Fähigkeiten wollte ich gar nicht erst reden! Mein Herzschlag übertönte beinahe die Laute des unbekannten Eindringlings - oder waren es vielleicht sogar mehrere? Vor lauter Panik wurde mir die Luft knapp und ich bekam Atemnot. Nur schwer konnte ich mich noch auf den Beinen halten. Die Schritte der unbekannten Person - oder Personen - kamen unaufhörlich näher. Gleich würde sie mich erreicht haben. Ich kniff die Augen zusammen und betete, dass mir eine leuchtende Idee oder ein Wunder zu kommen würde. Aber ich war weder sonderlich gläubig, noch hatte ich die Gabe immer einen rettenden Plan auf Lager zu haben.

»Du hättest nie hierher zurückkehren sollen!«

· · ─────── ·●· ─────── · ·

Hola.

Oh je, wie das wohl ausgeht?

Vielen Dank fürs Lesen!

1133

Goldenes Blut | LCDPWo Geschichten leben. Entdecke jetzt