Kapitel 10: Verletzbarkeit - Zwei Seiten einer Münze

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Achtung: Am Anfang ist es eine Art Rückblick

Noch immer konnte Taehyung nicht so recht glauben, was eigentlich passiert war. In einer Sekunde hatte er ganz normal mit Jungkook geredet und in der nächsten Sekunde war er wieder dessen Feind. Hatten ihn die Glücksgefühle so sehr geblendet, dass er die Situation falsch eingeschätzt hatte?

Komplett regungslos saß er auf dem Platz in der Mensa und starrte verloren auf die Stelle, an der sich Jungkook bis vor kurzem noch befunden hatte. Seine Worte hallten in seinen Ohren wie ein fernes Echo. Immer und immer wieder.

Sie waren keine Freunde. Werden es niemals werden. Das hatte Jungkook gesagt. Das hatte er auch sich selbst zu Beginn weismachen wollen. Doch nun? Es war hoffnungslos. Sein Herz war so voller Vorfreude gewesen bei dem Gedanken, endlich jemanden an seiner Seite zu haben, dass er alles andere ausgeblendet hatte.

Für Jungkook war er noch das gleiche rücksichtlose Arschloch. Würde es auf ewig bleiben. Er wollte ihm nicht einmal eine Chance geben. Wie also sollte er an sich glauben? Wie sollte er weiterkommen, wenn nicht einmal er mehr an ihn glauben konnte?

Taehyung fühlte er sich als würde er in einem ewigen Kreis feststecken. Wobei eigentlich alles nur noch schlimmer wurde. Wieso gab ihm das Schicksal einmal einen Lichtblick in seinem Leben, nur um diesen wieder von ihm fortzureißen? Das war schon ziemlich grausam, oder nicht?

Allmählich wurde ihm wieder bewusst in welcher Umgebung er sich befand. Das leise Tuscheln drang lautstark an seine Ohren. Es war verräterisch. Die stechenden Blicke prickelten unangenehm auf seiner Haut. Als wäre er die Abnormität im Zentrum der Alltäglichkeit.

Es war einer dieser Momente, in denen er nicht in der Mitte der Aufmerksamkeit stehen wollte. Alle richteten ihn mit ihren Augen. Diese kalten, leeren Augen. Er konnte nicht einmal aufsehen, als ihn die Scham wie ein Sturm erfasste. Wie hätte er jemals denken können, dass sich etwas ändern könnte? Wie konnte er nur so unfassbar dumm sein?

Schnell schnappte er sich seine Tasche und stürmte regelrecht aus der Mensa. Er konnte es nicht ertragen. So musste sich Jungkook all die Zeit gefühlt haben. Menschen konnten so abscheulich sein und das nur mit einem einzelnen Blick. Allein dieser konnte schon so viel sagen. Sie betrachteten dich, als wärst du ein Clown, der sie zu unterhalten hatte. Auf irgendetwas mussten sie herabsehen können.

Den ganzen restlichen Tag hatte er das Gefühl, dass ihn die Menschen anstarrten. Ob sie über ihn urteilten, ihn verachteten? Oder sogar bemitleideten? Es war ja seine freie Entscheidung, sich Jungkook zu nähern. Er hätte auch weiter in der trügerischen Nähe seiner eigentlichen Freunde - er wollte sie gar nicht einmal mehr so nennen – bleiben können.

Selbst Zuhause konnte er nicht stillsitzen. Seine Mutter, die überraschenderweise auch da war, guckte ihn schon ganz besorgt an. Die meiste Zeit hatte er damit verbracht eilig auf seinem Handy herumzutippen. Er wollte eine Erklärung, warum Jungkook ihn auf einmal von sich stieß.

War es aus Angst oder tatsächlicher Überzeugung, dass Taehyung niemals ein guter Mensch sein konnte? Aber wer war ein guter Mensch? Niemand. Sowas gab es einfach nicht. Jeder hatte seine dunklen Seiten, doch er versuchte wirklich sich zu bessern. Von seiner Eigensinnigkeit abzulassen, um einmal das Schöne am Leben kennenlernen zu dürfen.

Eigentlich hatte er gehofft, dass an Jungkooks Seite tun zu können. Immerhin war ihm der Jüngere über die letzten Tage ziemlich ans Herz gewachsen. Irgendwie machten die Kabbeleien Spaß, die Unterhaltungen waren stets interessant und bisher hatte er nicht gewusst, dass es so schön sein kann, jemanden glücklich zu machen.

Doch war Jungkook glücklich mit ihm gewesen oder hatte er ihm nur etwas vorgemacht? Schließlich hatte er ja jetzt seine Missgunst ziemlich deutlich gemacht. Taehyungs Nachrichten verloren sich in den vielen Versprechungen, sich ändern zu wollen. Aber langsam hatte er das Gefühl, es wäre ein Ding der Unmöglichkeit.

Perfectly Imperfect - TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt