Kapitel 6: Schicksal

15 4 3
                                    

Drei Augenpaare richteten sich auf Selene.

Die drei Frauen musterten sie.

"Das ist also unsere neuen Wahl?"

"Sie ist deine neue Wahl Schwester. Ich bin noch nicht überzeugt."

Selene war sich nicht ganz sicher wovon die drei da sprachen.

"Welche Wahl?"

Die Drei hielten kurz inne, dann richtete sich eine von ihnen, Selene konnte sie nicht auseinanderhalten, an sie.

"Du, meine Liebe bist unsere neue Stellvertreterin in der Welt der Sterblichen."

"Wer seit ihr denn, wenn ich fragen darf?"

Sie lachten. Die drei identischen, äußerst komischen Frauen lachten. 

Plötzlich fingen ihre Augen an zu glühen. Innerhalb eines Wimpernschlags glühten ihre gesamten Körper, die Fäden und Seile, die vor wenigen Augenblicken noch schlaff und leblos auf dem Boden verteilt waren, stiegen in die Luft auf und waberten um die drei Gestalten aus purem Licht.

"Wir sind die Moiren, die Schicksalsgöttinen."

Die  Moiren sprachen, als wären sie eine Person, mit einer Stimme, die noch in den hintersten Winkeln der Bibliothek widerhallte. Mit diesen Worten streckten sie ihre Hände aus und sämtliche Fäden schossen auf Selene zu.

Die Bänder wickelten sich fest um Selenes Gestalt und schnürten ihr langsam aber sicher die Luft ab. Diese Szene erinnerte sie fast bis ins kleinste Detail an ihren Traum, den sie am liebsten vergessen wollte. Zum Glück hatte bis jetzt noch niemand angefangen zu schreien oder zu singen, das fehlte gerade noch.

Als sie gerade dachte ihr letztes Stündlein hätte geschlagen, erstarb das Licht, dass die Moiren umgab und die bedrohliche Atmosphäre des Raumes wandelte sich. Je schwächer das Glühen wurde, desto lockerer wurden die Fäden und Bänder fesselten, bis sie schließlich mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden der Bibliothek aufkamen. 

"Also gut Schwestern, lasst uns beginnen." 

Selene war verwirrt. Womit beginnen? einer weiteren Runde Nahtoderfahrungen für Selene? Klingt lustig, begehen wir einen Mord in der Bibliothek.

"Wir werden dich mit deinen Aufgaben vertraut machen."

Das klingt nicht als würden sie meine Ermordung planen, dachte Selene. Aber wollte sie überhaupt irgendwelche Aufgaben für diese drei Irren erledigen? Eigentlich nicht! 

"Aber..."

"Du hast keine Wahl, Selene Farren. Dein Schicksal als unsere Hüterin ist vorherbestimmt."

Vorherbestimmt? Das wurde ja immer besser. Vorherbestimmung klang in Selenes Ohren etwa ebenso wünschenswert und angenehm wie Zwang. 

"Seit Anbeginn der Zeit wird eine Person ausgewählt, die als unsere Vertretung auf Erden agiert. Sie reisen durch die Zeit, sorgen dafür, dass das Schicksal nicht aus den Fugen gerät, helfen und beraten wo es nötig ist. Ob du Heilerin, Kriegerin oder Beraterin wirst ist vollkommen egal. Genauso wie alle deine Vorgänger hast du eine Bestimmung, du bist die Hüterin der Moiren."

Bestimmung...noch so ein Wort was Selene nicht besonders gut leiden konnte. 

"Wann immer einer unserer Hüter stirbt, wird ein Neuer ausgewählt, nicht von uns sondern von seinem Vorgänger."

Wieso klang das nicht so als würden Hüter an Altersschwäche, in einem ruhigen Dörfchen mit mindestens drei Katzen sterben?

"Nur damit ich das richtig verstehe, ich habe keine Wahl?"

"Nein, absolut nicht."

Selene beäugte skeptisch die Fäden, die nun zerstreut im Raum lagen. Als sie einen Faden vorsichtig mit dem Fuß antippte und nichts passierte, wich die Anspannung langsam aus ihrem Körper. Bis jetzt stellten die Fäden keine Gefahr mehr dar. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. 

Sie deutete mit einer vagen Handbewegung in Richtung der Fäden.

"Was ist das?"

"Schicksalsfäden, sie beißen nicht, keine Angst."

"Dafür scheinen sie aber mit Vorliebe Leute zu erwürgen!"

"Touché."

"Wofür braucht ihr sie ?"

"Wir kreieren Schicksale mit ihnen, jeder Faden und jede Farbe hat eine bestimmte Bedeutung. Mit der Zeit wirst du lernen sie zu lesen."

"Wir haben Eingebungen, Visionen, nach denen wir die Bänder und Fäden miteinander verweben. Wir flechten und verbinden Leben. In gewisser Art und Weise repräsentieren wir das Leben und sind somit das Gegenstück zu Thanatos. Du wirst ihn früh genug kennenlernen.", ergänzte die zweite Moire.

Nun mischte sich die dritte Schwester ein.

"Das reicht für heute."

Sie lächelte.

"Du solltest schlafen Selene, es ist schon spät." Mit diesen Worten versank Selenes Welt in Finsternis.



MomentumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt