Kapitel 26: Das Problem mit der Wahrheit II

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Merlin sah gar nicht glücklich aus, doch das konnte durchaus dem Umstand geschuldet sein, dass er zappelte wie ein Fisch im Netz.

Eigentlich war er auch ein Fisch im Netz.

Aber Selene war auch nicht gerade glücklich mit ihrer Situation.

Vor ihr lag einer der größten Magier, die jemals auf dieser Erde wandeln sollten und dieser Starrkopf wollte ihr einfach nicht glauben. 

Mit jeder weiteren Sekunde die Merlin als Beifang im Netz verbrachte stieg seine Wut.

Sie zweifelte nicht daran, dass er über kurz oder lang das Netz pulverisieren würde und sich anschließend auf Selene stürzen würde. Um ihr den Gar aus zu machen. Diese mögliche Zukunftsversion war aus Selenes Sicht nicht wirklich wünschenswert.

Also ging Selene alles durch was Freunde, Verwandte und Lehrer ihr über Wahrheitstränke beigebracht hatten.

Das Ergebnis war ernüchternd. Niemand hatte ihr beigebracht einen solchen Trank zu brauen. Möglicherweise hing das mit ihrem ersten selbst gebrauten Trank zusammen, der ihren Hauskater Nero in Flammen gesetzt hatte und den neuen Kessel zu Asche verwandelt hatte.

Nach diesem Zwischenfall hatte der Familienrat einstimmig beschlossen sämtliche Tränke, Rezepte zum Brauen und Kessel vor Selene zu verstecken. Außerdem wurde jeder Zugang zu außenhäuslichen Braumöglichkeiten für Selene blockiert.

Ein Trank war also nicht die Lösung ihres Problems.

Es sei denn sie wollte Camelot in die Luft jagen. 

Vielleicht würde das dafür sorgen, dass sie endlich hier wegkam.

Plötzlich fielen Selene wieder die goldene Schere und der blaue Umhang ein, die nun neben einem Stapel Keksen im Thelduin Institut lagen. Sorin hatte bei ihrer Begegnung so erschöpft und angespannt gewirkt, als hätte er alle seine Kräfte im Dienst der Moiren aufgebraucht. Und trotzdem  hatte er sich aufgerafft und war weitergezogen. 

Auch wenn es in dieser Zeit zwei Hüter zu geben schien, hieß das nicht, dass sie auf der faulen Haut liegen konnte und Sorin Arbeit zu sabotieren.

Ein Trank schied aus. Eine Beschwörung würde Merlins Misstrauen nur noch beflügeln. Außerdem war Selene grottenschlecht im beschwören von höheren Kräften, Dämonen oder Göttern. Dann blieb nur noch die letzte und mächtigste Möglichkeit eines Magiers, wenn er oder sie richtig in Schwierigkeiten steckte und keine Zauber mehr helfen konnten.

Artefakte. Magische Artefakte.

Zu ihrem 16. Geburtstag hatte ihre Tante Amara ihr einen feingliedrigen Ring geschenkt, der ein kleines blumenartiges Symbol bildete. Mit einem Augenzwinkern hatte ihre Tante ihr erzählt, dass dieser Ring bereits seit Jahrhunderten im Besitz der Familie Farren war.

Wie jedes magische Artefakt besaß dieser Ring eine bestimmte Art der Magie. Normalerweise stammte diese Magie von einem Magier oder Druiden, der vor Jahrhunderten ein Objekt mit einem mächtigen Zauber belegte, der selbst nach dem Tod des Magiers nicht an Kraft verlor sondern erstarkte. Bei dem Ring handelte es sich um einen Familienring der Familie Farren. Vo vielen Jahrhunderten hatte eine ihrer Vorfahrinnen, deren Namen längst vergessen war ihn mit einem αλήθεια Zauber belegt.

Diese griechische Formel war stärker als die lateinischen Veritas Zauber.

Wahrheitszauber.

Genau das was sie jetzt brauchte.

Obwohl sie das Artefakt bereits seit einigen Jahren besaß, hatte ihn Selene eigentlich nie benutzt. Denn wenn derjenige, der den Ring in der Hand hielt oder am Finger trug auch nur die kleinste Lüge aussprach, verbrannte der Ring auf äußerst schmerzvolle Art und Weise die Haut des Trägers.

Bis zum heutigen Tag fragte sich Selene was ihre Vorfahrin dazu bewogen hatte einen solchen Zauber auf einen Ring anzuwenden. Entweder hatte sie einfach Langeweile gehabt oder aber sie war wahnsinnig gewesen.

Dank diesem Fluch trug Selene den ring nie am Finger, sondern an einer Kette um den Hals. So verbrannt der Ring sie nicht bei jeder Lüge.

Jetzt war der perfekte Zeitpunkt gekommen um die Fähigkeiten des Artefakts zu nutzen. Alles oder nichts.

Selene atmete einmal tief durch, dann beugte sich zu dem gefangenen Merlin, dessen Hände mittlerweile glühten und sich durch die Fäden des Netzes brannten. Sie hielt ihm den Ring unter die Nase.

Diese Aktion sorgte dafür, dass Merlin seine Entfesselungsversuche stoppte und den Familienring äußerst verwirrt musterte.

"Das ist ein Familienartefakt. Sollte ich lügen, dann wird es mir die Haut verbrennen, denn es ist mit einem sehr starken Wahrheitszauber belegt. "

Es gab eine ungeschriebene Regel in der magischen Welt: Scherze und lüge niemals wenn es um Artefakte und ihre Fähigkeiten geht.

Niemand mit klarem Verstand würde es wegen diese Regel zu brechen, denn sie bildete das Fundament für den Umgang mit Artefakten - magisch oder nicht.

Glücklicherweise war diese Regel so alt, dass Merlin sie auch kannte.

Er mustert den Ring mit unverhohlenem Interesse.

Selene platzierte den Ring gut sichtbar auf ihrer Handfläche.

"Mein Name ist Selene Farren und ich bin eine Hexe. Meine Begabung ist seit neustem das Zeitreisen. Mein allererster Zeitsprung hat mich nach Camelot geführt, genauergesagt zu dir. Ich muss hier irgendetwas erledigen, aber ich weiß nicht was. Es liegt nicht in meiner Absicht jemanden zu verletzen." 

Der heiße, brennende Schmerz des Artefakt blieb aus. 

Dieser Umstand schien auch Merlin aufzufallen, denn er entspannt sich sichtlich. 

"Na gut. Ich glaube dir. Aber dafür musst du mich jetzt befreien und du wirst mir auf jeden Fall dabei helfen weitere Anschläge zu verhindern und abzuwehren. Keine Wiederrede. Das bist du mir nach diesem Debakel schuldig!"

"Schuldig? Na hör mal! Du hast doch damit angefangen mich zu bedrohen!"

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