Eine ausgestreckte blasse Hand schob sich in Selenes Blickfeld. Der Mann, der sie von oben herab amüsiert musterte war niemand anderes als Thanatos.
Noch etwas benommen ergriff Selene seine Hand und ließ sich von Thanatos auf die Füße helfen. Sobald sie wieder aufrecht stand traf sie ein eiskalter Windstoß mit voller Wucht, sodass sie ein paar Schritte nach vorne stolperte.
"Wieso bin ich hier?"
"Ich wollte mit dir sprechen, Hüterin."
"Wo sind wir?"
Thanatos ließ seinen Blick durch die Ferne schweifen, ein trauriges Lächeln schlich sich auf seine Lippen.
"Das musst du noch selbst herausfinden."
Selene ließ ihren Blick schweifen. Viel konnte man nicht erkennen, alles war mit grauen Nebelschwaden verhangen.
"Worüber möchtest du sprechen?"
"Haben dir die Moiren schon von deinen Vorgängern erzählt?"
"Nein, nicht wirklich. Sie waren sehr vage, was dieses Thema angeht."
"Also haben sie dir auch nicht gesagt, wie bis jetzt jeder aus der Reihe der Hüter endet?"
Selene schüttelte nur den Kopf.
"Dann bleibt das wohl an mir hängen. Wie immer.Ich sage es dir. Ihr tretet euren schlimmsten Ängsten entgegen, bis zum heutigen Tag hat keine dieser Begegnungen gut geendet für die Hüter. Es macht keinen Unterschied ob du diesen Kampf gewinnst oder verlierst. Diese Begegnung wird von dir ihren Tribut fordern. Oft ist dieser Tribut das Leben des Hüters. Du kannst dem nicht entkommen. Du kannst dich darauf vorbereiten, aber es wird nichts an deinem Ende ändern. Dein Schicksal ist besiegelt, Selene."
Jeder Satz aus Thanatos Mund traf Selene wie Peitschenhiebe und obwohl sie das Gefühl hatte gleich zu Eis zu erstarren, so kalt war ihr mittlerweile, brannte etwas in ihr, loderte.
"Sag mir kleine Hüterin, wovor hast du Angst? Denn genau das wird dein Untergang sein. Ich kann dir nicht den genauen Zeitpunkt nennen, aber es wird passieren."
Ihre Gedanken waren wie leergefegt. Wovor hatte sie Angst? Es gab da eine lange Liste.
"Ich weiß es nicht."
Eine Lüge. Aber wenn man von einem Gott mit seinem Tod konfrontiert wird und dieser gerne wissen möchte was zum eigenen Tod führen kann, stellt man besser keine Vermutungen an. Wenn sie sagen würde sie hätte Angst vor Äxten würde er vielleicht in Sekundenschnelle eine Axt herbeizaubern nur um sie zu ärgern. Oder zu töten. Je nachdem ob er einen guten Tag hatte oder nicht.
„Es ist hoffnungslos, du kannst dich dagegen nicht wehren."
Das war zwar nicht das gewesen was Selene beschäftigt hatte, aber gut. Mitspielen.
„Woher willst du das wissen?"
„Alle deine Vorgänger sind hier gewesen und sie alle wollten es nicht akzeptieren. Wahrscheinlich ist das der Grund warum ihr ausgewählt werdet. Ihr seit einfach nur verdammt stur."
Selene hob eine Augenbraue. Stur? Das war nicht unbedingt das erste Wort, dass sie nutzen würde um sich selbst zu beschreiben.
Thanatos setzte seinen Monolog über Tod, Verderben, Schicksal und Depressionen fort.
„Ihr gebt einfach nicht auf. Das ist so ermüdend."
„Du bist aber auch nicht derjenige der seiner größten Angst gegenüber treten muss und das nicht überleben wird."
„Stimmt."
Thanatos schien auf einmal sehr interessiert, als wäre ihm etwas eingefallen.
„Du weißt also wirklich nicht was du fürchtest? Bist du etwa so mutig?"
Das komplette Gegenteil war der Fall.
„Ich habe eine ganze Liste an Ängsten, weiß aber gerade nicht wodurch ich lieber sterben möchte. Das ist schließlich eine große und wichtige Entscheidung."
Thanatos musterte sie aus zusammengekniffenen Augen.
„War das gerade Sarkasmus?"
„Vielleicht, das musst du noch selbst herausfinden."
Der Blick des Todesgottes verdüsterte sich. Seine Augen, die bis vor wenigen Augenblicken noch Gewitterwolken ähnelten schienen sich nun in dunkle Wirbelstürme zu wandeln.
„Ich bin ein Gott, Hüterin und ich bin keinesfalls dein Feind. Ich erledige nur meine Aufgabe. So wie jedem anderen Hüter vor dir erzähle ich dir was dir noch bevorsteht.Seit Jahrhunderten fällt mir diese undankbare Aufgabe zu, deine Moiren sind sich dafür schließlich zu fein. Und jetzt wird es Zeit das du zurückgehst. Das Rätsel um diesen Ort wirst du früher lösen, als dir lieb ist."
Mit diesen Worten legte Thanatos seine Handflächen aneinander, von denen plötzlich graue Nebelschwaden ausgingen. Sie hüllten den Gott ein und lichteten sich im nächsten Moment wieder. Selene blickte sich um, doch Thanatos hatte sich zusammen mit den Nebelschwaden in Luft aufgelöst.
Die Kälte, die sie seit geraumer Zeit verdrängte, kämpfte sich zurück an die Oberfläche und ließ sie langsam aber sicher erstarren. Ihr Atem bildete weiße Wolken in der kalten Luft.
Selenes Sichtfeld flimmerte, weiße Punkte tanzten vor ihren Augen auf und ab.
Mit einem Mal wurde ihre Umgebung in gleißend helles Licht getaucht und der Boden unter ihren Füßen verschwand.
Zum zweiten Mal an diesem Tag fiel Selene. Der einzige Unterschied zum letzten Fall war, dass sie sich ziemlich sicher war, dass sie in ihrem Bett im Thelduin Institut landen würde.
DU LIEST GERADE
Momentum
FantasyTell me a story of ... "Wer auch immer behauptet hat das Schicksal wäre unveränderbar, wusste nicht wovon er da eigentlich redet. " "Wir wissen genau wovon wir da reden." "Ach wirklich?Ich bezweifle das sehr sehr stark." "Es gibt Regeln!Du kannst n...