12. März 2051, 06.29 Uhr

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Das alles hing Kieran zum Halse heraus. Er hatte es so satt. Schon seit Monaten brodelte diese unbändige Wut in ihm. Er hasste sie. Hasste sie alle.

Professor Kim, die in ihm keine richtige Person sah. Die ihn für ihre Zwecke benutzte, für die sie auch noch gelobt wurde. Er hasste sie und ihre verdammten Experimente und Untersuchungen! Er hasste es, nach ihrer Pfeife tanzen zu müssen! Wenn sie ihn brauchte, musste er kommen. Wenn er nicht wollte, holte sie ihn sich trotzdem. Und wenn sie ihn nicht mehr brauchte, sperrte sie ihn wieder in seine Zelle.

Mr. Kim, der ihm so viel Schmerz verursacht hatte. Jeder einzelne Schlag, jeder Tritt, hatte sich tief in Kierans Gedächtnis gebrannt. Er erfüllte jeden Wunsch seiner Ehefrau. Mochte er noch so abscheulich sein. Kieran hasste ihn.

Er hasste die ganzen Wissenschaftler hier. Jeden, der ihm schon einmal Blut abgenommen hatte, jeden, der es schon einmal gewagt hatte, ihn zu untersuchen. Jeden, der es gewagt hatte, ihn anzurühren. Neununddreißig war es leid.

Er wollte hier raus. Endlich hier raus. Egal wohin. Einfach nur weg von hier. Man konnte ihn nicht für immer hier lassen. Sie konnten ihn nicht für immer behandeln wie einen Gegenstand. Irgendwann würden sie ihn gehen lassen müssen. Doch dieser Tag würde niemals kommen. Das war Kieranzu gut bewusst. Freiwillig würden sie sich niemals von ihrem liebsten Experiment trennen. Aber er wollte nicht mehr. Er wollte frei sein. Und er musste sich seine Freiheit selbst holen. Wenn nötig auch mit Gewalt. Aber darin sah er kein Problem.

Er musste nur warten. Er war geduldig. Seine Geduld wurde belohnt. Wie immer öffnete Mr. Kim seine Tür. Die Handschellen klimperten. Seit er das zweite Serum verabreicht bekommen hatte, waren die Handschellen verstärkt worden. Und seither immer wieder. Also durfte er nicht zulassen, dass Kim sie ihm anlegte.

Wie immer ließ Kieran Kim auf sich zukommen, drehte ihm den Rücken zu und legte seine Hände an seinen Rücken. Äußerlich wirkte er ruhig. Doch innerlich kochte es in ihm. Keine weitere Nacht würde er hier in diesem Höllenloch verbringen. Sie wollten ihm seinen Willen nehmen. Er konnte ihnen ihr Leben nehmen.

Mit der Zeit war Mr. Kim unaufmerksam geworden. Immerzu hatte Kieran sich still verhalten. Hatte keinen Widerstand geleistet. Doch nun war es damit vorbei. Nur wusste Kim das noch nicht.

Als Kim ihm nahe genug war, drehte Kieran sich blitzschnell um, packte Kims Handgelenk und brach es mit einer einfachen Bewegung. Bevor Kim vor Schmerzen schreien und die Aufmerksamkeit der anderen auf sich lenken konnte, schoss Kierans andere Hand vor, die sich innerhalb eines Wimpernschlages zu einer Klaue verformte und Kim die Kehle aufriss. Blut spritzte ihm entgegen. Warmes Blut. Benetzte sein Gesicht, durchtränkte seine Kleidung. Finster blickte Kieran auf Kims zusammengesunkene Gestalt hinunter. Ein Ausdruck von Entsetzen lag auf seinem Gesicht.

Die immerzu weiße Zelle war rot gestrichen.

Gleichgültig stieß Kieran Mr. Kim von sich weg und bewegte sich auf die geöffnete Tür zu. Sobald seine blutbespritzte Gestalt in den anderen Raum trat, ertönten erschrockene und warnende Schreie. Zum aller ersten Mal erbleichte Professor Kim und ihre Augen weiteten sich. Ihr Gesicht war aufgeteilt in Angst und Entsetzen. Kieran genoss diesen Ausdruck. Endlich verlor die ach so professionelle Professorin ihre Fassung.

Ihr erster Gedanke widmete sich jedoch nicht ihrem Ehemann, sondern einer Waffe. Irgendwer hatte wohl den Alarm ausgelöst, denn mit einem Krachen flog die Tür auf und fünf Sicherheitsmänner stürmten das Labor. Jeder von ihnen war bis auf die Zähne bewaffnet und hatte ein kräftezerrendes Training durchlaufen. Kieran interessierte ihr Training nicht. Er war schnell. Wie aus dem Nichts tauchte er vor einem von ihnen auf, der sogleich tot zu Boden sackte. Innerhalb von Sekunden hatte er die Sicherheitsleute beseitigt. Rot. Überall rot.

Panisch ergriff Professor Kim eines der Maschinengewehre von einem der toten Sicherheitsmänner. „Komm mir bloß nicht zu nahe!", drohte sie. Ihre Stimme zitterte. Doch Kieran sah ihr an, wie ernst sie es meinte. Sie würde ihren größten Erfolg auslöschen. Und sie schoss.

Es war ohrenbetäubend laut. Ein ganzer Kugelhagel schlug auf ihn ein und die Wucht riss ihn von den Füßen. Presste die Luft aus seinen Lungen. Nach Atem schnappend lag er am Boden. Der Kugelhagel verstummte. Professor Kim atmete schwer. Sie warf das Maschinengewehr beiseite und stützte sich auf einen der Tische. Ihr Herz ging schnell und kurz besah sie sich ihr mit Leichen ausgestattetes Labor. Das ihr erfolgreichstes Experiment in Blut getaucht hatte.

Dann sah sie wieder zu ebendiesem Experiment und ihr Atem stockte. Neununddreißig blutete nicht. Zwar hatte sie seine Kleidung durchlöchert, doch seine Haut war unversehrt. Das begriff auch er. Langsam erhob er sich. Seine dunklen Augen visierten sie an. Und Professor Kim wusste, dass sie nun ihren letzten Atemzug tätigen würde. Es war erstaunlich, dass sie im Angesicht des Todes die Ruhe behielt. Kieran wäre es dennoch lieber gewesen, wenn sie winseln und ihn anflehen würde.

Die Professorin sah ihn nicht kommen. Sah bloß die Krallen, die plötzlich und ohne Vorwarnung in ihrem Blickfeld auftauchten. Spürte den Schmerz in ihrer Kehle. Röchelte. Blut füllte ihre Lungen und sie erstickte an ihrem eigenen Lebenselixier.

Sie sah nicht mehr, wie Kieran, Experiment Nummer Neununddreißig, ging, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Sie starb mit dem Wissen, dass sie eine Bestie geschaffen hatte, die selbst der Tod fürchtete.

Entstehungsgeschichte einer BestieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt