Die Welt hatte sich verändert. Doch das hatte sie nicht von allein. Endlich konnten die Mutanten erleichtert aufatmen. Den Hoffnungslosen war Hoffnung geschenkt worden. Und diese Hoffnung hatte sich in ein Feuer verwandelt. Die Sklaven waren nicht mehr länger Sklaven. Der Krieg war vorbei.
Da man ihnen die Freiheit nicht freiwillig gegeben hatte, hatte man sie sich selbst holen müssen. Die Mutanten hatten sich wie ein Phönix aus der Asche erhoben, hatten ihre lodernden Schwingen ausgebreitet.
Hatten ihre Anerkennung, ihre Rechte und ihre Freiheit gefordert. Lange hatte es gedauert. Viel zu viel Leid hatten sie erdulden müssen. Den Erfolgt hatten sie sich verdient. Sie waren Ertrinkende gewesen, die verzweifelt nach Hilfe gefleht hatten. Und tatsächlich hatten Menschen auf ihr Flehen geantwortet. Hatten ihnen die Hand gereicht. Gemeinsam leiteten sie die Revolution ein. Denn auch die Mutanten hatten ihre Daseinsberechtigung.
Trotzdem hatte die hart erkämpfte Freiheit mit Blut und Tränen bezahlt werden müssen. Viele hatten ebendas verhindern wollen. Doch letztlich waren die Stimmen, die nach Gewalt geschrien hatten, lauter gewesen. Aber all dies hatte auf friedlichen Bemühungen aufgebaut, die letztendlich zu einer Veränderung des menschlichen Denkens geführt hatten. Ohne sie wäre es vermutlich noch schlimmer gekommen.
Kieran konnte kaum glauben, dass es vorbei sein sollte. Sein Leben hatte aus Gewalt, Gefangenschaft und Unterdrückung bestanden. Jetzt fühlte er sich leer. Als sei das Ziel, das er verfolgt hätte, verschwunden und hätte das, was ihn ausgemacht hatte, mit sich genommen.
Nun wusste er nichts mehr mit sich anzufangen. Jetzt war er endgültig frei und er hatte keine Ahnung, was er mit seiner Freiheit anfangen konnte. Wollte er das Leben leben, das ihm vor siebzehn Jahren gestohlen worden war?
Wollte er eine Schule besuchen, sich irgendwo niederlassen? Oder wollte er mit Mrs. Harris, einem Menschen, der sich nun entschieden hatte, eine Auffangstation für Mutanten, die nirgendwohin konnten oder nichts mit sich anzufangen wussten, zusammenarbeiten? Außerdem mussten manche Mutanten – vor allem die, die im Krieg gedient hatten – wieder sozialisiert werden. Es wartete viel Arbeit auf sie, die sie unmöglich allein bewerkstelligen konnte.
Doch wenn er darüber nachdachte, in ihr „Mutantenheim" zu ziehen, fühlte er, dass es nicht das war, was er wollte. Jedenfalls noch nicht. Erst hatte er noch etwas zu erledigen. Danach konnte er darüber nachdenken, wie er sich sein Leben eigentlich vorstellte.
Sollte sich sein Vorhaben als Fehler herausstellen, hätte er immerhin einen Ort, an den er zurückkehren und planen konnte. Mrs. Harris hatte ihm versprochen, dass sie immer einen Platz für ihn haben würde. Und auch Freya, die mächtige Mutantin, die er kennengelernt hatte, als sie letztes Jahr bei den Severos eingebrochen war, hatte ihm versichert, dass sie ihm helfen würde.
Aber auch sie hatte ihr Päckchen zu tragen und musste erst einmal selbst mit ihrem Leben klarkommen und den Möglichkeiten, die sich ihr boten.
Dank Mrs Harris hatte er herausfinden können, wo seine Eltern lebten. Kieran wusste nicht, wie es ihr gelungen war, doch sie hatte tatsächlich seine alte Akte aus dem Ambrosia Institut in die Hände bekommen. Natürlich war die Adresse schon alt und er konnte sich nicht sicher sein, ob sie wirklich noch dort lebten. Aber ein Versuch war es wert.
Ein einziges Mal hatte er die Gesichter seiner Eltern gesehen. Seither hatte er sie nicht mehr aus dem Kopf bekommen können. Würde er das hier jetzt nicht tun, würde er wohl niemals zur Ruhe kommen.
Dennoch bedeutete es noch lange nicht, dass alles so laufen würde, wie er es sich wünschte. Nur, weil die Regierung die Mutanten nun endlich mit den Menschen gleichgestellt hatte, hieß das nicht, dass sich das Verhalten der Menschen ihnen gegenüber ändern würde. Jedenfalls nicht von jetzt auf gleich. So etwas war ein Prozess und benötigte seine Zeit. Verinnerlichte Verhaltensweisen waren nur schwer abzulegen.
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Entstehungsgeschichte einer Bestie
Ciencia FicciónEs ist Ende des Jahres 2042, als der junge Kieran Roth seinen Eltern entrissen und entführt wird. Seither wächst er ohne die Erinnerungen an seine Eltern in einem Labor auf. In einem Labor, das gewissenlos Forschung an Kindern betreibt, um an deren...