01. Juli 2053

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Schon viel zu lange hatte Flavio sich dem Dienst entzogen und Kieran sich Ausreden für ihn einfallen lassen. Doch mittlerweile wurde der befehlshabende Offizier, der ohnehin ein mitleidloser und grausamer Mann war, ungeduldig.

Er behandelte die Kinder als seien sie Ungeziefer, als seien sie Sklaven. In seinen Augen waren sie nicht mehr wert als Maden. Für ihn waren sie keine Kinder oder gar einmal menschlich gewesen. Und Kieran fragte sich, ob Flavio und die anderen Mutanten einst auch so gewesen waren, wie der Offizier, bevor man ihnen ihre Menschlichkeit geraubt hatte.

Seiner Auffassung nach hatten die Mutanten Glück gehabt, keine Menschen mehr zu sein. Denn alle Menschen, auf die Kieran gestoßen war, waren verabscheuungswürdige Kreaturen. Zum Teil war er doch ganz froh, schon in jungen Jahren kein Mensch mehr gewesen zu sein. Dennoch bedeutete das nicht, dass er Professor Kim verzieh, was sie ihm angetan hatte. Niemals.

Kieran vermisste nicht das Menschsein, an das er sich sowieso nicht erinnern konnte. Er vermisste, dass er eine liebevolle Familie hätte haben können, so wie Flavio.

Aber er war hier. Und daran würde sich so schnell nichts ändern. Für einen kurzen Augenblick hatte er den Geschmack der Freiheit kosten können. Er wollte mehr davon.

Stramm stand er vor dem großen Zelt des Offiziers und ließ sich von dessen Augen, in denen solch eine Abscheu lag, dass andere bereits unter ihrem Blick zusammengebrochen wären, inspizieren. Offizier Preston war ein Berg von einem Mann. Und genauso bedrohlich wirkte er auch. Wäre da nicht die Tatsache, dass selbst ein solch muskelbepackter Mann es eigentlich nicht einmal mit einem der Kinder aufnehmen konnte. Eigentlich. Denn er wusste sich natürlich zu helfen. Wohin er auch ging, folgte ihm seine Leibgarde.

Außerdem trug er so viele Waffen bei sich, dass es Kieran wunderte, weshalb der Mann unter der Last nicht zusammenbrach. Für seine Sicherheit hatte er immerhin vorgesorgt. Dafür, dass Preston so schwach war, hielt er ganz schön viel von sich und ließ es sich auch nicht nehmen, die Mutanten hin und wieder anzuspucken, wenn einer von ihnen ihn nur schief ansah. Mittlerweile traute sich das niemand mehr.

Kieran hasste diesen Mann aus tiefster Seele. Er erinnerte ihn an die beiden Kims und das waren ganz sicher keine schönen Erinnerungen.

„Neununddreißig!", erhob der Offizier seine Stimme, die scharf wie die Klinge eines Messers war. „Langsam bin ich deine Lügen satt!" Der Mutant musste sich beherrschen, dem Mann nicht herablassend entgegenzublicken. Er empfand keinerlei Respekt oder Achtung ihm gegenüber. Im Gegensatz zu Kieran war der Mann ein Nichts. Lächerlich, wie viel dieser von sich selbst hielt.

„Du und Zweihunderteins glaubt wohl, mich zum Narren halten zu können.", fuhr Offizier Preston fort. Sein Blick gefiel ihm gar nicht. Es bedeutete, dass der Mann sich bereits vorstellte, wie er die beiden für ihr Verhalten bestrafen könnte. Bisher hatte Kieran das Glück gehabt, unauffällig gewesen zu sein, sodass er dem Offizier noch nicht wirklich aufgefallen war. Immerhin hatte er sich immer im Hintergrund aufgehalten und weil Flavio bei ihm gewesen war, galt das auch für ihn.

Doch nun machte Flavio es nicht mehr weiter bloß sich selbst vor. Er hatte Kieran schließlich mit hinein ziehen müssen. Obwohl, nein. Kieran hatte sich bewusst dazu entschieden, sich mitziehen zu lassen. Er hätte nicht für Flavio lügen müssen. Aber er wollte es. Dabei hatte Flavio ihn nicht einmal gebeten, das zu tun. Nach wie vor sprach der Fledermausmutant kaum und seither hatte er ihn auch in Ruhe gelassen.

„Dich werde ich noch lehren, was es bedeutet, seinen Vorgesetzten anzulügen." Eine gewisse Genugtuung schwang in Prestons Stimme mit.

Und das tat er auch. Ohne Zurückhaltung, ohne Mitleid. Allein mit boshafter Grausamkeit.

Entstehungsgeschichte einer BestieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt