|| Philipp ||
Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett fallen.
Der zweite Schultag war genauso anstrengend wie der erste und hat mich viel Energie gekostet. In der Pause habe ich mich in die Bibliothek zurückgezogen. Dort war es ruhig und man konnte sich zwischen den Regeln verstecken ohne dass es auffällig wirkte.
Die Stille, welche zwischen all den Zeilen und Gedanken und Gefühlen von anderen Menschen war, gehörte definitiv zu den angenehmsten Worten auf diesem Planeten.
Nachdenklich schaute ich auf meine Zimmerdecke. Eine Weiß gestrichene und glatte Wand, welche kein wirres Muster aus großen und kleinen und schmalen und dicken Rissen hatte.
Schluckend erinnerte ich mich an die alte, fleckige, schimmlige uns mit Rissen durchzogene Decke meines alten Zimmers. Sie war das genaue Gegenteil von diesem Zimmer. Hier fühlte ich mich einigermaßen sicher, niemand konnte mir wehtun. Mein alter Raum fühlte sich wie ein Vogelkäfig an, durch dessen Gitterstäbe man nach dem kleinen, verängstigten Vogel greifen konnte.
Ich schüttelte mich um die frostigen Erinnerungen zu vertreiben.
Chloe rief mich zum Mittagessen und stumm seufzend erhob ich mich.
Ich ließ mich unten im Esszimmer am Tisch nieder und nahm mir von den Spagetti Carbonare. Langsam begann ich zu essen und versuchte diesen Luxus zu genießen. Es war nach all den Jahren, welche ich nun hier lebte, immer noch ungewohnt regelmäßig und frisch zu essen.
Genüsslich kaute ich auf dem Essen herum und blendete dabei die traurigen Blicke meiner Tante aus. Chloe versuchte vergeblich ein Gespräch mit mir aufzubauen, fragte mich nach meinem Tag, wie es mir hier ging und ob ich mich schon eingewöhnt hatte, doch ich antworte nicht mit Worten, wich den Fragen aus oder beantwortete sie mit einem simplen Kopfschütteln.
Und immer noch frage ich mich, wann Sie endlich verstehen wird, dass Schweigen dass aller beste ist? Denn nur so könnte ich Sie und meinen Onkel und Viktoria nicht mit meinen Problemen belasten.
~*~
„Wie geht es dir heute Philipp?" Fragte mich mein Therapeutin Marie und schaute mich mit ihrem freundlichen Lächeln an. Es schenkte mir Sicherheit und Geborgenheit und Wärme. Es war beruhigend und angenehm in ihrer Gegenwart. Ich ließ mich gegenüber von ihr nieder und es, als würde die Außenwelt nicht existieren. Hier war ich sicher. Hier wurde ich verstanden. Hier wurde ich nicht verurteilt.
Ich nickte ihr leicht lächelnd zu und spielte nervös mit meinen Fingern. „Das ist schön", meinte sie und ich nickte leicht auf sie. „Mir geht es auch gut. Ich war heute schon im The Nicollet Diner und habe einen Parmesan Chicken Sandwich gegessen. Man war das Lecker", schwärmte Marie.
„W-wie hat er den g-geschmeckt?" Fragte ich mit leiser und rauer Stimme.
Ja, ich redete mit Marie aber das hat sich mit der Zeit einfach so ergeben. Nachdem ich nach der Gerichtsverhandlung zu ihr in Therapie kam, war ich sehr skeptisch. Ich hatte mich geweigert, mit ihr in einem Raum zu sein. Mir ging es gut und ich brauchte keine Hilfe - so dachte ich zumindest.
Doch Marie war anderes wie meine Tante oder mein Onkel. Sie behandelte mich nicht wie ein rohes Ei, sondern ganz normal, so als wäre ich ein gesunder Mensch. Marie hat mit mir geplaudert als würde ich sprechen können und als ich nach Monaten eine kaum hörbare Begrüßung genuschelt habe, tat sie einfach so, als wäre nichts geschehen. Das hat mir gezeigt, dass es ihr "egal" war, ob ich mir ihr sprach oder nicht, denn sie behandelte mich genauso wie davor und das gab mir das Gefühl von Akzeptanz.
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a silent voice | ᵇᵒʸˣᵇᵒʸ |
Teen FictionEs hat einen Grund, warum Fische im Wasser leben. Es hat einen Grund, warum Vögel fliegen können. Es hat einen Grund, warum ich schweige. Phillipp und Leander könnten kaum unterschiedlicher sein. Doch eine Sache verbindet sie beide: Der eine verlor...