Götter

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Ich will, dass es Frühling wird. So ein Tag, an dem es eigentlich noch kühl ist, man das aber vergisst, solange man in der wärmenden Sonne liegt, die alles mit ihrem goldenen Glühen umspielt. Dann rufe ich ihn in der Früh an, und wir gehen auf den Berg hinauf. Der Berg von dem aus man über die ganze Stadt sieht. Und wir werden nur zwei dünne Jacken, Bücher, Gedichte, Zigaretten und Musik mitnehmen. Während alle anderen dann in der Schule sitzen und lernen, werden wir auf unseren Jacken im Gras und der Sonne sitzen, reden, rauchen. Wir werden reden, aber keinen Small Talk, keine Banalitäten. Über das Universum und Gott und die Welt und das Leben werden wir sprechen. Im Hintergrund wird die Musik laufen, während es langsam dunkel wird, und wir immer noch reden. Zwischendurch werden wir lesen, auch einander vor, aus dem Gedichtbuch, das eine von ihm, dass ich immer noch habe. Wenn es dann so dunkel ist, dass man nichts mehr erkennen kann, werden wir die Musik leiser drehen und uns die Sterne ansehen. Und die Sterne werden zurückblicken. Tief in unsere Seelen. Dann liegen wir nebeneinander, kuscheln um nicht zu frieren in unseren dünnen Jacken. Irgendwann werden die Lichter der Stadt angegengen sein, und wenn wir uns zur Seite drehen, können wir alles sehen. Wir sehen die Zivilisation, wo sich die Menschen viel zu sehr auf das Haben konzentrieren, um das Sein überhaupt zu kennen. Wir sehen die Sterne, winzige Teile eines riesigen Universums, von denen jedes anders ist, so wie wir Menschen. Wir sehen die Berge, den Übergang von dem Bekannten in das Unbekannte, in die unendliche Weite des Universums. Die weiten, uralten, unzerstörbaren, mächtigen Berge. Oben schon weiß, unten noch grün. Die feine, geradezu zerbrechliche Linie zwischen Erde und Unendlichkeit. Und während wir das alles so sehen, werden wir still sein. Vollkommen still. So wie die Welt. Hier oben auf dem Hügel steht die Welt still. Sie steht still für uns zwei, während wir von weit oben, wie die Götter, alles sehen.

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