Winter

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Du bist wie Schnee. Schwer und kalt. Du schließt mich ein. Konsumierst mich. Sobald man dich sieht ist man in deinen Bann gezogen. Oft bist du schön anzuschauen, und man würde sich am liebsten zu dir legen; sich einfach in dich fallen lassen, wie in eine Schneewehe. Wenn die Sonne auf dir tanzt, strahlst du und tanzt mit ihr, doch sobald sich das kleinste Wölkchen davor schiebt, sinkst du in dir zusammen, fällst ein, wirst grau. Und wenn man dich nicht braucht oder will, bist du da und versperrst alles, legst alles lahm.

Deine Liebe ist wie der Winter. Wunderschön und doch tödlich. Glitzernde Gletscher, schneedurchzogene Straßen, matt leuchtende Lampen, die tanzende Schatten an fahle Häuserwände werfen. Doch legt man sich voller Vertrauen in diese Schönheit in den Schnee, zerfrisst sie einen langsam und unmerklich von innen. Die Kälte kriecht in meine Knochen, vergräbt sich dort; sie täuscht vor Wärme zu sein und gelangt so immer tiefer in meinen Organismus. Sie umschließt mich, umfängt mich mit herzlichen eisigen Armen, die mich langsam in die Dunkelheit ziehen.

Unsere Beziehung war wie ein Baum. Viel verzweigt und kompliziert. Unmöglich genau zu beschreiben oder zu zeichnen. Sie war einzigartig, so wie jeder Baum einzigartig ist. Und doch war sie oft wie ein kahler, dem Tod naher Baum. Schneebedeckte kohlschwarze Äste, die sich wie blinde Finger gen Himmel recken; immer auf die Sonne zu und sie doch nie erreichend. Deine Knochen waren kalt wie diese Äste, und umfingen mich wie einen Vogel, der sich zuerst friedlich sein Nest in den Zweigen gebaut hatte, nur, um dann zu bemerken, dass ihm der Baum doch nicht gefiel und fliehen wollte.

Alleine bin ich wie Wind. Aprupt die Richtung ändernd, mal kalt, mal warm, manchmal nicht existent. Ich bin Wind, der durch hohle Bäume, knorrige Äste, über schneeüberzogene Wiesen pfeift. Ich bin frei und doch gebunden an diese Welt, diese grausame kalte Welt mit ihren verlockenden sonnigen Momenten, die einen alles vergessen lassen.

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