Kreis

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Du sitzt in der Straßenbahn und eine leise, friedliche Melodie umwabert dich. Die Töne fließen durch deinen Kopf und legen ihren schützenden Schleier um dich. Eigentlich willst du keine Musik hören, willst gar nichts hören. Jeder Akkord, der aus den Kopfhörern dröhnt, ist zu viel für dein ohnehin schon überfordertes Gehirn. Aber etwas bekanntes, normalerweise beruhigendes zu hören, ist einfacher, als sich von ständig verändernden Geräuschen aus jeder Richtung mental hin und hergerissen zu fühlen.

Jedes Wort, jedes Rattern der Schienen, jedes Öffnen der Türen, jedes nervöse Tappen, jedes Geraschel, jedes Aneinanderreiben von Stoff, alles hallt in deinem Kopf wieder, vervielfacht sich, dröhnt in deinem, sich leer anfühlenden, Schädel. Wie das weite, wiederhallende, mit Fresken überladene Schiff einer Basilika ist auch dein Kopf gleichzeitig hohl und überfüllt. Kleine Gedanken huschen wie Mäuse von einer Ecke zur anderen und hektisch versuchst du ihnen zu folgen, doch sobald du das Gefühl hast den Gedanken endlich fassen zu können, lenkt dich ein weiterer ab, dicht gefolgt von einem kleinen, unwesentlichen Geräusch ausserhalb deines Kopfes, das sich anhört als hätte jemand einen Presslufthammer direkt auf deine Gehörknöchel gedrückt, was dich erneut ablenkt und dich mit deiner Gedankensuche von vorne anfangen lässt. 

Doch wonach suchst du eigentlich? Du weißt es nicht, willst es eigentlich nicht wissen, suchst nach Ablenkung und findest nur sich in dich hineinfressende Leere. Leere nur erfüllt vom rascheln, knacksen, zittern, wackeln, rutschen, quatschen, schmatzen, lachen, schlurfen, klatschen, atmen anderer Leute.

1000 LivesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt