Wellen

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Ich stehe, umgeben einer wogenden Menschenmenge. Der Rythmus und das Licht werfen mich hin und her; spielen mit mir, wie der Ozean mit einem Kiesel spielt. Alles dreht sich. Ich schwinge meinen Kopf im Takt, springe zum Rythmus auf und ab, lass mich treiben und gebe mich völlig hin, in der Hoffnung darauf, dass der schreckliche Schwindel, dieses furchtbare, aufdringliche, in mir aufsteigende Gefühl hinfort gefegt wird, wenn ich mich nur genügend fallen lasse. Diese seltsame Anspannung, die mich immer öfter einholt; fast stündlich mittlerweile. Das undankbare Gefühl des hier-nicht-sein-wollens.
Ich will hier nicht sein.
Nach Stunden, oder es kommt mir nur so vor, wanken wir dann endlich alle nach Hause. Wir kosten den Weg völlig aus in unserem Rausch, benutzen jeden Zentimeter des Gehsteigs. Alles verschwimmt zu einem merkwürdigen Geschwanke, ich tanze an der Straßenbahnstange, von irgendwoher hat einer meiner Freunde einen Hot-Dog, wir singen lauthals zu Liedern die keiner kennt und finden fast den Weg nach Hause nicht. Und so sehr ich auch lache und jede Sekunde unserer Jugend genieße, so sehr will ich hier nicht sein.
Der Gedanke folgt mir unaufhaltsam, gräbt sich gewaltsam in mein Gehirn. Ich schiebe ihn immer nur ungeduldig von mir. Das möchte ich nicht fühlen, nicht schon wieder, nicht mehr.
Wir kommen endlich zu Hause an. Unter wildem Gekicher sperren wir die Haustür auf, mit dummen Gedanken rauchen wir noch was am Balkon, vollkommen erledigt falle ich irgendwann in etwas, das sich wie ein riesiger mich umarmender Sessel anfühlt. Da liege ich nun. Umgeben von den besten Menschen, die ich mir vorstellen könnte, sich nach außen hin so gut fühlend wie seit langem nicht mehr.
Und doch; sobald alle leise vor sich hin schnarchen, öffne ich ein Fenster und verliere mich kurz in der aufgehenden Sonne. Alles war doch gut? Ich drücke meine heiße Stirn gegen die kalte Scheibe, um Schlaf und Vergessen flehend.
Kopfschüttelnd reiße ich meinen Kopf wieder nach oben und schwanke in die Küche. Wahllos mische ich zwei Säfte mit irgendwas und taumele zurück zum Fenster. Mit tiefhängenden Augenliedern, aber trotzdem nicht fähig zu schlafen ziehe ich eine Zigarette aus einer Schachtel die am Fensterbrett liegt. Meine tauben Finger geben sich Mühe sie anzuzünden und als ich es schließlich schaffe, lasse ich mich erschöpft in den Ohrensessel zurückfallen. Da sitze ich nun, warte auf das Ende der Nacht, das Ende des darauffolgenden Tages, will hier nicht sein.
Ich blicke voller Zuneigung auf meine Freunde, auf einem Haufen liegend, im Schlaf schnaufend und spüre Wellen der Liebe für sie. Doch trotz all dem, was mich an diese Welt bindet, wäre ich so viel lieber wo anders. Wo, ich weiß es nicht. Auch mit wem ist mir schleierhaft.
Bald jedoch drücken Schlafentzug, Alkohol und Leere auf mich ein und eine Welle der Müdigkeit umspült mich. Mit fliegenden Gedanken sinke ich in den ersehnten Schlaf, schon traurig weil ich morgen wieder   aufwachen muss.
Und hier nicht sein werde wollen.

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