Schönheit

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Steigt dein Kopf auch jemals in so unendliche Höhen, dass du fürchtest er wird nie wieder den Weg zurück finden? Auf der einen Seite willst du wieder geerdet sein, willst du, dass du alles wieder aus gewohnter Perspektive betrachten kannst. Auf der Anderen willst du weiter in deinem Wolkenschloss bleiben und alles weich zeichnen lassen, von dem Nebel der deinen Kopf umwabert.

Denn oben in deinem eigenen Gedankenpalast ist alles still, alles deins. Dort kannst du alles ausblenden, was du nicht sehen möchtest oder kannst. Dort kannst du alles verdrängen, was du gesagt bekommen hast. Dort kannst du sein wer du bist.

Als du dich das letzte Mal am Boden befandest hat man dich in die Hölle gezogen. Es wurde geschrien, mit Worten gekämpft, verbittert diskutiert. Alles drehte sich im Kreis, verzweifelt versuchtest du neue Blickwinkel zu eröffnen und versagtest kläglich. Nur niedergebrüllt und klein gemacht wurdest du. Da kauerten sich deine Gedanken zu einer kleinen Kugel zusammen, die nur mehr weinend versuchte zu erklären warum du so bist, wie du nun mal bist. Doch so sehr du es auch versuchtest, niemand kann erklären warum er so ist, wie er ist. In diesem Moment war es dir lieber du wärst nicht so, wie du bist. Es hätte alles leichter gemacht. Du hättest nie ein Wolkenschloss gebraucht.
Hast du dich je in deiner eigenen Familie fremd gefühlt?

Es ist ein schreckliches Gefühl. Ein bohrendes, dich zerfressendes Gefühl der tiefsten Einsamkeit; so tief wie du sie sonst nie wieder erfahren wirst. Sobald du sie das erste mal angeschlichen kommen fühlst, hast du deinen eigenen Gedankenpalast. Es ist überlebensnotwendig. Denn ohne diesen einen Zufluchtsort, diesen einen Ort des Friedens würdest du dich selbst verlieren. Du würdest dich in all dem Hass und der Ignoranz und der Hässlichkeit der Welt verlieren und wärst nie wieder fähig Schönheit wahrzunehmen.

Der Wolkenpalast dient nicht dazu, Vergebung zu lernen, er dient dazu dich wieder fühlen zu lassen.

Du kommst aus der Hölle auf die Erde zurück und alle täuschen Frieden und Fröhlichkeit vor; und langsam, ganz langsam spürst du, wie dir der Sinn fürs Schöne und dein tiefstes friedliches Selbst entgleitet. Also verlässt du die Erde und begiebst dich in dein Gedankenschloss.

Und plötzlich bist du erfüllt von erlösender Apathie der Abneigung anderer gegenüber. Du lässt dein Haus, dein Heim hinter dir und schwebst durch die Welt und siehst das Schöne in allem.

Die atemberaubende Ästhetik des Sonnenuntergangs; die schlichte Grazie einer Katze; die seltsame Anmut der Kellnerin; das linkische Lächeln des Kleinkindes; das Rauschen des Windes; das Plätschern von Regen; der unscheinbare Frieden eines schlafenden Partners; die ungewollte Ansehnlichkeit zerstrubbelter Haare; die simple Freude eines Lächelns; die malerische Verteilung von Rauch in einem Raum; die atemberaubende und doch simple Schönheit der Natur; all das siehst du auf einmal.

Mit den Gedanken noch hoch oben in den Wolken rollst du dich in deinen Decken zusammen und driftest davon in die Welt des Traums, in der alles noch schöner sein wird; lächelnd voll Gewissheit, dass diese Fähigkeit der Schönheit deinen Teufeln immer fehlen wird.

1000 LivesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt