Stille

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Während du schliefst, lag ich begraben unter den seltsamen Minuten zwischen Schlaf und Wach. Dieses erdrückende Gefühl müde zu sein und nicht schlafen zu können; traurig zu sein und nicht weinen zu können; am Leben zu sein und nicht sterben zu können. Du lagst in meinen Armen den Kopf auf meiner Brust, die Hand auf meiner Schulter, den Atem an meinem Hals. Und es war das schönste Gefühl der Welt. Wie kann es sein, dass man das Gefühl hat zu ersticken, während man an der Sauerstoffflasche hängt? Ein Auto fuhr vorbei und am Rande meines Bewusstseins sah ich die Lichtschlieren über den Boden ziehen. Für den Bruchteil einer Sekunde warst du hell erleuchtet; fuhr das Licht über deine Augenlieder. Ich fokussierte auf sie. Du schienst zu träumen, deine Augäpfel bewegten sich wie wild, und bewegten die Lieder mit ihnen. Langsam driftete ich ab, hatte die Augen halb zu und sah doch etwas. Eine Melodie buhlte um meine Aufmerksamkeit, altbekannt und doch fast vergessen. Das Lied, das anspielte weckte Erinnerungen, trieb abrupt den schon halb toten Motor meines Denkens an. Keine gute Idee. Ich dachte ans Leben und ans Sterben; ans Warum, ans Wieviel und ans Wann. Warum wird ein Mensch so wie er ist? Wieviel Schmerz passt in eine Person? Wann wurde ich so? Wann...

Irgendwann wich das taube Gefühl in meiner Brust einem Warmen. Ich musste an dich denken, an uns. Alles was wir je erlebt hatten, und das was wir noch tun könnten. Hier verdüsterten sich meine Gedanken schlagartig, wie der Himmel, als eine Wolke sich vor den Mond schob. Wie konnte ich nur daran denken aufzuhören, wenn ich doch den besten Grund hatte weiterzumachen? Aber weitermachen, so lang... Ich schüttelte den Kopf, als könnte ich den Gedanken verscheuchen wie ein lästiges Insekt. Ich ärgerte mich noch im selben Moment über mich selbst. Wahrscheinlich hatte ich dich jetzt aufgeweckt, dabei schliefst du endlich so friedlich. Ich verrenkte meinen Hals um dich ansehen zu können. So, so Wunderschön. So friedlich. Du schliefst so ruhig, du bewegtest nicht einmal mehr deine Augen im Traum. Ich legte meinen Kopf wieder zurück ins Kissen, bereit mich wieder meinen Gedanken zu stellen. Doch sie kamen nicht. Meine kleinen, so gewohnt gewordenen Geister kamen nicht. Irgendetwas war anders...Irgendetwas war falsch... Erneut fuhr ein Auto vorbei, und zog die Lichtschlieren mit sich, dann war es wieder still. Da fiel der Groschen. Mitten hinein in die Stille. Diese dichte, schwarze Stille. Sie schlich um uns herum wie ein Tier, das darauf wartet uns fressen zu können. Ich hielt die Luft an, als wäre die Stille kaltes, schwarzes Wasser. Und auf einmal war es vollkommen still. 

Ich lag da und wartete. Wartete auf einen Japser, ein Seufzen, ein Stöhnen, ein Luftschnappen aus deinem Mund. Aber es kam nichts. Alles begann sich zu drehen, als würde auch ich nicht atmen. Was wenn? Aber es könnte doch? Und warum? Tausend Fragen und noch mehr schossen mir in einer Zehntelsekunde durch den Kopf. Die Geschichte meiner Oma, als sie meinen Opa nicht mehr wecken konnte, der Gedanke dich nicht mehr wecken zu können. Er trieb mir Tränen in die Augen, den Schrecken in die Glieder und das Adrenalin in die Adern. Abrupt setzte ich mich auf, keinen Gedanken daran verschwendend ob ich dich nun aufweckte damit, denn das war ja mein Ziel. Ich stützte mich auf, mein Gesicht schwebte über deinem. Bis du die Augen verschlafen aufschlugst, verwirrt über mein seltsames Verhalten.  

Bald schliefst du wieder. Du hattest gegrinst und mich geküsst für meine Angst. Aber jetzt kamen meine Geister wieder, sie schlichen sich in mein Ohr und flüsterten. 

Irgendwann... 


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