Mit meinen Fingerspitzen fuhr ich langsam die wölbenden Narben und Adern ab, die sich in einem bunten Farbspektrum auf meinem Arm entlang zeichneten. Ich wusste nicht, wie lange ich bereits in der Zelle festsaß. Was ich wusste war, dass ich meine Meinung nicht geändert hatte.
Verstand ich Alcatraz? Natürlich. Er wollte mich nicht verlieren, weil er mein Verschwinden so wie alles Andere auf seine Kappe nehmen würde. Selbst, wenn es natürlich absoluter Schwachsinn war.
Ich denke, auch Ziv und Cormac hatten eingesehen, dass es keine Andere Möglichkeit gab, als mich dem Clockout akzeptieren zu lassen. Meine Befürchtung war es, dass sie mich hier sterben lassen wollten, da es keine Garantie gab, das Maekken sie nicht aufsuchen würde, sobald ich zurück in Unwin war.
Natürlich wollten sie das nicht Riskieren.
Das Verstand ich. Und ob ich jetzt hier starb, oder für den Rest meines Lebens in Unwin als Ephronium Junkie rumlief, machte keinen besonders großen Unterschied. Und solange Maekken nicht doch noch irgendwo in meinem Körper einen weiteren Peilsender gepflanzt hatte, müssten sie mich nur noch irgendwo vergraben, weit weg vom Gelände.
Also wartete ich nun. Auf meinen einundzwanzigsten Geburtstag. Auf meinen Tod.
Alcatraz kam ständig vorbei, fragte jedes Mal, ob meine Meinung die Selbe sei. Jedes Mal nickte ich und starrte ihn stur an. Ich verschwieg ihm mit Absicht, das mein Plan sich geändert hatte. Das ich den Tot sofort akzeptieren würde. Das es das beste für uns alle war und auch, dass ich mir sicher war, dass seine Väter das genauso sahen.
Ich wachte auf, von einem Klopfen an der Zellentür. Es war Nacht, wie mir das elektrische Fenster verriet.
Verwirrt hob ich meinen vom Schlaf schweren Kopf vom kleinen Kissen. Meine Sicht war verschwommen und unscharf, so dass ich meine Augen einige Momente reiben musste, um ein klares Bild meines Besuchers bekommen zu können.
Morrigan.
Sie stand an der Tür und schien sich ständig umzusehen, so als wäre jemand hinter hier her, oder sie hätte Angst von jemandem gesehen zu werden.
Unsicher stand ich auf und kam der Tür näher.
"Was willst du hier?" Fragte ich sie verschlafen und gähnte.
Sie sah mich kurz eindringlich an.
"Du willst doch raus? Zurück nach Unwin?" Fragte sie nervös zurück und sah sich erneut um.
Ich nickte zögerlich und versuchte in ihrem Gesicht zu lesen, was sie vorhatte.
Sie atmete tief durch. "Gut. Ich will auch, dass du verschwindest. Win-Win!" Erklärte sie, starrte dann auf die Wand neben der Tür und drückte dann mit zögerlicher Entschlossenheit auf den Knopf, der meine Tür zischend öffnen ließ.
Ich war fassungslos. Ich zog meine Lederjacke über und ging langsam aus der Zelle raus.
Jetzt standen Morrigan und ich uns gegenüber. Es war eine seltsame Situation.
Bisher waren unsere Begegnungen von Feindschaft und Eifersucht geprägt gewesen. Jetzt half sie mir, zu entkommen. Doch es war nicht aus Herzensgüte oder Mitleid, sondern, damit sie ihr Ziel erreichte.
Dankte ich ihr? Ich war noch nie in einer Solchen Situation gewesen.
Also nickte ich sie an, und fing an zu laufen.
Raus aus dem Korridor, die Treppen herauf, ab aufs Dach, dessen Tür Koda wieder mit einem Stein präpariert hatte.
Es war kalt und sehr windig, so dass ich beim Laufen durchgehend das Gefühl hatte, bald vom Dach geweht zu werden. Dann runter durchs Dach in die Trainingshalle. Der Weg war am wenigsten bewacht und ich könnte Kinderleicht herausfinden.
Meine verwehten langen Haare wurden von mir in meine Kapuze gestopft und ich hangelte mich die endlosen Stahlleitern nach Unten.
Jetzt blieb ich kurz stehen, um zu horchen. Nur die Stille der großen, unbenutzten Trainingshalle und der Wind Draußen.
Ich erinnerte mich, wie hellhörig Alcatraz war, und wie er mich das letzte Mal hier erwischt hatte, also lief ich langsam und leichtfüßig durch die Halle, wie beim Ballett, auch wenn meine klobigen, massiven Stiefel nicht das gleiche waren, wie dünne Balletschlappen.
Ich steckte meinen Kopf durch die Tür. Stille, Dunkelheit.
Das hier war der kritischste Punkt meines Vorhabens. Die Zimmer meiner Freunde lagen direkt neben mir. Nur die Türen versperrten ihnen den Weg zu mir. Ich sah wieder die dünnen Lichtstreifen unter ihren Türen. Ich hielt die Luft an und ging vorbei. Gott, bitte lass mich jetzt nicht niesen.
Mir gelang es, leise durch den Flur zu gehen und dann unbemerkt durch den Überwachungsraum zu gelangen.
Jetzt nur noch durch eine Tür, und danach müsste der Ausgang links liegen.
Ich tastete die massive Betonwand ab, bis ich ins kribbelnde Nichts fasste. Aha!
Ich trat durch und stand mitten auf dem Schrottplatz. Draußen.
Es war mir gelungen! Und das dank Morrigan...
Noch einmal drehte ich mich um und starrte an der riesigen Wand hoch. Eine Träne rollte, wenn ich daran dachte, welch eine schöne kurze Zeit hier verbringen durfte.
Dann raffte ich meine Lederjacke zusammen und machte mich auf den Weg.
Zurück nach Unwin und Maekken Androcles
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Alcatraz & Ophelia
AdventureWas würde jetzt mit mir passieren? Jetzt, da ich aus diesen Farblosen Mauern entkommen bin. Mein Schicksal lag ab jetzt in der Hand von drei völlig Fremden die in Schwarzem Leder gekleidet in die meist bewachte Festung von ganz Proctor einbrachen; E...