Flucht

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"Gehts?" fragte Traz als er sich zu mir runterbeugte. Prüfend sah er sich um, ob alle Gefahren ausgeschaltet waren. Langsam kamen auch Lynx und Malakai zu uns rüber. Stöhnend setzte ich mich hin. Meinen Kopf haltend, warnte ich die drei; "Ja alles gut, ihr müsst schnell verschwinden!" "...Nein." sagte Lynx zögernd. "Du kommst mit." Seufzend begutachtete ich meine Verletzungen. "Geht nicht. Mein Shacker..." Sagte ich und fasste mir hinters Ohr. Zischend zog ich meine Hand zurück. Er war weg.

Der Shacker war nicht da, wo er mein ganzes Leben lang war. Stattdessen war eine klaffende Wunder an seinem Platz. Völlig perplex wirbelte ich herum und spürte dabei das Ausmaß meiner Verletzungen. Da lag er. Mit einem blutigem Rand und verbogenen Kabeln. "Er ist weg, er ist ab." Stotterte ich. "Super" sagte Lynx. "Dann kannst du ja jetzt mitkommen." Ein unbekanntes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus. Ich werde... Ich werde hier rauskommen. Dachte ich und glaubte mir selbst kein Wort. Wie oft hatte ich wirre Träume davon gehabt was außerhalb der Mauern von Unwin vor sich ging. Wie groß würde Proctor sein? In seiner ganzen Größe? Ich hatte keinerlei Vorstellungsvermögen davon was wirklich groß oder klein war. Unwins farblose Gemäuer waren alles was ich an der Welt und Proctor kannte.

Malakai kletterte zuerst an der vom Regen nass und glitschigen Baumrinde auf den Boden. Dann Lynx, nachdem er mir aufmunternd zulächelte. Die Beiden ließen es kinderleicht aussehen. Ich schluckte als ich über die kleine Mauer spähte und den Boden sah. Plötzlich kam es mir vor als wäre er kilometerweit weg. Mir wurde schwindelig und ich fragte mich, ob das an meinen multiplen Kopfverletzungen oder der Höhe lag. Ich fuhr heftig zusammen als Alcatraz mir seine eiskalte große Hand auf den Rücken legte. "Ich gehe vor und passe auf, dass du nicht fällst, ok Tänzerin?" Bot er mir an und klang dabei wirklich fast nett. Dann schwang er sich furchtlos über die Mauer und hangelte sich wie ein Irrer durch die Baumkrone. "Wenn ich schon Zusatzgepäck mitschleppen muss, kann's ruhig auch heil ankommen" murmelte er mit seiner unglaublich tiefen Stimme. Wie schon gesagt.

Fast.

Fast nett.


Ungeschickt und von meinem Kleid gehindert kletterte ich mit verkrampften Händen zitternd den Baum runter und riss meine Haut an der Rinde auf. Der Geruch von nassem Holz und Laub war in meiner Nase. Zum wiederholten Male, leckte ich über die Wunde auf meiner Lippe und zischte vor Schmerz auf, obwohl ich genau wusste, was passierte, wenn ich meine Zunge darüber lecken ließ. Doch der kurze Schmerz lenkte mich von meiner Furcht ab. Meine geschwächten Gliedmaßen drohten vor Erschöpfung zu versagen. Die drei Jungs warteten unten. Lynx war der einzige, der mir ermutigende Sachen zurief. Malakai schaute mir nur mit gerunzelter Stirn zu und Alcatraz stand demonstrativ mit dem Rücken zu mir und wartete darauf, endlich loslaufen zu können. Ich fühlte mich schon jetzt wie ein Klotz am Bein. Zu allem Übel fing es außerdem wieder an zu regnen und die Rinde wurde nocheinmal rutschiger. Mein weißes langes Kleid war rot gefärbt von meinem Blut, grün und braun von der Baumrinde. Ich sah sicherlich toll aus. Meine Schuhe hatte ich beim klettern verloren und ich erwartete nicht, das sie noch zu verwenden waren. Als ich nach gefühlten Stunden endlich unten war, stützte ich mich schwer atmend und meine Wunden begutachtend an den Baum und Lynx klopfte mir stolz auf die Schulter, die ebenfalls höllisch schmerzte. Durch den Schmerz beißend grinste ich ihn verkrampft an und wischte mir den Regen mit meinem durchnässten Ärmel von meiner geröteten Wange. "Hast dus?" Fragte Alcatraz mit hochgezogener Augenbraue. Ich nickte beschämt und holte noch einmal tief Luft, da hörten wir, wie oben auf dem Dach die eiserne Tür erneut aufging. Dann Funkgeräusche. Alcatraz schnalzte mit der Zunge und bedeutete uns, ihm nachzulaufen. Nicht mehr lange, und ganz Unwin würde nach uns suchen. Mein Herzschlag verdoppelte sich, als ich daran dachte, was die Soldaten von Maekken mit uns anstellen würden, würden sie uns zu fassen kriegen. Lynx zwinkerte mir zu, als er mein Handgelenk nahm, als hätte er meine furchteinflößenden Gedanken gelesen. Und dann machten wir uns auf den Weg ins Unbekannte.

Was würde jetzt mit mir passieren? Jetzt, wo ich aus diesen Farblosen Mauern entkommen bin. Mein Schicksal lag ab jetzt in der Hand von drei völlig Fremden die in Schwarzem Leder gekleidet in die meist bewachte Festung von ganz Proctor einbrachen. Einem stillen Ninja der kein richtiges Wort von sich gab, seit wir zusammentrafen. Einem Schlagring tragendem Chameur. Und einem Unfreundlichem Hercules, dessen Herz so Schwarz sein musste wie seine Augen und Haare.

Was für eine Geschichte würden wir vier wohl schreiben?

Alcatraz & OpheliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt