Clockout

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Ich kam wieder zu mir und stieß den Muskelbepackten Irren von mir weg. Zitternd atmete ich schwer ein und strich mir die wirren Haare aus dem Gesicht. Er lehnte betont entspannt an der Wand, gegen die er mich Sekunden vorher noch gedrückt hatte. Lynx kam um die Ecke und schaute uns erst fragend, dann besorgt an. Kurz zögerte er. "Gehts dir gut, Lia?" Fragte er mit einem Seitenblick auf Alcatraz. Ich nickte heftig und lächelte ihn gezwungen an. Seine Stirn legte sich skeptisch in Falten. "Gott, Chill Lynx" gab Alcatraz grinsend von sich und seine tiefe Stimmlage löste bei mir Gänsehaut aus. Lynx seufzte und wandte sich an mich. "Rate, wer dein Trainer wird" er grinste mich erwartend an. Mein Gesicht hellte sich schlagartig auf. "Wirklich?" Fragte ich super erleichtert. Ich hatte bereits das schlimmste erwartet. Zum Beispiel Alcatraz. Der legte seinen Kopf schief nach hinten und kaute auf der Innenseite seiner Wange. Sein Blick war plötzlich super kritisch und unfreundlich. "Wirklich? Du? Sollst die Tänzerin trainieren?" Lynx nickte überrumpelt. "Ich denke das beaufsichtige ich." Sagte er und stellte sich breitbeinig hin. Etwas in Lynx Gesicht änderte sich und er sah frustriert aus. "Wenn du das unbedingt tun musst... Nur zu."

Eine halbe Stunde später stand ich in einer engen Sporthose, die Hattily mir geliehen hatte in der Halle, in der mich Alcatraz letzte Nacht umgekickt hatte. Zwar machten mir vor allem mein Kopf und meine restlichen Verletzungen noch Schmerzen, doch ich war froh etwas zu tun zu haben. Weniger froh war ich darüber, das Alcatraz jede meiner Bewegungen beobachtete und ich mir vorkam wie eine Maus die von einer hungrigen Katze beobachtet wird. Lynx brachte mir sehr einfache aber effektive Tritttechniken bei und ich musste sagen, meine Tanzausbildung erlaubte mir, sehr hoch und mit einiger Kraft zuzutreten. Mir fiel auf, das Kämpfen einem Tanz sehr ähnelte. Es gab genaue Bewegungen die zu einem perfektem Endergebnis führten und ich merkte, wie ich Spaß hatte und bald vergaß ich, das Alcatraz auf einer der Plattformen stand.

Nach ungefähr zwei Stunden tat mein Kopf einfach zu sehr weh ich ich fragte, ob wir für heute aufhören konnten. Lynx aber bestand darauf mir noch eine Trittfolge beizubringen und ich wollte ihn nicht enttäuschen. "Lynx, lass sie eine Pause machen!" Donnerte es von Oben. Mit großen Augen starrte ich ihn nach Oben an und merkte wieder einmal, wie meine Augen von seinem intensiven Schwarz angezogen wurden. Lynx ignorierte seinen Freund und zeigte mir noch einmal die Trittfolge. Dann hörten wir einen lauten Wumms von hinter uns. Alcatraz war gesprungen. Und stand da wie eine eins. Wie konnte dieser Mensch gesunde Sprunggelenke haben? Er kam mit schweren Schritten auf uns zu. Ich schluckte und drehte mich zu Lynx.

"Wenn du sie schon quälst, zeig es ihr richtig!" Motzte er und stellte sich genau hinter mich. Dieser seltsame Schauer kroch wieder über meinen Körper und meine Haut schien fast in Flammen aufzunehmen gehen, als er mich an der Taille in die richtige Position stellte. Meine Lunge spielte verrückt und ich vergaß zu Atmen. "Traz! Lass mich das doch einfach machen!" Forderte Lynx ihn auf. Alcatraz wandte sich an ihn und machte eine wegwerfende Bewegung. "DU zeigst es ihr aber falsch und ich will dich nicht trösten, wenn die Tänzerin wegen dir im Kampf draufgeht." Stachelte er ihn an.

Meine Sicht wurde plötzlich irgendwie verschwommen und es tanzten bunte Punkte vor meinen Augen. "Mhh... Lynx" sagte ich und merkte wie ich schwankte.

"Wetten ich kann dich mit genau diesem Tritt zu Boden bringen?" Forderte Lynx Alcatraz heraus. Der lachte amüsiert und stellte sich in Position. "Hey, ihr.." Versuchte ich wieder auf mich Aufmerksam zu machen. Doch die Beiden fingen an sich zu bekriegen und Tritte und Hiebe auszuteilen, die eine Menge Kraft beanspruchen mussten. "Alcatraz!" Versuchte ich ein letztes Mal mein Glück. Sofort hielt er Inne und sah zu mir rüber. In diesem Moment verloren meine Beine jegliche Muskelkraft und meine Augen die Sehkraft.

Als ich wieder zu mir kam lag ich nicht mehr auf dem Boden in der Halle, sondern auf einem weichen Untergrund. Ich hatte einen trockenen Mund und mein Kopf wummerte. Bevor ich meine Augen öffnete, erkannte ich an Alcatrazes Geruch, das ich in seinem Zimmer sein musste. Ich seufzte einmal herzzerreißend, ehe ich angestrengt meine Augen öffnete. Das Zimmer war leer. Ächzend setzte ich mich auf, und bereute es sofort. Es fühlte sich an als ob mein Herzschlag nur in meinem Kopf hämmerte. Ich hielt mir den Kopf und atmete ein paar mal tief ein und aus.

Da ging die Tür auf und Lynx und Alcatraz kamen in den Raum. Schief lächelnd begrüßte ich die beiden. "Du bist wach!" Strahlte Lynx mich an und setzte sich neben mich. Kurz zögerte er, dann legte er seine warmen Arme um mich. Über seine Schulter, konnte ich sehen wie Alcatraz seine Fäuste ballte und wieder öffnete. Seine Augen schienen sich mal wieder in meinen Verstand zu bohren. Nervös löste ich mich von Lynx und strich mir eine Strähne hinter mein Ohr. "Wie gehts dir jetzt?" Fragte der blonde Junge. Ich schnaubte leise belustigt auf und zuckte mit den Schultern. "Ganz gut, denke ich. In Unwin bin ich ständig umgekippt aber danach bin ich definitiv nicht in einem Bett aufgewacht" lachte ich und erinnerte mich schaudernd an meine Vergangenheit, die erst zwei Tage hinter mir lag. "Was meinst du? Was hat Maekken mit dir gemacht?" Fragte Alcatraz tiefe Stimme plötzlich. Wieder sah ich ihm direkt in die Augen. Mein Mund öffnete und schloss sich wieder. Ich fummelte an einer schwarzen Strähne rum. "Mein Clockout wurde verlegt. Nach vorne." Alcatraz fiel alles aus dem Gesicht. Und das soll was heißen bei diesem Eisblock. "Clockout? Ich dachte, das ist ein Mythos?" Fragte Lynx erschrocken. Ich schüttelte den Kopf und versuchte die beiden anzulächeln, doch es missglückte. "Wann?" Fragte Alcatraz plötzlich mit brüchiger Stimme. "Einundzwanzig" Beantwortete ich seine Frage. "Wie alt bist du?" Fragte er mit mehr Druck. "Ich weiß nicht genau" sagte ich und zog meine Beine an meine Brust. "Ich denke achtzehn, neunzehn oder..." Ich stockte. "Zwanzig" Beendete Lynx meinen Satz und starrte auf den Boden. Ich nickte und kaute auf meiner Lippe.

Ich versank in Gedanken. Mein Clockout. Eine weitere tolle Erfindung von Maekken Androcles. Ein Clockout ist ein dünnes Netz, das sich um mein Herz wickelt, und an meinem einundzwanzigstem Geburtstag zu glühen anfangen wird, bis mein Herz in tausende kleine verbrannte Stückchen geschmolzen wird. Maekken ist der Meinung, das seine weiblichen Angestellten nicht länger leben sollten, als es unbedingt notwendig war. Ausnahme sind hierbei seine Ehefrauen, die er vom Ephronium abhängig macht. Und da niemand wusste, wann genau ich geboren wurde, kann es jeden Tag soweit sein. Der Shacker war nicht das einzige, das Maekken in uns einpflanzte. Der Clockout wird dafür sorgen, das ich nicht mehr lange hier war, aber dennoch war ich unbeschreiblich glücklich, meine letzten Tage hier zu verbringen und ich würde alles tun, um die Wallrider mich als eine von sich zu akzeptieren.

Alcatraz & OpheliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt