Wallrider

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Nachdem wir über die viel zu Hohe Mauer gerieten, die abseits der Festung am Ende eines nicht enden wollendem Feld stand, spürte ich meine Füße nicht, die durch das nasse Gras unterkühlt wurden. Ich versuchte den Jungs nicht zu zeigen in was für schmerzen ich tatsächlich war. Denn mir war nicht nur unbeschreiblich kalt durch den heimtückischen Regen der unablässig in großen runden Tropfen auf unsere Köpfe und Schultern prasselte. Die Wunden des Kampfes auf dem Dach machten sich wirklich bemerkbar. Wirklich jede Faser meines Körpers schmerzte. Doch wenigstens war meine Erschöpfung erstmal durch Adrenalin ersetzt worden. Ich dankte dem Universum, denn ohne das Adrenalin könnte ich mit den trainierten, langbeinigen Jungs nicht mithalten. Als wir hinter der Mauer waren, starrte ich fasziniert auf die Landschaft die sich mir bot. Gelbes Gras, das sich unter dem Gewicht des Regen gen Boden beugte, ein paar Autowracks, die verrostet auf der unbenutzten Fläche standen. Ab hier konnten uns die Soldaten zumindest nicht auf dem Bildschirm sehen. Trotzdem sollten wir aus dem freien Feld entkommen. Erst dann wären wir sicher.

"Fast geschafft..." keuchte Lynx und grinste mich siegessicher an. Ein krampfhaftes Lächeln war meine Antwort und ich verfluchte Aclatraz dafür, dass er gerade hier stehen blieb. Durch das stehen baute sich mein Adrenalin ab und die Erschöpfung und das volle Ausmaß meiner Verletzungen machte sich bemerkbar. Ich kniff immer wieder meine Augen zusammen, denn meine Sicht verschlechterte sich. Vermutlich war die klaffende Wunde hinter meinem Ohr die Uhrsache für dieses fürchterliche Gefühl. Alcatraz und Lynx joggten gerade wieder los, da spürte ich ein unbeschreiblich schmerzhaftes ziehen in meinem Bauch. Wie angeschossen fiel ich plötzlich nach hinten und hielt mir unter Schmerzen die Hände vor meinen Bauch. Dann fühlte ich ein schleimiges, metallisches etwas in meiner Luftröhre und hustete große Mengen Blut. Malakai kniete vor mir, ohne den anderen Bescheid zu sagen. Ich wusste, es stand gerade nicht gut um mich. Hilfesuchend krallte ich mich an seinen Arm. "Haben sie dir in die Bauchgrube getreten?" fragte Malakai. Überrascht sah ich ihn erst an, nickte dann langsam. Er lehnte mich an die Mauer und begutachtete meine zahlreichen Wunden. Meinen durchnarbten Arm, der immer mit den Schockern bearbeitet wurde etwas länger als die anderen. Meine Sicht wurde immer schlechter. Irgendwie milchig und pulsierend. In diesem Moment kamen Alactraz und Lynx in mein Blickfeld. Lynx schaute Malakai besorgt über die Schulter und sagte etwas, das sich nicht nach Worten, sondern nach einem weit entfernten Gesumme anhörte. Fasziniert sah ich zu den dreien auf. Alle schienen entweder mit mir und mit sich zu reden, doch mein Einschätzungsvermögen für diese Situation wurde durch meine schwindenden Sinne sehr beeinträchtigt. War es das schon? War das meine kurze Reise? Mein großes Entkommen endete im Tot bevor ich wirklich außerhalb Unwins war. Ich atmete rasselnd ein und sammelte Kraft für meine vermutlich letzten Worte. "Malakai... kann... sprechen!"

Wäre ich bei Verstand gewesen, hätte ich vermutlich irgendwas epischeres gewählt. Sowas wie:

Vergesst niemals, wie wichtig Freundschaft ist, oder Carpe Diem, oder E=mc hoch 2 .

Aber für mich war es das unbestreitend wichtigste der Welt Malakais Freunden mitzuteilen,das er tatsächlich reden konnte. Etwas, was sie ganz definitiv selbst wussten.

Das nächste was ich sah, war eine tiefe Decke. Ich sah mich um. Ich lag. Meine Gliedmaßen hatten Pflaster, Verbände und zugenähte Wunden auf sich. Beim aufrichten hielt ich mir meinen schmerzenden Kopf fest. Erst jetzt sah ich, das mein Schlafplatz ein Auto war, dessen Sitze und Equipment abmontiert wurden. Stattdessen lag eine Matratze in ihm. Ein paar Decken und Kissen. Noch nie hatte ich in einem Auto gesessen, auch nicht in einem, das ein Bett war. Neugierig schielte ich aus dem Fenster. Ich sah eine riesengroße Industriehalle, in der viel Altmetall und Schrott an den Wänden lagen. Durch hoch gelegene Fenster drang Licht in die Halle. Es war Tag. Ich lebte noch. Wo war Lynx? Wie kam ich hierher? War ich sicher? Ich trug eine weiche, graue Stoffhose und einen dunkel blauen Pullover. Noch nie hatte ich etwas anderes als meine Tanzkleider getragen. Abgesehen von den Nachthemden. Hosen, so musste ich feststellen waren super bequem. Mit klopfenden Herzen schaffte ich es die eine Autotür zu öffnen. Ich spähte zuerst nur heraus und lauschte. Doch hörte nichts. Vorsichtig stieg ich aus und stützte mich humpeln aufs Auto. Auf weißen Socken schlich ich so leise es ging weg vom Auto. Ein alt aussehendes, weißes Auto mit Rost auf der Motorhaube und Türen. Die Fenster sahen verschmiert aus und die Reifen waren platt und abgefahren. Es roch nach kaltem Stein und Motoröl. Ich rieb mir die kalte Nasenspitze und richtete meinen Blick an die Hohe Wand der Halle. Wallrider. Stand dort geschrieben. In schwarz und grauen Buchstaben. Was mochte das wohl bedeuten? Ich ging langsam weiter. Ich fühlte mich unglaublich winzig und verloren in dieser riesigen Halle. Fragend sah ich mich um, nach einer Tür oder ähnlichem. Doch es schien keinen direkten Weg in dieses Gebäude zu geben. Doch dann hörte ich entfernte Stimmen und ich bekam Panik. So schnell ich konnte, humpelte ich zurück zu meinem Auto-Bett und stürzte mich hinein, schloss die Tür, legte mich hin und versuchte meinen Atem zu kontrollieren. Dann lauschte ich. Erst hörte ich nicht viel. Gar nichts eigentlich. Gerade als ich darüber nachdachte nocheinmal zu gucken, hörte ich jemanden genau vor dem Fahrzeug. Dann wurde meine Tür aufgemacht. Sofort tat ich so, fest zu schlafen. "Tänzerin", hörte ich jemanden sagen, diese Stimme schien mir bis tief in meine Seele zu kriechen, so tief war sie. Ich tat so als öffnete ich langsam meine Augen, als ob ich aus dem Tiefschlaf erwachte. Als ich sie öffnete, starrte ich direkt in Nachthimmelschwarze Augen.

Alcatraz.

Alcatraz & OpheliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt