Zehn

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Keine Träume. Keine Visionen. Keine Erinnerungen. Nichts von all dem plagt mich heute Nacht. Ich kann schlafen. Vielleicht liegt es auch am Alkohol, der nach meinem Bier in Form von ein paar Tequila Shots in meinen Organismus eindringen konnte, aber was es auch ist. Ich bin dankbar dafür. So beginnen eigentlich die meisten Alkoholiker Stories oder?

Auch heute stehe ich wieder mehr als zeitig auf. Die Nachwirkungen des gestrigen Abends, sind nicht so stark wie angenommen. Eine Runde Joggen um den See und ich spüre nicht mehr einen Tropfen. Gähnend mache ich mich auf den Weg aus dem Gästezimmer zur Küche, um mir ein Glas Wasser zu machen, bevor ich trainiere.

Nachdem ich den Hahn wieder abgestellt habe, höre ich undefinierbares Kichern. Dumpf, aber prägnant. Vielleicht sollte ich mir ein Shirt überziehen, bevor das Kichern menschlich wird und mir vor die Füße tritt. Ich stelle das leere Glas in die Spüle. Als ich mich jedoch wieder zum Flur drehe, erschrecke ich kurz. Aislinn kommt aus Viennas Schlafzimmer. Clayfield's Tochter gleich hinterher. Sie halten sich an den Händen und lachen über irgendeinen schlechten Witz, bevor sie mich in der Küche stehen sehen.

„Gut geschlafen?",begrüße ich sie, ohne dabei den Blick von ihnen abzuwenden. Gott sie sind wirklich wunderschön zusammen. Einzeln selbstverständlich auch, aber beide...
Sie bilden eine Einheit. Ich bemerke wie Vienna schluckt, als sie mich sieht und Aislinn verlegen ihren Blick abwendet. „Wir haben kaum geschlafen, wenn du...",grinst Vienna. Ihre weißen Zähne funkeln mich geradezu an. „Jaja, schon klar. Ich geh mir was anziehen.",antworte ich mit erröteten Gesichtszügen. „Warte Jack. Wir wollen noch mit dir reden."

Die Brünette hält mich am Arm und hindert mich so am gehen. Der Akt ist nicht mit großer Kraft verbunden, ihre Hand schafft es kaum um meinen Oberarm zu packen, doch die Geste lässt mich kurz erstarren. Ich folge den Mädchen zur Couch, auf der wir uns niederlassen. Ein kühler Herbsttag steht vor der Tür. Das Laub raschelt durch eines der geöffneten Fenster. „Ich weiß, mein Vater hat dir genug über Loyalität und dieses ganze Du gehörst jetzt zur Familie Ding erzählt." Seufzend sieht das Mädchen zu ihrer Freundin herüber. Linn streicht über ihre Hand und schluckt. Fühlt sie sich schuldig?

„Hört zu.",beginne ich. „Ich freue mich wirklich für euch. Für das...was ihr habt und ihr könnt euch sicher sein, dass ich euch dabei nicht im Weg stehe. Aber du bist verheiratet, Vienna. Mit jemandem, der deinem Vater ziemlich wichtig ist." „Meinem Vater ist nur er selbst wichtig. Niemand sonst. Ich weiß, es ist falsch. Aber zwischen Cassian und mir war nie sowas wie Liebe. Ich war in ihn verliebt, als ich jünger war und ich dachte ich wäre es noch, als wir geheiratet haben." Ich sehe ihnen an, wie die Freude über ihre Verbundenheit langsam aus den Gesichtern weicht. Die leuchtenden Augen von eben mattieren und weichen einem Ausdruck von Angst, dem ich unbedingt entgegen gehen will.

„Ich bin auf eurer Seite. Und wenn dein Mann so drauf ist, wie dein Vater, könnte ich nicht mal was dagegen sagen, selbst wenn ich es wollte." Auf dieses Schmunzeln wollte ich aus. Das Schmunzeln, dass das Leuchten wieder hervor lockt. „Du verrätst uns nicht, oder?",fragt Aislinn zögerlich. Ich stehe auf und lächle sie an. „Findet raus, was das zwischen euch ist. Ich sage nichts." Wie zwei scheue Rehe, blicken Vienna und Linn mit großen Augen dankbar zu mir hoch. „Danke Jack." „Klar doch. Ich ziehe mir was an, dann fahre ich dich zur Uni."

In meinem Domizil angekommen, ziehe ich mir anstatt eines Anzuges, eine schwarze Jeans und einen Rollkragenpullover in der selben Farbe an. Unter einem langen grauen Mantel, verstecke ich die Waffe. Schlüssel, Portmonee, Ausweis und Handy. Alles da. Ich verlasse den Raum wieder und schnappe mir im Flur Aislinn's Handtasche, deren Besitzerin schon im Wohnzimmer auf mich wartet.

Vienna hat ihre Hände um die Taille ihrer Freundin gelegt. Linn stellt sich auf Zehenspitzen, um die Lippen der beiden zu vereinen. Ich räuspere mich unauffällig. „Werdet ihr die paar Stunden ohne einander überleben?",frage ich lachend und gespielt betroffen. „Sei still, Leibwächter.",schmunzelt Vienna mit mittelalterlicher Stimmimitation. Ein letzter Kuss noch, dann können wir endlich los.

„My Lady.",grinse ich und halte Aislinn die Tür auf. Inzwischen sind die Angestellten der Clayfield's dabei das Haus für die Thanksgiving Zeit zu schmücken. Überall strotzt es vor herbstlicher Dekoration, Kürbissen im ganzen Anwesen und Portraits der Gründerväter, verdeutlichen wie wichtig Grayson dieses Fest sein muss.

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