Einunddreißig

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Jack

Sechs Jahre zuvor. Afghanistan. Provinz Kandahar.

„Er hat unsere Brüder getötet, Jack! Er hat sie alle umgebracht und du willst ihn am Leben lassen?!"
„Die Mission war gefangen nehmen oder töten, Rip! Wir haben ihn, er kommt vor Gericht und wird für das was er getan hat zur Rechenschaft gezogen!", brülle ich über die Geräuschkulisse entfernter Feuergefechte.
„Wir sind die Rechenschaft, Jack! Wir. Und die Mission war, diesem Bastard seiner Strafe zuzuführen. Nicht, ihm noch einen gratis Flug nach Guantanamo Bay zu spendieren!"
„T minus zwei, Boss. Was machen wir?", unterbricht uns Brody, der während der Mission, für den Funkkontakt zum Lagezentrum verantwortlich ist. Zwei Minuten, bis uns die afghanische Armee mit ihren russischen Jets erreicht.

„Einpacken und Zuschnüren. Wir verschwinden.", befehle ich meinem Team. Wir sehen alle gleichzeitig in den dunklen Nachthimmel über uns. Dieses verräterische zischen, russischer Mig's über uns, lässt eine unangenehme Gänsehaut über meinen Körper krabbeln. Als würde sie mir die Luft zum Atmen nehmen.

Der Einschlag der ersten, infrarotgelenkten Wympel R-27 Rakete, reißt mich mit einem Schlag von den Füßen und schleudert mich gegen die bröckelnde Hauswand eines zerbombten Gebäudes. Chaos bricht aus, zwei meiner Männer liegen schwer verletzt unter Trümmern. Rip zieht mich zurück auf die Beine. Auch wenn unsere Sturmgewehre wenig gegen die Kampfjets des Feindes ausrichten können, feuern wir unentwegt, um unsere Verletzten zu bergen.

„Drei Uhr! Wie sieht's mit dem Funk aus?!", rufe ich in all dem scheiß hier, zu Brody rüber. Er schüttelt nur den Kopf, macht mir klar, dass wir in nächster Zeit auf keine Unterstützung hoffen können.
„Jemand muss Al Mazri sichern! Brody, versuch's weiter mit dem Funk, ich kümmere mich um die anderen!" „Er ist tot! Al Mazri! Ihn hat's erwischt!", ruft Rip aus der Ruine des Gebäudes kletternd, in dem wir eben noch gestanden haben.

Wir sehen uns einen Moment an, wissen beide, was Sache ist. Eine Sekunde, bevor wir stumm entscheiden niemals wieder darüber zu sprechen. Eine Nacht, die sich mir für immer in meinen Kopf eingebrannt hat. Eine Nacht in der ich zwei Brüder verloren habe. Zwei Brüder und meine Moral, den Eid den ich geschworen habe mit allem was ich habe zu beschützen.

Gegenwart. Tiefster Dschungel in Mexiko.

„1:1 Bruder.", murmelt Rip, als er an mir vorbei geht, um die Spitze unserer Gruppe zu übernehmen. Er klopft mir auf die Schulter. Nicht anerkennend. Tadelnd. Niemand ist frei von Sünde, das hat er mir immer wieder vor Augen gehalten, als wir noch in den Teams gedient haben. Und er hat recht. Gesetze sind verhandelbar, Moral Situationsabhängig.
Und auch jetzt...sprechen wir nicht darüber.

Für fünf Meilen brauchen wir ganze vier Stunden, durch den dichten Dschungel. In diesem Wirrwarr aus Ästen, Blättern, Steinen und anderen Hindernissen, leise zu sein, erfordert Präzision und Fokus. Wir reden nicht, kommunizieren per Handzeichen und setzen einen Fuß vor den anderen. Rip geht voraus, jeder tritt in die Fußspuren des Vordermanns.

Mein Ex Breacher hält seine Faust hoch, sodass der Rest von uns stoppt. Er spricht so leise wie möglich über den Funk zu uns.
„Hier ist ein Schild. Steht was spanisches drauf, sieht aus wie...eine Schlucht."
Pedro antwortet ihm.
„Eine Warntafel. Sehen sie nach, ob in der Nähe eins mit einer Brücke zu sehen ist."
„Negativ, hier...Moment." Rip unterbricht seinen Funkspruch, bevor er einen Schritt zur Seite macht und ein gefallenes Schild aufhebt. Unter verwuchertem Blattwerk ist etwas zu sehen. „Zwei Meilen bis zur nächsten Brücke. Diese Schlucht ist scheiße nah, wir sollten hier bleiben und bei Sonnenaufgang weitergehen."

„Nein, Vienna braucht unsere Hilfe, jetzt. Nicht morgen früh.", widerspreche ich.
„Jack.", Bailey legt ihre Hand auf meine Schulter. „Sie helfen ihr nicht, wenn sie tot sind. Er hat recht. Wir kennen dieses Terrain nicht, wir haben keine Ahnung, wo sich der Boden schon gelockert hat. Tagsüber ist es sicherer."
„Wir schlagen unser Lager am besten auf der Anhöhe dort auf. So haben wir gute Sicht über das Tal und sehen jemanden der sich uns nähert, bevor er es tut."

Wir folgen Pedro's Plan, er kennt sich in diesem Gebiet am besten aus. Ich bin ein Anführer, habe aber im Gegensatz zu Enrico Vargas kein Problem damit, die Fähigkeiten meiner Leute anzuerkennen. Hätte er mal gesehen, wie schwach sein Vorposten war.

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