Achtundzwanzig

41 3 0
                                    

Mein Blick wechselt zwischen Cassian auf dem Bett und Grayson, der gerade in Begriff ist den Raum zu verlassen. Knurrend entscheide ich mich dagegen, diese Pussy von Mann weiter zu befragen und knalle die Tür des Raumes hinter mir zu.
„Was haben sie jetzt vor?", frage ich meinen Boss, während wir zurück ins Wohnzimmer im unteren Stockwerk gehen. Er tippt bereits etwas in sein Handy. „Was denken sie denn? Ich hole mir meine Tochter zurück. Ich habe eine Lösegeld Versicherung für meine Familie abgeschlossen, die haben eine schnelle Eingreifgruppe, die Verhandlungen übernimmt und sie wieder nach Hause bringt."

Eine Versicherung im Entführungsfall? Ja, das ist etwas, das Grayson ähnlich sieht. Bloß kein eigenes Geld in die Hand nehmen, um seine Tochter zu befreien. Aber ob ein Team aus Anzugträgern die richtige Wahl für eine Auseinandersetzung mit mexikanischen Kidnappern ist?
„Warten sie.", halte ich den älteren Mann auf.
„Dieses Team, was wissen sie darüber?"
„Wieso ist das wichtig?", kratzt Grayson's Whisky getränkte Stimme.
„Sie rufen irgendeinen Platzhirsch von seinem Schreibtisch in den mexikanischen Dschungel, damit er ihre Tochter zurückholt? Verhandlungen führt? Oder sich durch den Wald schlägt, um sie zu befreien?"
Offenbar versteht der Milliardär meine Bedenken. „Was schlagen sie vor?"

„Wir werden nicht warten, bis sich jemand meldet, der Lösegeld fordert. Ich hole Vienna zurück. Das ist nicht mein erstes Rodeo in Mexiko. Ich brauche ein Team und Ausrüstung. Können sie das besorgen?"
„Ich kann...jemanden anrufen. Ja."
„Ich rufe einen alten Freund an. Wir haben zusammen in den Teams gedient. In 48 Stunden geht's los. Kriegen sie das hin?"

Da ist er wieder.
Chief Petty Officer Jack Thornton.

Es hätte mich nicht wundern sollen, dass Grayson mich keine 48 Stunden später zu einem Treffpunkt am Hafen, einer 50 Meilen entfernten Küstenstadt ordert. Klein und unauffällig. So wie ich es gern hab. Der Millionär steht vor einem roten Frachtcontainer, der von Rost überzogen ist. Bei ihm, eine Frau und ein Mann. Ich kenne keinen der beiden. Aber sie sehen nicht wie Anzugträger einer Versicherung aus. Meine Sonnenbrille landet auf dem Schirm der Kappe die ich trage, als ich erst der Frau und dann ihrem Kollegen die Hand schüttele.
„Jack, das sind Bailey Allistair und Pedro Ramirez. Ich weiß, sie halten nicht viel von Schreibtisch Hengsten, aber ich versichere ihnen, die beiden sind Profis auf dem Gebiet.", stellt Grayson uns vor.

„Sie haben gedient?"
„Sieben Jahre bei der 75ten.", nickt die Frau. Für einen Army Ranger hätte ich sie nicht gehalten. Sie ist die kleinste von uns, sieht mit ihrer schmalen Statur und den zu einem strengen Dutt gebundenen Haaren, nicht aus wie ein Elite Soldat. Vermutlich ein Vorteil den sie auszunutzen weiß. Pedro erzählt mir, dass er bis vor sechs Monaten bei der mexikanischen Armee gedient hat. Krieg gegen Kartelle führte und wegen einer Verletzung ausschied. Als ich auch die Stimme meines Freundes höre, kommt mir das hier vor wie ein Treffen der Veteranen Selbsthilfegruppe.

„Ich hab gehört, es gibt eine Jungfrau in Nöten?", schmunzelt mein früherer Breacher, als er sich der kleinen Gruppe anschließt. Wir umarmen uns kurz. „Rip.", nickt er kurz, reicht den anderen seine Hand. „Ihr Name ist Rip?", fragt Bailey verwirrt, aber neugierig. „Für sie, ja.", stellt er für jeden hier klar. Seine große Statur, der wilde Bart und die lockigen Haare, würden ihn unter Hunderten als Veteranen ausweisen.
„Wir sollten zum Thema kommen. Haben sie was wir brauchen?"

Grayson nickt selbstverständlich. Er öffnet den roten Container und schafft es, jedem von uns ein erstauntes Seufzen zu entlocken. Mit verschränkten Armen, sehe ich zu ihm, ehe ich einen Schritt ins Innere wage. An den Wänden hängen Waffen jeden Kalibers. Werktische auf denen weiteres Equipment liegt, schusssichere Westen, sogenannte Plattenträger, wie wir sie beim Militär nennen, Granaten, Munition und Kleidung. Der beschissene feuchte Traum eines jeden Soldaten.
„Na das ist mal ein hübscher Haufen scheiße, in den wir uns da stürzen.", pfeift Bailey mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. Ich kann ihre Euphorie nur teilen, auch wenn ich seit zwei Tagen an nichts anderes mehr denken kann, als daran Vienna zurück zu holen.
Ich weiß wie es sich anfühlt, gefangen zu sein.
Vienna ist nicht für diese Erfahrung gemacht.

Vier Stunden später stehe ich mitsamt des Teams in der geschlossenen Einfahrt der Villa, die die Clayfield's bewohnen. Aislinn und Madelyn sitzen etwas abseits auf einer kleinen Mauer. Ich bin inzwischen voll ausgerüstet, bereit den mexikanischen Dschungel unsicher zu machen und jeden zu Dünger zu verarbeiten, der uns auf dem Weg, Vienna zu retten, im Weg steht. Eine Hose in Tarnfarben, die eins mit dem dichten Wald ist und eine Softshelljacke in hellem Olivegrün. Darüber ein Plattenträger in ähnlichem Farbton, in den ich mehrere Ersatzmagazine für mein Sturmgewehr gesteckt habe. Den Helm auf meinem Kopf spüre ich weniger, als das Headset über meinen Ohren.

„Das ist unser Einstiegspunkt in den Wald." Ich deute mit meinem behandschuhten Finger auf die Stelle auf einer Karte, an der Vienna entführt wurde. „Wir folgen den Reifenspuren, irgendwo müssen sie angehalten haben. Wissen wir, was uns erwartet?" Ich fixiere Pedro, der in ähnlicher Ausrüstung auf der anderen Seite der herunterklappten Kofferraum Klappe des Jeeps steht. „In dieser Gegend gibt es nur wenig Kartell Aktivität. Das gefährlichste werden die Insekten und kleinen Tiere sein, die im Dschungel leben. Gibt es eine ROE?"

Die Rules of Engagement sind das einzige, das uns im Krieg von den bösen Unterschieden hat. Regeln, nach denen wir in jedem Einsatz handeln mussten. Dinge wie das handeln nach der Genfer Konvention. Bei Kontakt nicht zuerst zu schießen. Der ganze Gutmensch scheiß.
„Keine."

Damit war alles gesagt. Ich umarme Aislinn zum Abschied, verspreche ihr, ihre Freundin nach Hause zu holen. Sie nicht küssen zu können, schmerzt, doch dazu haben wir noch genug Gelegenheit, wenn dieses Chaos vorbei ist. Rip sitzt am Steuer des Jeeps, mit dem ich Cassian zurückgeschafft habe. Die Stille ist erdrückend und doch angenehm.
Ich lasse die Autotür ins Schloss knallen, sehe mich am Tatort um. „Schaut euch um.", befehle ich streng. Der Wasserfall plätschert heute weniger stark vor sich hin, die Mittagssonne bringt jeden Tropfen Wasser darin zum glitzern. Alles an diesem Ort macht mich wütend. Ich bin kein gläubiger Mann, aber möge Gott den Bastarden gnädig sein, die Vienna entführt haben. Wir werden es sicher nicht.

Zwischenzeitlich bin ich nochmal hier gewesen, um die Spuren des Picknicks zu beseitigen. Mir die Gegend anzusehen, doch nichts. Genauso wenig finden wir in den nächsten 30 Minuten. Nichts außer den verwaschenen Reifenspuren des Vans, mit dem sie entführt wurde. Fast drei Tage sind vergangen, sie könnten überall sein. Jeder von uns ist es gewohnt, die Ruhe im Chaos zu sein. Doch die Anspannung, steht jedem ins Gesicht geschrieben.
„Ihr Freund scheint ne' ziemliche Pfeife zu sein. Lässt zu, dass sie entführt wird und ist dumm genug sich auch noch K.O. schlagen zu lassen.", murmelt Rip hinter dem Steuer, ohne mich neben ihm anzusehen. „Zwei bewaffnete Kartellsoldaten, vermutlich hätte er es noch schlimmer gemacht, wenn...warte. Halt an. Weißer Van, zwölf Uhr."

Ich konzentriere mich darauf, das Fahrzeug, fünfzig Meter vor uns zu identifizieren. Das muss er sein. Rip hält am Waldrand an und wir steigen aus. Ich gehe voraus, die Waffe im Anschlag. Mit einer Handbewegung, deute ich Bailey und Pedro an, Rechts und links um den Van herum zu gehen und das Führerhaus zu sichern. „Leer.", flüstert die ehemalige Elitesoldatin in den rauschenden Funk. Rip und ich sehen uns an. Verstehen uns blind.

Drei, zwei, eins.

Wir reißen beide Hintertüren des Fahrzeugs auf, ich wechsle zur Pistole und halte sie mit angeschalteter Taschenlampe in den Laderaum. Leer. Fuck.
„Sicher.", seufze ich, als ich in den Innenraum klettere.
„Wir wissen wenigstens, weshalb sie angehalten haben. Da liegt ein Stamm, quer über dem Weg. Wir müssen zu Fuß weiter.", informiert uns Pedro. Ich leuchte jeden Zentimeter des in Holz verkleideten Frachtraums, mit der Lampe unter meiner Pistole ab.
„Er ist leer Bruder. Lass uns weiter suchen.", versucht Rip mich davon abzuhalten, mich in die Situation hineinzusteigern. Aber Vienna war hier drin. Ich rieche sie, ich rieche das ekelhafte Parfüm, dass Cassian ihr geschenkt hat und das sie nur trägt, wenn er da ist.

Ich will nicht wahrhaben, dass uns diese Spur ins nichts führt. „Komm schon...", flüstere ich kaum hörbar. Und meine Sturheit, weiterzusuchen soll belohnt werden. Da ist etwas. Eingeritzt ins Holz der Seiten Verkleidung. Da stehen Worte. Ganz klar. „Das ist mein Mädchen, ich wusste es.", lache ich erleichtert auf, vergesse kurz, dass ich nicht allein hier bin.

Boss. Cimando. Dawn. Buen precio.

PROTECTORWo Geschichten leben. Entdecke jetzt