Teil8

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-------------2 Wochen später----------------

Ich liebte einfach mein Studium! Also war es nicht gerade verwunderlich, dass ich wieder einmal die Letzte war, die sich auf den Weg zu den Waschräumen der Universität machte. Nur noch eine Clique von Mädchen rund um die wunderhübsche Natalie drängte sich an die Waschbecken, um dem hochgepriesenen Make-Up den letzten Schliff zu verpassen.

Alle anderen Mitstudenten schienen sich schon eilig auf den Heimweg gemacht zu haben, was mich aber nicht gerade verwunderte. Unsere Sektionsprofessorin hatte es in ihrer ganzen Lehrlaufbahn noch kein einziges Mal geschafft, den Unterrichtstoff so einzuteilen, dass man mit Ende der Stunde damit auch durch war. Wenn sie sich jedoch einmal in einem Stoffgebiet etwas abgeschweift war, kam sie aus der Kundgebung ihres immensen Wissens gar nicht mehr raus. Ich könnte sie eigentlich recht gut leiden, wäre da nicht ihr meiner Meinung nach respektloser Umgang mit den Kadavern der Lehrobjekte.

Ich musste mir zwar nicht gerade Tränen verkneifen, wie die neue Studentin heute, oder mich vor Eckel übergeben, aber ich verspürte Mitleid mit den Tieren. Wie sie starr mit glasigen Augen auf den Metalltischen lagen, als würden sie einen vorwurfsvoll anstarren und sagen: "Hey, seht her! Vielleicht wollten wir so überhaupt nicht enden. Also geht gefälligst respektvoll mit unseren Körpern um!" Es stimmt schon, dass es besser war, an etwas Totem zu studieren, bevor man an etwas Lebendiges herantrat, aber es waren trotzdem Lebewesen mit einer Seele, die jeden zweiten Tag in der Woche auf dem Seziertisch vor einem lagen. 

Die Tür zum Waschraum fiel hinter mir zum zweiten Mal ins Schloss, als Natalie und der Rest sich nun ebenfalls aus dem Staub machten, sich die ganze Zeit gegenseitig vorschwärmend, wie schön nicht das gegenseitige Make-Up saß. Die müssen bestimmt nicht dreimal in der Woche Nachtschicht arbeiten, um genug Geld für die Miete zusammenzubekommen. Die brauchen sich um ihr Einkommen keine Sorgen zu machen, bestimmt genau wie die Neue, die sich mitten ins Studienjahr eingekauft hat. Nur der Lidschatten und Lippenstift zählt bei solchen Leuten. Als hätten sie nichts anderes.

Aber ich sollte gar nicht so über sie schimpfen! Normalerweise würd ich mir jetzt auch geschwind Schminke ins Gesicht schmieren, wie es Paul immer verlangt. Heute aber nicht! Heute muss ich mich nicht auch noch mit dem Zeug herumschlagen! Paul, der Besitzer von Paul´s Pup, echt genialer Name, ich weiß, hab ich schon einmal erwähnt, war gestern nämlich krank geworden. Der bärtige 40-Jährige vertraute mir jedoch noch nicht so viel, dass ich seinen Laden allein übernehmen dürfte. Ich bezweifle, ob er mir jemals die Ehre erwiesen hätte. Aber egal, so konnte ich früher nach Hause und hatte mehr Zeit für Elias.

Seit zwei Wochen lebte der kleine Schildkrötenmutant schon bei mir und allein durch den Fernseher und Comics gelang es mir jeden Tag aufs Neue ihn während meines Studiums beschäftigt zu halten. Jetzt wurde es aber langsam immer schwieriger ihn abzulenken, damit er nicht auf dumme Ideen kam, wie zum Beispiel die Wohnung zu verlassen.

Ich war mit ihm noch nie außerhalb meiner Wohnung gewesen, aber ich hatte zu große Angst. Was wenn ihn jemand doch entdecken würde? Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was man mit ihm machen könnte. Ich hatte ja direkten Kontakt zu all den professionellen Wissenschaftlern, die voller Verzückung mit bloßen Händen in Katzengedärmen herumwühlten, als wären sei Kleinkinder, die in der Sandkiste nach verborgenen Schätzen graben.

Aber jetzt auf schnell frisch machen und dann nach Hause zu Elias! Ich muss mich beeilen, wenn ich es noch rechtzeitig in den Lebensmittelladen schaffen will! Ich hatte eine kleine Überraschung für den Kleinen geplant: Ich wollte mit ihm Muffins backen. Das hab ich bis jetzt noch nie mit ihm gemacht und es würde ihn sicher ablenken.

So stand ich nun also allein in dem Waschraum für weibliche Studenten und war kurz davor durchzudrehen. Immer mehr kam mir in den Sinn was ich noch zu besorgen hatte, bevor die Lebensmittelshops in New York für heute zusperrten. Ach was, so ein richtiger Waschraum mit Duschen war es gar nicht, nur ein gefliestes Zimmer mit Waschbecken, Spiegeln, Umkleidekabinen und einem Regal, in dem wir unsere überflüssigen Sachen während der Sektionsstunden aufbewahrten.

Mein Bruder der SchildkrötenmutantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt