23 | It doesn't matter where you come from, it matters where you go

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Marlon blieb sitzen und starrte auf den Strand. Eine kleine Träne rollte über seine Wange nach unten, um an seinem Kinn hängen zu bleiben, ehe sie auf seinen unbedeckten Oberkörper tropfte. Liam war gegangen. Wieder einmal. Doch dieses Mal hatte Marlon es sich ganz allein selbst zuzuschreiben.

Es war besser so, dachte er. Sie würden beide ihr Leben weiterleben. Ohne einander. Es sollte wohl einfach nicht sein.

Er wusste nicht, was er mit dem heutigen Tag anfangen sollte, denn sein üblicher Termin bei Marco fiel heute aus. Vielleicht blieb er einfach nur hier sitzen und trank seinen Kaffee.

*~*~*

Zwei Stunden später saß er noch immer so da, sein Kaffee und der, den er Liam vorbereitet hatte, kalt und unberührt neben ihm auf dem Tisch. Vage nahm er wahr, wie seine Zimmertür im Inneren geöffnet wurde. Oh, das Housekeeping kam vermutlich um sein Zimmer zu richten. Heute würde er tatsächlich einmal einen neuen Bademantel benötigen, der andere war voller Sand.

Marlon rührte sich nicht und lauschte leise dem Gewusel der oder des Hotelangestellten, der möglichst leise versuchte, sein Zimmer aufzuräumen. Er hörte Geraschel und dann wurde seine Kaffeetasse und die von Liam vom Tisch genommen. Er sah nicht hin, wollte nur, dass die Person schnell wieder ging und ihn allein ließ.

Kurz darauf stand eine neue Kaffeetasse mit dampfendem, schwarzen Kaffee neben ihm und eine Weitere wurde auf den Tisch gestellt, bevor Liam sich wieder auf den Stuhl am anderen Ende des Tisches setzte. Marlon starrte ihn entgeistert an. Er hatte sich offenbar umgezogen, denn er trug, wie die meisten anderen Hotelmitarbeiter, ein türkisfarbenes Poloshirt und eine schwarze Hose.

Liam sah nur auf den Strand, der Wind wühlte leicht in seinen chaotischen, dunklen Haaren und schließlich nahm er die Tasse und trank einen Schluck daraus.
„Wir trinken einfach nur einen Kaffee zusammen", sagte Liam ruhig, ohne Marlon anzusehen. Marlon sah betreten auf seine Tasse und nahm sie in seine Hände.

„Ich habe meinen Eltern mit fünfzehn gestanden, dass ich schwul bin", begann Liam auf einmal zu erzählen. „Beide sind streng katholisch und unser Verhältnis war ohnehin immer sehr angespannt, so dass sie mich kurzerhand vor die Tür setzten."
Marlon schnappte entsetzt nach Luft, wollte etwas sagen, doch er spürte, dass es besser wäre, Liam einfach nur sprechen zu lassen.

„Von einer Minute auf die Nächste stand ich auf der Straße. Buchstäblich. Nur mit meiner Sporttasche, in der ich ein paar Klamotten, meine Zahnbürste und mein Erspartes von der Kommunion hatte", berichtete Liam weiter, während er noch immer auf den Strand blickte, die Kaffeetasse in seinen großen Händen,

„Ich trampte, fuhr in die nächste Großstadt, nahm ein Zimmer in einer Jugendherberge und suchte mir einen Job als Zeitungsausträger.
Natürlich kommt man damit nicht lange über die Runden, aber mit der Zeit lernt man, mit wenig auszukommen. Ich habe schon alle möglichen Jobs an allen möglichen Orten gemacht, ich bin mir für nichts zu schade. Maurer, Müllabfuhr, Bau.. ich bin wohl ganz clever, denn immer war ich derjenige, der ging."

Marlon sah wieder in seine Tasse. Das mit dem Gehen hatte er selbst hautnah mitbekommen. Mehrfach.
„Ich schätze, wenn dich die Menschen, die du am meisten liebst auf der Welt, plötzlich nicht mehr wollen, weil du.. nun ja.. du selbst bist, macht das was mit einem", versuchte Liam zu erklären, „Und seither gehe ich. Wenn ich mich zu gut fühle, zu.. zu Hause, dann gehe ich. Denn ich glaube nicht, dass ich es ertragen könnte, wenn mich noch einmal jemand wegstößt. Ich denke, Wegstoßen ist leichter als Weggestoßenwerden."

Marlon nickte vorsichtig und stellte seine inzwischen leere Tasse neben sich auf dem Tisch ab.
„Und warum bist du jetzt zurückgekommen?", fragte er leise.
Liam grinste schief.
„Ich hab eine Schicht im Housekeeping übernommen und durfte dein Zimmer putzen", witzelte er und schüttelte schnell seinen Kopf, als Marlon Augen sich erschrocken weiteten. „Das hab ich vielleicht so hingebogen", gab er kleinlaut zu.

Marlon sah ihn nur an ohne ein Wort zu sagen.
„Du gehst mir nicht aus dem Kopf, Marlon", flüsterte Liam. „Und es macht mir eine Scheißangst, um ehrlich zu sein. Vorhin war ich kurz davor, meine Sachen zu packen und abzuhauen, doch das blöde Schicksal lässt mich dich doch irgendwann wieder treffen und dann hasst du mich endgültig, nur weil ich so ein Feigling bin."

Trotz des Schmerzes, der in seiner Brust brannte, musste Marlon lächeln. Er befürchtete ebenfalls, dass irgendeine höhere Macht sich ihren Spaß mit ihnen erlaubte und sie immer wieder zusammenführte.
„Wenn ich auf den Mond fliege, treffe ich dich dort vermutlich auch", brummte Marlon leise und Liam nickte grinsend.
„Die Jobs da oben werden gut bezahlt, hab ich gehört", erklärte er.

„Und jetzt?", fragte Marlon kaum hörbar. Liam zuckte mit den Schultern.
„Ich hab Rick angerufen", sagte Liam und Marlon runzelte die Stirn. „Ich kann Montag anfangen."
„Du gehst zurück nach New York?", fragte Marlon verblüfft. Liam hob den Kopf und blickte ihn direkt an.
„Ja, das werde ich. Und wenn es für dich okay ist, würde ich dich gern nach deiner Nummer fragen und ob du vielleicht mal mit mir ins Kino gehen willst", sagte Liam ernst.
„Du fragst mich nach einem Date?", wollte Marlon überrascht wissen.

Liam zuckte beschämt mit den Schultern.
„Macht man das nicht so, wenn man jemanden mag und ihn näher kennenlernen will?"
„Du magst mich?" Offenbar konnte Marlon nur noch in verdatterten Fragen sprechen.
Liam grinste.
„Ich schätze schon."
„Und was, wenn du mich plötzlich nicht mehr magst?", wollte Marlon wissen.

Liams Gesicht wurde wieder ernst.
„Nun, ich habe dich in einem Backstreet Boys T-Shirt gesehen, ich kann mir nicht vorstellen, dass du noch dunklere Geheimnisse hast."
Marlon überlegte und entgegnete: „Du hast die Bieber-Shirts vergessen."
„Auch die kann ich tolerieren", schmunzelte Liam. „Aber ich gehe nicht unangekündigt, wenn es das ist, worauf du hinauswillst. Ich weiß, du glaubst mir nicht, Marlon, aber ich werde nicht wieder einfach abhauen, nur weil ich Angst habe, dass du mir zu nahe kommst. Diesen Fehler mache ich nicht noch einmal."

Marlon musterte ihn, sein ernstes Gesicht und das Flehen in seinen Augen. Und obwohl sein Kopf vor Zweifeln schrie, ließ sein Herz ihn nicken und leise sagen: „Okay."
„Okay?"
„Okay, ich gehe mit dir ins Kino."

Wechselreiz | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt