28 | We don't say a word, as we pull off into the sunrise

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„Marlon?", rief Liam, als er die Wohnungstür aufschloss. Er trug wie immer eine abgewetzte Jeans und ein altes T-Shirt, was ihm sicherlich wieder einen kritischen Blick von seinem Freund einbringen würde. Liam weigerte sich weiterhin, die extra für ihn angefertigte Handwerkeruniform zur Arbeit zu tragen. Rick würde ihn herzlich auslachen, obwohl Marlon immer meinte, auch Handwerker könnten sich adrett kleiden.

„Bist du schon zu Hause?", fragte Marlon entsetzt und kam, ähnlich wie bei ihrer ersten Begegnung vor fast zwei Jahren, in seiner lilafarbenen Jogginghose aus dem Badezimmer. Heute trug er allerdings ein T-Shirt von One Direction, die Plastikhandschuhe hatte er jedoch wieder über seinen Händen.

„Färbst du schon wieder Jeans?", fragte Liam lachend und erinnerte sich sofort an ihr erstes Treffen. Marlon errötete und antwortete: „Da der feine Herr sich weigert, sich neue Kleidung von mir schneidern zu lassen, muss ich deine alten Sachen hin und wieder auffrischen, mein Lieber. Jetzt sag mir bitte nicht, ihr flutet wieder den Keller."
Liam kam auf ihn zu und küsste seinen Mund.
„Nein, ich.. wir müssen reden."

Marlon runzelte verwirrt die Stirn und ließ sich von Liam ins Wohnzimmer führen, wo dieser ihn auf dem Sofa platzierte.
„Was kommt jetzt?", wollte Marlon besorgt wissen.
„Ich.. muss weg", brachte Liam stockend hervor und griff Marlons nasse Handschuhhände, ehe dieser wieder aufstehen konnte. Marlon wich Liams flehendem Blick aus und starrte auf den Couchtisch vor ihnen.

Seit seinem Urlaub in Florida hatte Liam sein Versprechen gehalten. Seitdem hatten sie bis auf den Tag seiner Abreise jede Nacht zusammen verbracht. Am Montag nach dem Urlaub hatte Liam wie versprochen den alten Job bei Watts & Söhne wieder aufgenommen und abends mit seiner alten Sporttasche vor Marlons Wohnungstür gestanden mit den Worten: „Ich hab gehört, hier wäre noch eine Bettseite frei."

Es hatte einige Zeit gedauert bis auch Hailey, Marlons Arbeitskollegin und gute Freundin, Liam seine beiden Aufbrüche und Marlons daraus resultierende psychische Verfassung verziehen hatte, doch als sie merkte, dass Marlon mit zunehmender Glücklichkeit noch produktiver wurde und sie schon bald zwei neue Mitarbeiterinnen einstellen mussten, wurde auch ihr Misstrauen besänftigt. Inzwischen hatte Marlon Anfragen aus allen Teilen des Landes, sein Onlineshop boomte und er hatte bereits erste eigene Kollektionen herausgebracht.

Nur einmal, als Liam in der Mittagspause im Laden vorbeikam und Marlon noch am Telefon war, hatte Hailey ihn zur Seite genommen und ihm deutlich gesagt, was sie mit ihrer Nähmaschine und seinen Geschlechtsteilen anstellen würde, würde er es noch einmal wagen, Marlon das Herz zu brechen. Liam hatte beteuert, dass er ihr, sollte es je dazu kommen, besagte Geschlechtsteile selbst auf ihre Nähmaschine legen würde.

Oft hatte Marlon morgens den schlafenden Liam neben sich beobachtet und sich still gefragt, wann er doch wieder aufbrechen würde und ob er ihm sagen würde, wenn es soweit wäre. Doch Liam blieb. Und er kam jeden Abend nach Hause.
Nun war der Moment gekommen, vor dem Marlon sich so lange gefürchtet hatte.

„W-Wann?", fragte Marlon mit erstickter Stimme und zog seine Hände aus Liams Griff. Sie lösten sich aus den zu großen Handschuhen, so dass Liam nur noch zwei lasche Gummihände hielt.
„Sobald du kannst", erwiderte Liam ernst und Marlon blickte ihn fragend an.
„Mrs. Livingston hat mir geschrieben", erklärte Liam mit Tränen in den Augen.
„Wer?", wollte Marlon wissen.
„Die Frau, mit der ich in Baltimore auf der Messe war, erinnerst du dich?"
Marlon nickte, denn jetzt, wo Liam sie erwähnte, fiel ihm die ältere, untersetzte Dame wieder ein, die weitaus besser in die ganzen Messebesucher gepasst hatte als sein jetziger Freund.

„Ich habe auf ihrer Farm gearbeitet", erzählte Liam weiter und Marlon lächelte.
„Die Kuh", sagte er nur und Liam nickte.
„Ihr Mann liegt im Krankenhaus. Er hatte wohl einen leichten Schlaganfall, doch sie schafft es nicht allein, sich um ihn und den Hof zu kümmern und darum hat sie mich angeschrieben, ob ich kommen und helfen könnte."
„Haben sie nicht jemand anderen, der das übernehmen kann?", wollte Marlon wissen.
Liam seufzte.
„Sie waren für mich das, was einer Familie am nächsten kommt, Marlon. Sie nahmen mich auf, als wäre ich ihr Sohn. Ich muss ihr helfen. Aber nur, wenn du mitkommst."

„Ich soll auf eine Farm?", fragte Marlon entsetzt.
„Es ist wirklich schön dort. Wir hätten ein eigenes Zimmer und sie sagte, ich könnte die Scheune umbauen, da sie die Kühe verkauft haben. Ich könnte dir dort ein Atelier einrichten und du könntest dich von dort aus noch besser um deine Kollektion kümmern", berichtete Liam enthusiastisch.
„Und was, wenn ich nein sage?", fragte Marlon leise. Liams Lächeln ließ nach, er ließ die schlaffen Gummihandschuhe fallen und griff wieder nach Marlons Händen.

„Ich werde nicht ohne dich gehen, Marlon", sagte er ernst. „Du bist mein Zuhause. Nicht diese Wohnung, nicht New York. Du! Und wenn du sagst, du willst hierbleiben, bleibe ich bei dir und wir finden eine andere Lösung. Vielleicht pendele ich oder wir suchen zumindest eine Wohnung in der Mitte oder-"
„Es ist dir wirklich wichtig, oder?", fragte Marlon leise und Liam nickte.
„Es wäre auch nicht für immer", wand er ein. „Nur bis Mr. Livingston wieder fit ist und dann können wir zurück, aber ich schulde diesen Leuten wirklich etwas."

„Okay", sagte Marlon kaum hörbar und Liam blickte ihn zweifelnd an.
„Okay?"
Marlon nickte.
„Ja. Ich komme mit. Ich bin ohnehin zu sehr im Laden involviert und Hailey hat mich bereits mehr als einmal gefragt, wann wir mal wieder in den Urlaub fahren oder wann ich ihr endlich mehr Verantwortung gebe. So hätte ich wirklich mehr Zeit für meine Kollektion und den Onlineshop und an der Messe wäre ich auch näher dran."
Liams Gesicht begann zu strahlen.
„Du kommst mit?", fragte er.

„Aber erwarte nicht von mir, dass ich Gummistiefel oder Overalls trage", wand Marlon zickig ein, als Liam ihm begeistert um den Hals fiel und ihn fest umarmte.
„Du kannst auch den ganzen Tag im Anzug rumlaufen, du wirst der stylischste Farmbewohner, den die Welt je gesehen hat!", lachte Liam herzlich.
„Wir!", verbesserte ihn Marlon. „Denn das", er wedelte mit dem Zeigefinger über Liams angewetztes Outfit. „Hört damit auf! Ich habe jetzt schon lauter Ideen, was ich dir für heiße Cowboy Outfits schneidern kann!"

Liams Augen wurden groß.
„Aber sie haben doch gar keine Kühe mehr", murmelte er hilflos.
„Das ist mir so egal", entgegnete Marlon. „Dann kaufe ich dir eben eine Kuh. Oder noch besser ein Pferd. Aber wehe, du reitest ohne mich in den Sonnenuntergang."
„Niemals", erwiderte Liam und küsste seinen Freund liebevoll. „Nie wieder ohne dich."

Ende

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Es war mir wieder einmal ein Fest mit euch, ihr Lieben! Danke für jeden Kommentar, jeden Stern und vor allem fürs Lesen und eure Treue!
Hazel

Wechselreiz | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt